Auch in der künftigen „Stromgesellschaft“ aus erneuerbaren Energien lohnt das Sparen

Königstein (hhf) – „Wir sind eine Industriegesellschaft“, da war sich Professor Dr. Diether Döring sicher, als er den vorletzten Termin des Königsteiner Forums in diesem Jahr eröffnete. Geöffnet hatte auch wieder die Volksbank und ihre Schalterhalle zum Hörsaal umfunktioniert, ein reichhaltiger Büchertisch der Buchhandlung Millennium komplettierte das Campus-Gefühl.

Nichts weniger als die „Zukunft der Industriegesellschaft“ stand auf der Tagesordnung, brandaktuell, hatte doch gerade wieder der Weltklimarat angemahnt, dass die Politik dringend mehr Druck auf die Emissionsbremse ausüben müsse. Mit dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hatten die Organisatoren dafür ihren „Wunschreferenten“ zu Gast, eine Funktion, die Prof. Dr. Martin Faulstich zunehmend aus dem Lehrbetrieb der Universität herauszieht. Seine Promotion hat der Diplomingenieur für Maschinenbau und Verfahrenstechnik in Umwelttechnik absolviert und bekleidete von 2003 bis 2012 den Lehrstuhl für Rohstoff- und Energietechnologie an der TU München, bevor er Umwelt- und Energietechnik in Clausthal lehrte.

Eine Besonderheit im Ablauf des Abends stellte sicherlich die auf den Vortrag folgende „Anmerkung aus der Praxis“ dar, sie stammte von Dr. Constantin H. Alsheimer. Der gelernte Bankkaufmann und promovierte Jurist hat einige Erfahrung in der Leitung der öffentlichen Hand unterstellter Positionen gesammelt, bevor er 2006 in den Vorstand des regionalen Energieversorgers Mainova wechselte, dessen Vorsitz er seit 2009 inne hat. Zunächst hatte aber der gar nicht so praxisferne Theoretiker das Wort.

„Schauen Sie sich mal im Raum um, alles ist industriell gefertigt“, untermauerte er seine Einschätzung, dass die Wissens-, Kommunikations- und Dienstleistungsgesellschaft ihr Fundament in der Industriegesellschaft hat. Die sei an sich auch nichts Schlechtes, nur muss sie sich eben vom bisherigen hohen Verbrauch fossiler Energien dringend abkoppeln. Genau dort aber klemmt es seit geraumer Zeit: Seit 40 Jahren ist der Begriff Umweltschutz anerkannt, seit 20 Jahren ist von Nachhaltigkeit und Klimaschutz die Rede. Immerhin gibt es in Deutschland seither sauberes Trinkwasser, bessere Luft und eine geregelte Müllverbrennung, doch sind das nur Tropfen auf den heißen Stein.

Global sieht es wesentlich schlechter aus, während „Schwellenländer“ kräftig Nachholbedarf an Industrialisierung anmelden klinkt sich vor allem die USA aus den Bemühungen um Energiewandel aus und bläst kräftig weiter Kohlendioxid in die Luft. Genau das aber ist der Pferdefuß, denn die CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre ist der wirklich begrenzende Faktor: „Wenn wir noch für 10.000 Jahre Öl und Kohle im Boden hätten, wir müssten es drin lassen...“ Nicht der Rohstoffverbrauch, sondern die Entkopplung des Kohlendioxidausstoßes von wachsender Bevölkerung und Wirtschaft ist die vordringliche globale Herausforderung, um eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf zwei Grad einzuhalten.

Die aktuelle Diskussion in Deutschland, ob mit „Fracking“ weitere fossile Energiequellen erschlossen werden können, ist also ähnlicher Unfug wie die Ausweisung neuer Braunkohle-Abbaugebiete in Brandenburg und Sachsen-Anhalt – da hat die Regierung wohl nicht auf ihre Berater gehört. Bayerns Seehofer zunächst übrigens auch nicht, nach der Atomkatastrophe von Fukujima begrüßte er aber Berater Faulstich plötzlich mit den Worten „Da kommt ja mein Missionar.“ Ähnlich dem langsamen und organisierten Ausstieg aus der Atomenergie plädiert Professor Faulstich auch für die Wende von fossiler zu regenerativer Energie für ein langsames, aber konsequentes Vorgehen, am besten setzen sich Staat, Kommunen, Energieversorger und Umweltbehörden an einen tisch und arbeiten ein vertragsähnliches Werk aus: „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets, dort haben sie den Strukturwandel auch geschafft.“

Längst geschafft hat es übrigens auch schon die Bahn, die seit geraumer Zeit den überwiegenden Teil ihrer Mobilität aus Strom gewinnt – nun muss der nur noch auf andere Weise als bisher erzeugt werden. Dabei wird die größte Umstellung sein, dass die Energie in der künftigen „Stromgesellschaft“ nicht mehr von zentralen Kraftwerken dort erzeugt wird, wo sie gebraucht wird, sondern dort, wo die Natur Wind Sonne oder Wasser zur Verfügung stellt.

Was die Bahn kaum kümmern dürfte, treibt daher die bisherigen Industriezentren um, Speicherung und Transport von Energie oder Strom bekommt also Priorität. Ungewohnt dürfte auch die Umstellung von Wohnwärme auf Strom sein, althergebracht dagegen deren Einsparung durch intelligente Architektur. „Wenn ich vor 21 Jahren hier ein Smartphone hochgehalten hätte...“ Mit diesem Vergleich mahnte der Referent an, sich intensiv mit Lösungen für die Energiewende zu beschäftigen, vieles sei heute immerhin schon vorstellbar wie die Spaltung von Wasser und der Transport des Produktes in Form künstlichen Methans über bisherige Vertriebswege, bis 2040 dürfe die Umstellung ruhig dauern. „Ganz Deutschland ist übersät mit Autobahnen und Flughäfen“, obwohl dies nicht jedem Bürger passt, also muss auch in Sachen Stromtransport ein Kompromiss möglich sein. Energiesparen ist dabei immer noch die beste Möglichkeit, denn dann muss auch weniger transportiert werden.

„Was alle angeht, können nur alle lösen“, schloß Martin Faulstich seinen Vortrag mit Dürrenmatt: „Wir können gar nicht vor der Industriegesellschaft entfliehen“, aber sie verändern. Zwei Säulen werden dabei tragend sein: 100 Prozent erneuerbare Energien und 100 Prozent Recycling, denn Rohstoffe sind nicht nur zum Teil klimaschädlich, sondern auch knapp: „Wir tragen 60 bis 70 Prozent des Periodensystems in unseren Handys“ – Henry Ford kam zum Autobau noch mit 10 davon aus. Der Forderung nach geschlossenen Kreisläufen bei Energieträgern und Rohstoffen schloss sich Dr. Constantin Alsheimer in seiner „Anmerkung aus der Praxis“ ebenso an wie dem Ziel, bis 2050 kein (zusätzliches) Kohlendioxid mehr freizusetzen, doch beklagt der Energiemanager Untätigkeit in der Politik. Was sein Vorredner bereits andeutete konkretisierte er: „hocheffiziente Kraftwerke stehen still“, da gerade Braunkohle subventioniert werde, umgekehrt ärgern sich Erzeuger von lokaler Energie, dass sie zur Versorgungssicherheit auch die übergeordneten Versorgungsbetriebe mitfinanzieren müssen.

Wo derzeit europaweit keine politische Kraft in Sicht sei, ein neues „Marktdesign“ für den Energiehandel zu entwerfen, seien aber auch Industrie und Kleinanleger mit in der Schuld: „Die deutsche Industrie schaut nicht auf lange Distanz – Vorstände entscheiden heute nach der Frage, wo Energie in Europa innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre am billigsten ist.“ Einigkeit herrschte auch hier zwischen den Referenten: Das Gelingen der Energiewende hängt von einer mutigen Umgestaltung des Marktes ab, wobei auch Knappheit oder ein Handel mit CO2-Zertifikaten durchaus vorstellbar ist.

Diesmal wirklich die drei von der Tankstelle, wenn auch weniger für fossile Treibstoffe: Prof. Dr. Diether Döring, Prof. Dr. Martin Faulstich und Dr. Constantin H. Alsheimer (von links nach rechts) warben im Königsteiner Forum für erneuerbare Energien: „Sonne und Wind stellen keine Rechnung“.

Foto: Friedel



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