Hans Eichel bei der SPD Königstein: Europa muss sich auf seine Stärken besinnen

Hans Eichel (v. li.), ehemaliger Bundesfinanzminister, SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Villmer, SPD-Ortsvereinsvorsitzende Dr. Ilja-Kristin Seewald, Kreisbeigeordnete Katrin Hechler, SPD-Mitglied Fritz Goebel, Landtagsabgeordnete Elke Barth und Brigitte Dietz (40 Jahre SPD). Foto: Schemuth

Königstein
(el) – Es war kein leichtes Thema, das sich die SPD Königstein für ihren Neujahrsempfang im Haus der Begegnung ausgesucht hatte. Dafür konnte Dr. Ilja-Kristin Seewald, SPD-Ortsvereinsvorsitzende, mit Hans Eichel, Hessischer Ministerpräsident a.D. und Bundesminister der Finanzen a.D., einen, wie sie formulierte, „Big Shot“ in Königstein begrüßen. Und an allen Tischgruppen im Raum Altkönig kam einem erstmal das SPD-Rot entgegen, schließlich half das auch nicht zuletzt, in den Köpfen zu verankern, dass der Kommunalwahlkampf in die heiße Phase eintritt.

„Ist Europa noch zu retten?“ Bevor Hans Eichel, in den Zug nach Berlin einstieg, tauchte er auf Wunsch der Gastgeber ganz tief in die Materie ein, zu der es in diesen Tagen nur zwei Ansichten geben kann, was schon wiederum an Schwarzweißmalerei grenzt: Entweder die Europäische Union kann es noch richten oder aber die Nationalstaaten müssen ran. Was man genau jetzt brauche, sei „Mut statt Wut“, gab Ilja-Kristin Seewald die Schlagzahl vor, die auch nicht zuletzt vor Ort Gültigkeit haben sollte. Sie selbst zieht ihren Hut vor allen, die sich im sozialen Bereich in der Zivilgesellschaft engagieren.

Jetzt gelte es für die Gemeinschaft von Willigen, durch konstruktive Politik die Dinge nach vorne zu bringen. Was das betrifft, so sei gerade die Zeit ein Luxusgut geworden, leitete Seewald ohne große Umschweife direkt über zum Gastredner des gut besuchten Nachmittags-Empfangs. Unter den Gesichtern im Saal waren auch SPD-Kreisbeigeordnete Katrin Hechler, SPD-Landtagsabgeordnete Elke Barth und Hildegard Klär (SPD) als Vorsitzende der Europa Union Hochtaunus auszumachen, auf deren Anruf hin Gastredner Hans Eichel sich auf den Weg nach Königstein gemacht hatte.

Die Sorgen um Europa seien groß, hatte die SPD-Ortsvereinsvorsitzende eingangs in den Raum gestellt und keiner der Gäste vermochte ihr da innerlich wirklich zu widersprechen. Allerdings war es spannend zu sehen, welchen Weg der Referent einschlagen würde und wie sein Fazit am Ende aussieht. Man sollte auf jeden Fall daran festhalten, was Europa erreicht hat, nahm Seewald das Plädoyer schon mal ihrerseits vorweg, verbunden mit dem Wunsch, dass gemeinsam Lösungen entwickelt werden und weiterhin über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Hans Eichel sieht es ähnlich. Er gehöre nicht zu den Pessimisten, dafür habe Europa zu viel gemeinsames Fundament. Was viel eher negativ ins Gewicht falle, sei, dass man sich ständig von einem Erregungszustand zum anderen rede. Dadurch würden Krisen in den Köpfen ausgelöst und nicht zuletzt durch die Auftritte immer gleicher Gesichter in den üblichen Talkshows.

Dabei habe schon Kant im 18. Jahrhundert ein vereintes Europa für die Bedingung von Frieden in Europa vorausgesetzt und zu Mut zu Europa aufgerufen. Doch zu einer Gründung der Vereinten Staaten von Europa sollte es nicht kommen, obwohl die SPD 1925 in ihrem Heidelberger Programm diese Idee nochmals aufgegriffen hatte. Die Folgerung: Europa habe erst eine Menge Kriege gebraucht, bis es die Idee begrüßen würde.

Dabei sei es so einfach: Es gebe keine vernünftige Alternative zur Einigung Europas. Auch gebe es genauso wenig Austrittsklauseln für die Mitgliedsstaaten, die dann auch einen Ausschluss aus der Währungsunion zur Folge hätten, klärte Eichel im Hinblick auf die Griechenland-Krise auf. Seit dem Lissaboner Vertrag sei es lediglich möglich, aus der EU auszutreten.

Was alles andere betreffe, so müsse man sich im Klaren darüber sein, dass der Zug nach Europa nur in eine Richtung fahre. Man steigt ein und fährt mit. Europa sei ein fortlaufender Prozess. Das könne man mit Fahrradfahren vergleichen. Wenn man stehenbleibe, dann falle man um.

Im Kern von Europa steht für Hans Eichel die deutsch-französische Zusammenarbeit. Noch gut kann er sich an die Europa-Begeisterung im Jahr 2000 erinnern. Um es mit den Worten von EU-Präsident Jean-Claude Junker zu sagen: Wenn die (Deutsche und Franzosen) einig sind, dann sei allen klar, dass sie hinterher müssen. Wenn die beiden Großen uneins seien, dann wüssten alle nicht, wo es langgeht. Da spiele das kleine Luxemburg laut Eichel eine wichtige Rolle als Vermittler. Die Luxemburger verstünden beide.

Hinzu kommt, dass sich so mancher gar nicht im Klaren darüber sei, so Eichel, dass die EU die größte Währungszone der Welt darstelle und dass eine solch starke Währung wie ein Anker im Weltfinanzsystem fungiere, der nicht etwa zum Spielball der Finanzmärkte werden könne.

Es gebe auch viele Unwahrheiten, die in Zusammenhang mit dem europäischen Einigungsprozess stünden, sagte Eichel, der dies für pures Gift hält. Zum Beispiel hätte man über die Deutschen gesagt, dass die BRD zu groß sei, um sich in Europa zu integrieren und wiederum zu klein, um sie zu beherrschen. Dabei sei von Anfang an verfassungsechtlich klar gewesen, dass Deutschland wie alle anderen auch ein gleichberechtigtes Mitglid der Europäischen Union sei.

Falsch sei auch, dass man es mit einer Krise des Euro zu tun gehabt habe, stieg der ehemalige Bundesfinanzminister in die wirtschaftliche Analyse ein. Die Amerikaner und die Briten hätten sie auch gehabt und sie sei nichts anderes als eine Bankenkrise, die von den USA, bedingt durch den Häusermarkt, ausgegangen sei. Die Folgen davon hätten wir mitgetragen, indem wir „Schrottpapiere“ gekauft hätten. Auf diese Weise seien Bankschulden zu Staatsschulden geworden, was man an den Beispielen von Irland und Spanien gut sehen könne. Hier ist Hans Eichel heute noch der Meinung, dass die Banken eigentlich die Zeche zahlen müssten, schließlich hätten sie das Ganze angezettelt und bei den Menschen den Eindruck hinterlassen, dass immer die Falschen zahlen müssen. In diesem Zusammenhang halte er die Äußerung vom ehemaligen Deutsche Bank Chef Josef Ackermann für eine Frechheit, dass die Banken damit nichts zu tun hätten.

Die Menschen in Europa bräuchten eine Perspektive, so Eichel weiter, der hier auch eine gemeinsame Tarifpolitik für unabdingbar hält, um voranzukommen mit der Europäischen Integration. Er sei dafür, dass die Briten weiterhin an Bord bleiben. Aber, wenn sie den Euro nicht wollen, dann sollten sie den anderen bitteschön nicht reinreden, was dann zu tun sei…

In den Südländern müsste man der hohen Jugendarbeitslosigkeit und der Arbeitslosigkeit allgemein den Kampf ansagen. Hier plädiert der SPD-Mann für eine Ausbildungspflicht der Wirtschaft und sagt ganz klar: „Wir hätten das längst lösen müssen. Dazu müsse mehr in die Forschung und Entwicklung sowie in die Infrastruktur investiert werden. Außerdem in den Südländern in die kleinen und mittelständischen Betriebe. Schließlich gewinnen auch die Exporte mit einem stark bleibenden Europa. Es müsse Ausgleichs-Mechanismen geben. Außerdem komme auf die EU als größte Wirtschaftsmacht der Erde eine weitere mögliche Aufgabe zu, die sich jetzt schon abzeichne.

Mit China und den USA würden „zwei Tanker“ aufeinander zusteuern und es bleibe abzuwarten, welche Rolle Deutschland da zuteil werde. Eins sei klar: Beide hätten nicht das europäische Gesellschaftsmodell. Während in den USA die Ungleichheit in den Genen liege, teile China nicht unsere Vorstellung von Bürger- und Menschenrechten. Europa müsse zusammenstehen und als dritte Macht dazwischenstehen im Interesse des freien Handels und gegen eine Blockbildung.

„Europa und das Mittelmeer“ – auch hier sieht Hans Eichel Handlungsbedarf und räumt Fehler ein im Umgang mit den so genannten „zerbrochenen Staaten“. Wir hätten irrtümlich geglaubt, wenn wir das Regime beseitigen, dass wir dann die Demokratie reinbringen könnten.

Im Umgang mit Syrien habe man nicht anders handeln können. Man habe die Franzosen mit ihren militärischen Einsätzen nicht allein lassen können, selbst wenn man der Auffassung sei, dass die Franzosen eher ihren Kampf mit dem Problem hätten, dass ihnen die Integration im eigenen Land nicht gelungen sei.

Hans Eichel glaubt nicht, dass das Thema „Flüchtlinge“ Europa zerreißen werde, selbst wenn es sich um ein dickes Brett handele, was da gebohrt werden müsse und sich keine Lösung von heute auf morgen abzeichne. Auch sei klar, dass man nicht so viele Menschen so schnell aufnehmen könne. Die Obergrenzen-Regelung bringe da auch keine Lösung. Was solle man tun, wenn die erreicht sei? Man müsse vorrangig den Ländern helfen, in die die Flüchtlinge zuerst gehen. Aber stattdessen, als man die ersten Bilder von den Booten vor Lampedusa gesehen habe, habe man geglaubt, dass dies nicht unser Problem sei.

Auch der türkische Ministerpräsident Erdogan hätte sich nicht so entwickelt, wenn man ihm gegenüber offener gewesen wäre, glaubt Eichel.

Dass die Kanzlerin die Menschen aufgenommen habe, sei folgerichtig. Doch sie hätte laut Eichel sagen müssen, dass dies kein Dauerzustand sei. Auch müsse man wissen, wer genau einreist. Dies stets vor dem Hintergrund unseres Grundgesetzes, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Man müsse die Menschen anständig behandeln, so lange sie sich auf deutschem Boden befänden. Es könne aber nicht sein, dass Frauen begrapscht würden, selbst wenn dies auch damit verbunden ist, dass wir in den vergangenen Jahren an Polizei gespart hätten. Genauso sind Anschläge auf Asylbewerberheime zu verurteilen. In beiden Fällen sei man den Tätern nicht habhaft geworden. Bürgerwehren könnten wir ebenso wenig zulassen. Deutschland stehe vor einer großen Integrationsaufgabe. Es kommen viele Akademiker zu uns, aber auch unzählige Ungebildete. In dieser Herausforderung sieht Eichel auch eine Chance, einiges in Ordnung zu bringen, was wir hätten schon längst tun müssen. Schließlich seien wir aktuell in einer glänzenden wirtschaftlichen Verfassung.

Leerstände nutzen, das fordert Hans Eichel in punkto Unterbringung der Flüchtlinge. Königsteins Bürgermeister Leonhard Helm bewertet die Situation vor Ort im Hochtaunuskreis anders. Dieser sei leerstandsfrei. Die Asylbewerber würden zugewiesen und man stünde in der Pflicht, Wohnraum zu schaffen.

Zu guter Letzt wurden nach der interessanten Thematik, der sich noch so manche Frage anschloss, folgende SPD-Mitglieder geehrt: Inge Jivanijee, Christine Bopp und Ulrike Blumenschein (10 Jahre), Thomas Villmer und Amina Beyer-Kutzner (25 Jahre), Brigitte Dietz (40 Jahre), Gerd Menger (50 Jahre) sowie Fritz Göbel und Bernd Fricke für 60 Jahre Treue zur SPD.



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