Gedenken an die Opfer des Novemberpogroms

Königstein
(js) – Sie springt nicht jedem sofort ins Auge, manch ein Spaziergänger wird vielleicht sogar an ihr vorüber eilen, ohne sie zu bemerken. Die Rede ist hier von der kleinen Synagoge, die sich seit 1996 beim Seilerbahnweg im Kurpark befindet und gleichsam aufgrund der furchtbaren Geschehnisse in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 als Mahnmal dient. Meistens erinnere man sich ja nur gerne an schöne Erlebnisse, wobei man unschöne Erinnerungen eher verdränge, so Bürgermeister Leonhard Helm. Dabei sei die gedankliche Auseinandersetzung mit schwierigen Zeiten mindestens genauso wichtig, denn sobald man aufhöre über die geschichtlichen Ereignisse der Vergangenheit zu reden, gerieten diese allzu leicht in Vergessenheit und mit ihnen die Opfer. „Leider gibt es immer weniger Zeitzeugen, umso wichtiger ist es da, dass wir uns auf unsere Gedächtnissteine und eine gute Forschung stützen können“, konstatierte der Bürgermeister, der hofft, dass auch die von Künstler Gunther Demnig ins Leben gerufene „Aktion Stolpersteine“, seit 2013 auch in Königstein vertreten, die Erinnerung an die Opfer der Vernichtungsmaschinerie wachhält.

Ein wesentlicher Aspekt beim Zusammentreffen vor der „Miniatursynagoge“ ist natürlich stets das gemeinschaftliche Erinnern sowie die Andacht an das, was in der Pogromnacht geschah. Um ihren ganz persönlichen Gedanken Ausdruck zu verleihen, erschienen auch Schülerinnen der St. Angela-Schule sowie der Lichtigfeld Schule, die mit ihren Religionslehrern jeweils einen Psalm vorbereitet hatten. In ganz und gar raffinierter Weise transportierten die Schülerinnen mit Gestik und Mimik den von ihnen ausgewählten Psalm 30. „Sei mir eine feste Burg, mir zu helfen“, heißt es an einer entscheidenden Stelle des Psalms, in dem es bezeichnenderweise um die Erbetung von Gottes Hilfe geht. Von Verzweiflung und Hoffnung zugleich ist dieser Ausruf geprägt, der hier in Bezug mit der Judenverfolgung zu setzen ist. Für die meisten heutzutage kaum mehr vorstellbar, ist das gesamte Ausmaß des Zweiten Weltkrieges, der durch so viel Schrecken, Leid, Vernichtung und Terror geprägt war. Sehr bewegend und ergreifend waren die Einblicke eines Sprechers in die Einzelschicksale zahlreicher jüdischer Königsteiner Bürger, unter anderem auch einflussreiche Kaufleute, die Hals über Kopf ihre Wohnungen verlassen mussten, um anschließend auf bestialische Weise der Vernichtung zum Opfer zu fallen. Einige seien Opfer medizinischer Versuche geworden, während andere durch schwere körperliche Arbeit oder Vergasung ihr Leben verloren hätten, so der Sprecher, der in seiner Rede natürlich auch auf die Frage des „Warum“ zu sprechen kam. Warum ließ Gott das alles zu? So viele junge Menschen seien dadurch um ihre Jugend gebracht worden, während es vielen alten Menschen nicht vergönnt gewesen sei, einen friedvollen Lebensabend verbringen zu können, weil sie entweder ihres Leben beraubt worden wären oder andernfalls ewig unter den Folgen des grausamen Krieges gelitten hätten, beschrieb der Redner die ausweglose Situation der damaligen Juden auf eindringliche Weise. Durch die plastische Darstellung wurde das unfassbare Geschehen wieder etwas greifbarer und auch verständlicher. Hier wurde eine Brücke zu den heutigen Verfolgten und aus ihren Ländern vertriebenen Flüchtlingen geschlagen, die in Königstein und anderen deutschen Städten eine Bleibe suchen oder auch schon gefunden haben. Jene müsse man genauso willkommen heißen, wie die damaligen vertriebenen Juden, die als Flüchtlinge in den USA und anderswo so offenherzig aufgenommen worden seien. Dies sei ein Beispiel für die Ausübung von Menschlichkeit. Auch wenn der Anlass ein trauriger war und die Melancholie förmlich in der Luft lag, so war da doch etwas Verbindendes und Vereinendes, das die Atmosphäre vor dem Gedenkstein wieder etwas auflockerte. „Wir sind hier eine tolle Gemeinschaft, bei der jeder seinen ganz persönlichen Beitrag zum Gelingen leistet“, lobte Leonhard Helm, der sich über so zahlreiches Erscheinen freute.

Eine schöne Geste war zudem das gemeinschaftliche Beten unter freiem Himmel sowohl auf Hebräisch als auch auf Deutsch, was noch mal die Verbindung zwischen beiden Religionen symbolisierte. „In jedem Juden stecke auch ein wenig Christ und umgekehrt“, gab einer der Sprecher zu verstehen, was so viel bedeutet wie, dass auch wenn sich Judentum und Christentum in gewisser Hinsicht unterscheiden, der dahinter stehende Grundgedanke doch derselbe ist. Einen geradezu schönen Abschluss bildete das „Vater-unser-Beten“, das von den Anwesenden zusammen mit Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer von der evangelischen Immanuelgemeinde laut und andachtsvoll gesprochen wurde, während man sich, zum Zeichen des gemeinschaftlichen Trauerns und Gedenkens der Opfer an den Händen hielt. Toleranz, Mitgefühl und Nächstenliebe sind wohl die entscheidenden diese Gedenkstunde prägenden Schlagwörter.

Versammlung zu Ehren der Opfer des 9. November 1938: Mit Gebeten, und Psalmlesungen von Schülern wird die Erinnerung jedes Jahr aufs Neue am Leben gehalten und mit ihr das Gedenken an die unzähligen, sinnlosen Opfer.

Foto: Schnurawa



X