Chorkonzert der Spitzenklasse in der Immanuelkirche

Königstein (aks) – Von nah und fern strömten Chorkonzert-Liebhaber in der Abenddämmerung in die Immanuelkirche, wo die 35 Sängerinnen und Sänger der Don-Chorkapelle „Anastasija“ aus Rostow am Don unter der Leitung von Professor Tarakanow mit einem Programm der Extraklasse aufwarteten. Als Einleitung erklärte Elena Lyamkina, die im Taunus lebt und Chorleiterin und Dirigentin in der evangelischen Lukasgemeinde in Glashütten-Oberrod ist, in hervorragendem Deutsch, dass in einer russisch-orthodoxen Messe keine Orgel spielt und die menschlichen Stimmen acappella den Gottesdienst gestalten. Sie strahlte übers ganze Gesicht, dass so viele Menschen den Weg in die Kirche gefunden hatten, die bis auf den letzten Platz besetzt war. Auch Bernard Zosel, Chorleiter der Johanniskirche in Kronberg, zählte zu den Besuchern in Erwartung eines musikalischen Hochgenusses. Der Chor besteht aus an der Musikhochschule ausgebildeten professionellen Sängern, die vom Metropoliten für den Dienst in der Kirche gesegnet werden. Anfangs noch ein wenig angespannt löste sich ihre Mimik und mit dem Gesang begannen sie zu strahlen. Das „Missa de Feria“ von Giovanni di Palestrina aus dem 16. Jahrhundert stimmte sofort ein auf die hohe Qualität der Darbietung. Die Stimmen in präzisem Zusammenspiel summten und schmeichelten, der Zuhörer glitt ab in eine Kirchenmusik, von der eine große Ruhe ausging. Laut wurde der Chor dann bei di Lasso und dem „Jubilate Deo“: So klingt ein Jubelchor! Jede einzelne Stimme ohne Fehl und Tadel, reiner Hörgenuss, der sichtlich und am Applaus messbar beeindruckte.

Ein großes Bravo auch für die Aussprache der „Five Flower Songs“ von Benjamin Britten. Die Musik des 20. Jahrhunderts war ein gelungener Kontrast zur Barockmusik, fröhlich und heiter und gegen Ende leiser und sehr melodisch. Im zweiten Teil dann mit lustigen Lauten „Brum, bing“ von Tschaijkowsky und seiner Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts. Sein Hallelujah hat man selten so überwältigend und aus tiefster Seele gesungen gehört. Chorleiter Prof. Tarakanow war voller Euphorie und allen Sängern ganz nah. Er motivierte sie mit seiner Gestik und Mimik, die auch das Publikum der Immanuelkirche faszinierte. Wenn man doch nur die Sprache verstünde, dachte sich mancher mit Bedauern und doch ist „Lobet den Herrn“ auch auf Russisch als Ausdruck tiefen Glaubens zu verstehen. Die Stimmen sind ausdauernd, lange können sie die hellsten und auch die tiefsten Töne halten. Im dritten Teil ging es um die Kompositionen von Pawel Tschesnokow, ohne die kein Gottesdienst in Russland stattfindet. Elena Lyamkina gibt in „Der Engel verkündet“ dem Himmelswesen ihre helle, glockenklare und sehr gefühlvolle Stimme mit melancholischem Timbre. Eine große Überraschung ist der Vortrag „Selig ist der Mensch“ von Wadim Tarakanow, dessen herrliche Bariton-Stimme, weich und tröstend, die Zuhörer umwebt und Trost und Zuversicht spendet. Seine Freude am Gesang ist überschwänglich und mitreißend.

Die zehn Männer des Männergesangvereins sind eine Sensation. Die Bass-Stimmen entführen in eine andere Welt, in die Magie der russischen Seele, in tiefe Dunkelheit, und wenn man die Augen schließt, fühlt man sich wie tief in einem schwarzen Wald. Die Stimmen vereinen sich zu einem Klang, der nicht mehr die Worte transportiert, sondern das Gefühl tiefster Heimatliebe und inniger Gläubigkeit. Da bleibt die Zeit stehen und es gibt keine flüchtigen Gedanken oder oberflächlichen Augenblicke. Die Musik schmiegt sich an die Menschen an. Statt in den Himmel zu schweben, ist man ganz auf der Erde, angekommen in großer Andacht. Das Solo des Tenors Dmitriy Sereda, der mit geballten Fäusten Gott um Gnade anflehte („Herr nun lässt du deinen Diener in Frieden gehen“ von Tschesnokow) traf jeden Besucher ins Mark. Dieses Flehen kann der liebe Gott nicht überhören. Das georgische Halleluja, die Lobpreisung Gottes war voller Jubel. Die Harmonie der Männerstimmen des Klosterchors drückte auch die Zuversicht auf Gnade aus: Wir Menschen werden erhört werden. Auch der Chorleiter selbst sang in den unterschiedlichsten Tonlagen – er ist eins mit seinen ausgezeichneten Sängern. Heiter stimmten die russischen Volkslieder wie „An Vaters Gartentür“, ein temporeiches Lied. Bei der Hymne vom Heer der Donkosaken zeigte sich der Chor in Bestform, solche Bassstimmen mit raumfüllendem Volumen hat man selten gehört.

Dann trat zum Finale der gemischte Chor wieder auf, mit beliebten russischen Volksliedern, bei denen „Mütterchen Wolga“ nicht fehlen durfte. Die Berge und die Wiesen wurden mit großer Sehnsucht besungen, aber auch der Mann, der betrunken vom Pferd fällt, weil er eine schöne Frau sieht.

Mit dem Wunsch für ein langes gesegnetes Leben verabschiedete sich der Chor, sichtlich erfreut über den begeisterten Applaus und die Standing Ovations, die ihnen das Königsteiner Publikum entgegen brachte. Im Stehen zu klatschen gilt als besondere Huldigung der musikalischen Leistung und ist bei Konzerten eher die Ausnahme. Hier brachten die Menschen ihren Dank zum Ausdruck für Stunden der Glückseligkeit, die dieser Chor beschert hatte. Auch wer der russischen Sprache nicht mächtig ist, konnte den Pathos genießen, der niemals in den Kitsch abstürzte. Große Stimmen waren an diesem Abend zu hören, die verführten und das Mysterium der russischen Seele besangen, das alle verzauberte.

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist ein Konzert von Russen in einer deutschen Kirche, als Ausdruck der Verbundenheit in der Musik, ein Anlass zur Freude und zur Hoffnung auf andauernden Frieden.

Spasíbo!

Eine musikalische Sensation: Die Sängerinnen und Sänger der Don-Chorkapelle „Anastasija“.

Foto: Sura



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