Integrierte Lyrik. Integriert Lyrik? Integrer Lyriker Wendelin Mangold (be)schreibt den „Sprung ins Wasser“

Wendelin Mangold: Sprung ins Wasser. Integration: Gedichte und Texte. Erschienen im Geest-Verlag, Vechta 2011. ISBN: 978-3-86685-290-7 Repro: Friedel

Königstein (hhf) – Lyrik, Gedichte, verdichtete Sprache sind Kunstformen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht jeder mag, einen Gedichtband in die Hand zu nehmen ist eher aus der Mode gekommen. Im Gegensatz dazu zeigen die Verkaufszahlen von „Harry Potter“ oder der Krimis von Nele Neuhaus, dass gekonnt gesetzte Worte, also auch verdichtete Sprache, durchaus noch den Geschmack der heutigen Gesellschaft treffen.

Eventuell hat hier der frühere Deutschunterricht mit allerlei moralisierendem, trockenen Material einen falschen Eindruck hinterlassen, doch damit hat Dr. Wendelin Mangold nicht viel zu tun – außer, dass er selbst nicht nur Deutschlehrer war, sondern sogar Deutsch-Lehrer-Ausbilder und das in der ehemaligen Sowjetunion. Ohne Frage resultiert hieraus ein besonderer Zugang zum Problem der Migration wie auch der folgenden Integration, deren Sprachprobleme er sicher auch stellvertretend für Angehörige anderer Sprachgruppen treffend beschreibt:

Zum Sprachtest

Ihn hat der Hafer wohl gestochen,

Als er nach Deutschland ausgereist.

Und er beschloss: „‘s wird deutsch gesprochen,

Damit der Nachteil mich nicht beißt!“

So wie in seinen jungen Jahren

Nun drückt er brav die harte Bank.

Er hat im Sprachkurs viel erfahren

Und zollt dem Lehrer dafür Dank.

Er grüßt jetzt morgens „Guten Morgen!“

Und „Sdrasdwuitje“ heißt „Guten Tag“,

Das Lernen nimmt ihm so die Sorgen,

Auch ist er nicht mehr der „Durak“. (russisch für „Dussel“)

Er schreibt ans BVA aus Hessen (Bundesverwaltungsamt)

Und hier sein Brief ganz allgemein:

„Führt bitte schnell den Sprachtest ein,

Damit wir Russisch mal vergessen!“

Vielleicht eignet sich sein Gedichtband „Sprung ins Wasser“ auch als Fortgeschrittenen-Lektüre in den Deutschkursen des Ausländerbeirats? In jedem Fall führt Mangold auch die Einheimischen auf interessante Weise an eine der großen Problematiken im Land heran, aber in der Regel ohne erhobenen Zeigefinger. Den Stil beschreibt sein Verlag wie folgt: „Seine besondere Begabung, kreativ, wortwitzig und originell zu schreiben und sich sprachlich, inhaltlich und formbewusst auszudrücken, macht den Reiz seiner poetischen Texte aus“, ein Urteil, das nach der Lektüre des Büchleins von immerhin 242 Seiten als Wahrheit statt Werbung gelten darf. Spielt der Autor gerne auch einmal mit dem Schriftbild, so führt an anderer Stelle sein breiter Gedankenhorizont immer wieder zu Verblüffung:

Im Paradies

Kein Schmerz, kein Leid,

Nur Glückseligkeit.

Im Garten Eden, ohne Not

Bei Gott kein Leben,

Sondern Tod.

Auch die Einteilung der Gedichte, je eines pro Seite, in Kapitel gibt die ganze Bandbreite der Betrachtungen wieder: „Hier“, „Dort“, „Angekommen“, „Angelehnt“, „Gelacht“ und „Konkret“ lauten die Überschriften. Darin versteckt nicht nur die Reihenfolge der eigenen Lebensreise, sondern auch erkennbar der Schwerpunkt, die Aussiedlung der Russlanddeutschen „zu einem guten Schluss“ in der Bundesrepublik zu bringen.

“Mangolds Lyrik bereitet für uns Außenstehende und auch für die Betroffenen die Problemstellungen dieses Migrationsprozesses in literarisch verdichteter und zugleich feinfühliger Weise auf, verlangt zudem vom Leser eine weiterführende Handlung“, schreibt Alfred Büngen in seinem Geleitwort „Sich aus dem Schatten des Gestrigen wagen“. Zu seinem eigenen Verständnis von gestern, heute und morgen ein weiteres Beispiel aus der Feder des Dichters:

Rezept gegen das Altern

Dem Haar habe ich gesagt,

Bleibe voll.

Es wurde schütter.

Der Haut hab ich gesagt,

Bleibe straff.

Sie wurde runzlig.

Den Augen hab ich gesagt,

Bleibt scharf.

Sie wurden schwach.

Zu mir hab ich gesagt,

Bleibe jung.

Und ich blieb es.

Bei regelmäßigen Lesungen in Bonn, Kassel, oder auf der „Migrationswoche“ im September 2011 im „Haus des Ostens“ in München ist es dem Lyriker regelmäßig gelungen, sein Publikum trotz schwerer Materie auch zum Lachen zu bringen: Mit „Warst du nie im Knast, hast du viel verpasst“ erinnert Mangold an die Schwierigkeiten der vergangenen Lebensabschnitte, als „Senior Migrant“ ist er seit dem 27. Juli 2011 offiziell lizensierter Helfer im bundesdeutschen Diesseits. Zuvor war er allerdings schon 17 Jahre in der katholischen Seelsorge für Spätaussiedler als Sozialarbeiter tätig. Um die oft zu Herzen gehende Tätigkeit und auch die vielen Überstunden zu verarbeiten, schrieb Dr. Wendelin Mangold schon früh Gedichte, die bereits einige Bücher füllen - ein Umstand, der selbstverständlich eine eigene Reflexion verdient:

Deutscher Wald

Da wachsen Eiche,

Birke, Tanne,

Goethe, Schiller

Und Fontane

Auch ich bin hier voll Stolz,

Wenn auch bloß als Unterholz.



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