„Die Erinnerung wird blankpoliert“ – Vortrag zu Stolpersteinen

Königstein (vo) – Wer ist der Künstler, der hinter der europaweit bekannten Stolperstein-Aktion steckt? Wie ist er auf die Idee für dieses Projekt gekommen? Wie wird die Stolperstein-Aktion in Königstein aufgenommen? – Um diese Fragen zu beantworten und im Vorfeld der Steinverlegung am Montag noch einmal umfassend zu informieren, hatte die Initiative „Stolpersteine Königstein“ am Sonntagabend zu einem Vortrag des Künstlers Gunter Demnig ins Haus der Begegnung eingeladen.

Zahlreiche Königsteiner, aber auch Interessierte aus Kronberg oder Bad Soden folgten der Einladung, Petra Geis und ihre rund 20 Kollegen der Initiative freuten sich über den großen Andrang. Stellvertretend für ihre Mitinitiatoren, die sich in dem Projekt politisch unabhängig engagieren, würdigte sie die Stolpersteine als eine ganz besondere Form des Erinnerns und Gedenkens; von ihrer Symbolkraft ist sie fest überzeugt: „Gerade angesichts des 700-jährigen Jubiläums der Verleihung der Stadtrechte sollte auch an diesen Bestandteil der Königsteiner Geschichte erinnert werden.“, erklärte sie die Motivation der involvierten Königsteiner Bürger und die seit rund einem Jahr laufenden, intensiven Vorbereitungen der Steinverlegung.

In seinen einleitenden Worten verwies Bürgermeister Leonhard Helm auf die große Bedeutung und gesellschaftliche Teilhabe der Juden in Königstein im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese mündete 1905/6 in den Bau der Königsteiner Synagoge, bei deren Eröffnung nicht nur die Pfarrer beider Kirchen, sondern auch sämtliche Königsteiner Stadtverordneten vollzählig anwesend waren. Die Zerstörung der Königsteiner Synagoge in der Pogromnacht 1938 bezeichnete Helm als Ausdruck eines furchtbaren Richtungswechsels, in dessen Folge die Juden durch die grausame, unsägliche Ideologie der Nationalsozialisten aus der gesellschaftlichen Mitte Königsteins gerissen worden seien. Helm befürwortete die Stolpersteine und ihre stetige Mahnung wider das Vergessen.

Der Vortrag des gebürtigen Berliners Gunter Demnig, des Urhebers der mittlerweile in ganz Europa verbreiteten Stolpersteine, erschloss sehr plastisch seine künstlerische Biografie, in der „Spuren“ stets eine große Rolle spielten und in deren Verlauf sich die „Stolperstein“-Aktion entwickelte. Schon während seines Kunstpädagogikstudiums in Berlin und Kassel begeisterte er sich für die vielfältigen Verarbeitungsmöglichkeiten unterschiedlicher Materialen und konzentrierte sich nach ersten Versuchen als Maler auf die Bildhauerei, das Industriedesign und schließlich die Aktionskunst. Erste Spuren hinterließ er 1980 sowohl in der deutsch-französischen Landschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit mit seinem Projekt „Duftmarken“, bei dem er mit einer eigens konstruierten Maschine eine Kreidespur von Kassel bis nach Paris zog; 1981 folgte die „Blutspur“, hier zog er eine Tierblutspur von Kassel durch Westeuropa bis auf die Straßen Londons. Der öffentliche Raum und speziell der Boden wurde früh zum künstlerische Arbeitsraum Demnigs, etwa bei den Aktionen „Himmler Befehl“ (1992) und „Mai 1940 – 1000 Sinti und Roma“, als er 1990 in Köln erstmals dauerhafte Messing-Spuren im Gedenken an die Deportation und spätere Ermordung von 1000 Sinti und Roma am 6. Mai 1940 durch die Nationalsozialisten auf öffentlichen Plätzen hinterließ. „Ohne solche Vorläufer, die Bodenarbeiten und die intensive Beschäftigung mit Schrift hätte es die Stolperstein-Aktion bestimmt nicht gegeben“, ist sich Demnig sicher.

Seit nunmehr 16 Jahren lebt er in Köln und hat in den letzen Jahren parallel zu den Stolpersteinen beispielsweise imposante Klangskulpturen und unkonventionelle Jahrmarktautomaten künstlerisch erarbeitet. In Köln wurden in den Jahren 1993/1994 auch die ersten Stolpersteine verlegt; wie der Name für das Projekt zustande kam, erinnert Demnig nicht mehr. Allerdings passt der Name für ihn bis heute sehr gut: „Man fällt durch die Steine nicht hin, aber man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen! Zugleich bedeutet jeder Blick auf den Stein am Boden eine Verbeugung vor dem Toten“, brachte er es im Vortrag auf den Punkt. Das Material des polierten Messings ist für ihn dabei sehr wichtig: „Die Erinnerung wird bei den Stolpersteinen immer wieder blankpoliert.“ Auch die Entscheidung, jedem einzelnen Menschen einen individuellen Stein zu widmen, traf der Künstler gleich am Anfang des Projektes. Trotz der mittlerweile mehr als 44.000 verlegten Steine in über 900 deutschen Kommunen und 17 Ländern Europas ist es für Demnig bei allem Arbeitsaufwand eine unumstößliche Prämisse, dass jeder Stein eine Handarbeit bleibt: „Jeder Buchstabe wird manuell in das Messing eingeschlagen. Mit den Steinen kommen die Namen der Opfer zurück. Das darf nie eine mechanische Fließbandarbeit werden.“ Gerade angesichts der überwältigenden Opferzahlen des Nationalsozialismus legt er ganz bewusst mit jedem Stein das Augenmerk auf ein einzelnes Schicksal, das Individuum, das sonst in der Masse unterzugehen droht. „Wenn bei der Verlegung der Steine Angehörige anreisen und sich Familienmitglieder überhaupt erst kennenlernen oder Überlebende Geschichten über die Opfer erzählen, dann weiß ich, warum ich das tue!“, resümierte Demnig sein „Lebenswerk Stolpersteine“, das auch bei Jugendlichen auf eine enorme, positive Resonanz stößt. In der abschließenden, regen Diskussion wurde die von einem breiten Konsens in der Königsteiner Bevölkerung getragene und geteilte Freude darüber deutlich, dass auch in Königstein nach einer ersten Idee zur Stolpersteinverlegung im Jahr 2006 nun, 2013, mit zunächst 18 Steinen an die Königsteiner Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen erinnert wird.

Petra Geis (li.), eine der Initiatorinnen der Stolpersteine Königstein, und Gunter Demnig, Künstler und Urheber der europaweiten Aktion Stolpersteine, informierten am Vorabend der Verlegung in Königstein noch einmal ausführlich über das Projekt und erfreuten sich zahlreicher Zuhörer.

Foto: Oberhansl



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