Die Menschen haben verlernt, miteinander zu reden

Wilhelm Engel bringt den Menschen seit vielen Jahrzehnten bei, wie sie wertvolle Gespräche im privaten und beruflichen Umfeld führen können, die sie im Leben weiterbringen. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Dialogkultur, was ist das? Ja, werden Sie automatisch denken, das ist doch, wenn zwei Menschen miteinander reden – ganz normal. Ist es das wirklich oder reden wir heute nicht öfter als es uns lieb ist, einfach aneinander vorbei, nur um einen Punkt zu machen oder etwa, um sich selbst durchzusetzen oder gar wichtig zu tun? Was auch immer die Beweggründe sind, Fakt ist – und das weiß Wilhelm Engel als Gründer der Königsteiner Akademie sowie Vater und Förderer der so genannten „Dialogkultur“ mit am besten – haben wir verlernt, richtig miteinander zu sprechen, nicht etwa, weil wir es nicht wollen, sondern weil wir es nicht können.

So richtig bewusst geworden sei ihm das während seiner beruflichen Laufbahn als Industriemanager. Hier konnte er zum ersten Mal in der Praxis beobachten, was es bedeutet, mit der „Managerkrankheit“ infiziert zu sein bzw. Dialoge mit dem Ziel zu führen, anderen „eins auszuwischen“. Das ist nicht wirklich zielführend, dachte sich der Unterliederbacher schon damals und nahm sich vor, die Ursachen für diese mangelnde Dialogkultur zu ergründen. Dabei stellte er fest, dass 20 Prozent der Probleme auf technische und der Rest auf das Zwischenmenschliche zurückzuführen sind. Als Vorsitzender des Vereins für Strategiefragen spezialisierte sich Engel, der einen stets mit einem aufmerksamen Funkeln in den Augen und einem wohlwollenden Lächeln begrüßt, auf die Fragen der Zusammenarbeit in Unternehmen.

Als Vorläufer der 1982 von ihm ins Leben gerufenen Königsteiner Akademie gründete der heute 86-Jährige, der immer noch viele seiner Seminare selbst leitet, das Institut für Kybernetik, das unter anderem das Feedback in der Weiterbildung in den Mittelpunkt stellte, um so Zusammenhänge, die auf den ersten Blick nicht zu erfassen waren, besser erkennen zu können. Das oberste Ziel dabei: mit sich und anderen besser zurechtzukommen.

„Lernen durch Erleben“ lautet die Maxime der Königsteiner Akademie. Das Leitbild hierfür hat sich Wilhelm Engel von seinen Vorbildern, den Philosophen Platon, Hegel und anderen abgeschaut und ihre Haltung ein Stück weit in sein eigenes Konzept integriert. „Wir wollen gute Arbeit leisten mit unseren Seminaren und dass man dabei auch noch Geld verdient, ist mir eher peinlich“, meint Engel auch so, wie er es formuliert, denn für ihn steht ganz klar im Vordergrund, Unternehmen dabei zu helfen, die Dialogkompetenz und das authentische Auftreten ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter zu fördern.

Erstaunlicherweise ist die Akademie seit Jahrzehnten ein Selbstläufer und macht kaum Werbung für ihre Zwecke. Dennoch verzeichnet man über die Jahre immer wieder Buchungenvon kleinen und mittelständischen Unternehmen, darunter auch bekannte Branchenriesen wie etwa der Weltmarktführer im Bereich Motorsägen, die Firma Andreas Stihl oder aber Evonik Industries, die Messe Frankfurt sowie die KfW-Bankengruppe. Sie alle zählen zu den Referenzen der Königsteiner Akademie ebenso wie viele Privatleute, die an den verschiedenen Stufen des Königsteiner Dialog-Trainings teilnehmen, das wie die Stufen einer nach oben führenden Treppe aufeinander aufbaut, um die Persönlichkeitsentwicklung voranzutreiben.

In der Regel finden die Seminare an drei Tagen statt, damit, wie Engel sagt, sich das Erarbeitete über Nacht setzen kann, um es am nächsten Tag vertiefen zu können. Das sei, wie einen Anker setzen. Vor Kurzem hat der Gründer der Königsteiner Akademie, der übrigens derzeit auch in Sachen Dialogkultur im Schriftverkehr mit dem Vatikan steht, einen Versuchsballon gestartet, indem er in den Räumen des Königsteiner Hotels Königshof ein eintägiges Einstiegsseminar der Dialogstufe eins abgehalten hat. Für manche war dies die perfekte Gelegenheit, ihre in früheren Seminaren von Wilhelm Engel gewonnenen Erkenntnisse aufzufrischen. Andere wiederum sahen im Tagesseminar eine willkommene Gelegenheit, einfach in die Materie „hineinzuschnuppern“.

Dazu boten sich die verschiedensten, von Engel entwickelten Methoden an, um den Einstieg in das „Miteinander-reden“ zu erleichtern und so manche Hemmschwellen zu nehmen. „Bei so einigen Teilnehmern spielt im Vorfeld die Angst eine Rolle, nicht so bleiben zu dürfen wie man ist oder aber sich zu entblößen und eine Rolle spielen zu müssen“, weiß Engel um die Befürchtungen, die sich aber im Laufe des Seminars alle in Luft auflösen, sobald man sich der wertschätzenden Kommunikation widmet und feststellt, dass da vor allem positives Feedback von den anderen Teilnehmern zurückkommt.

Dabei dienen kleine Übungen, wie etwa dem direkten Gegenüber einen Zettel mit Fragen zu beantworten, als Eisbrecher und erleichtern den Einstieg in „bewusstseinserweiternde“ Übungen, bei denen man für den Dialogpartner mit geschlossenen Augen den Seminarraum beschreiben soll, vor den anderen ein spontanes Referat über das Thema „Aufmerksamkeit“ hält oder aber einen vorgegebenen Text mit der Prämisse liest, seinen Geist zu entschleunigen.

Das fällt oftmals gar nicht so leicht wie anfangs gedacht. Nach der Kaffeepause dann die Vorstellung vor der Gruppe, gefolgt von der Feststellung: Das war doch gar nicht so schlimm, um dann nach der gemeinsamen Mittagspause mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein und vor allem Klarheit in die nächste Runde zu gehen.

Je nachdem, welche Dialogstufe man gerade durchwandert, wird man auch lernen, wie man vor einer Gruppe seinen Standpunkt durchsetzt, ohne dass die Situation eskaliert. „Wir Europäer brauchen etwas, was zu uns passt“, sagt Wilhelm Engel. Die Asiaten hätten ihren Buddha, der ihnen den Aspekt der Achtsamkeit lehrt. Wir hätten dafür das Aufmerksamkeitstraining, das auf uns zugeschnitten sei.

Das Team der Königsteiner Akademie wird neben Wilhelm Engel auch von sieben weiteren Trainern gebildet. Seit vielen Jahren hat die Akademie an die Universität Siegen eine Seminarlizenz zur Ausbildung von Pädagogen vergeben. Mit ihrem Weiterbildungskonzept strebt die Akademie eine gesunde Balance zwischen privatem, beruflichem und gesellschaftlichem Miteinander an und als Antwort auf Industrie 4.0.



X