Ein neues Zuhause in Königstein – Omran und Mohamad aus Syrien

Gemeinsame Mahlzeiten sind ein kleiner Trost in der neuen Heimat, wenn Heimweh und Einsamkeit schmerzen. Foto: Privat

Königstein (aks) – Man sieht ihnen ihre Herkunft nicht an, der eine hat blaue, der andere grüne Augen und dennoch gehen die Menschen kaum merklich auf Distanz, wenn die beiden jungen Syrer den Bus betreten. Seitdem einzelne Terrorakte auch Deutschland erreicht haben, ist die Angst größer geworden vor allem Fremden. Wenn er unterwegs ist, sagt Mohamad, hat er auch Angst vor Terror, er fürchtet sich vor Glatzköpfen mit langen Bärten, die ihn an den Schrecken der IS-Kämpfer erinnern.

Omran und Mohamad sehnen sich nach Frieden und Sicherheit, denn sie und ihre Familien haben schließlich am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, wenn Städte Tag und Nacht bombardiert werden – und haben sich zur Flucht entschlossen. Beide stammen aus Damaskus, der ältesten Stadt der Welt, die zum Teil schwer zerstört wurde. Hasans Vater besaß eine Schokoladenfabrik, Mohamads Vater ist Innenarchitekt, die beiden hatten ein gutes, behütetes Leben.

Die Fotos, die sie auf dem Handy zeigen, sprechen eine grausame Sprache, die Fabrik ist zerstört, und das Büro liegt in Schutt und Asche. Arbeit gibt es keine mehr und der Weg zu den wenigen Schulen ist wegen mangelnder Transporte viel zu weit. Ihr Land ist „kaputt“, ein Wort, das sie oft wiederholen. Sie haben ihr Zuhause, Eltern und Geschwister verlassen, weil sie nicht kämpfen wollen, weder für Assad noch für Al-Kaida noch für den Islamischen Staat. „Wenn die allgemeinen Menschenrechte wie ein nahezu unerreichbarer Traum erscheinen, ist dies der schmerzlichste aller denkbaren Zustände – und Normalität in meinem Land“, so beklagt der syrische Lyriker Fady Jomar die Zustände in seiner Heimat. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 sind 400.000 Menschen getötet worden, 11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Die UN spricht von der schlimmsten Krise seit dem Völkermord in Ruanda.

Omran und Mohamad sind jung und haben das ganze Leben noch vor sich. Die beiden Syrer möchten einfach in Frieden leben, arbeiten und sich ein Leben in Sicherheit aufbauen.

Der 20-jährige Omran erlebte eine abenteuerliche Flucht mit 40 anderen Flüchtlingen in einem Acht-Meter-Boot bis Griechenland, weiter 22 Stunden zu Fuß, um zur nächsten Grenze zu gelangen. Er kam im August 2015 in Passau an, wo der bulgarische Schlepper sofort von der Zivilpolizei festgenommen wurde. Omran bewegt das Schicksal seines Bruders, der nach einem Verkehrsunfall seit Jahren auf den Rollstuhl angewiesen ist. Seine Familie lebt in Saudi Arabien, wo aber nur der Vater eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Obwohl der junge Syrer dort in relativer Sicherheit war, hat er dennoch unter Lebensgefahr die Flucht nach Deutschland gewagt, um seinem Bruder von dort aus zu einer besseren medizinischen Therapie zu verhelfen, damit er eines Tages wieder laufen kann. „In Saudi Arabien hilft uns keiner.“

Nun ist er seit neun Monaten in Königstein und hat Glück gehabt, weil er seit Kurzem ein Zimmer bei einer deutschen Familie gefunden hat und fleißig seinen Integrationskurs absolviert, der mit vier Stunden täglich plus An- und Abfahrt nach Oberursel die meiste Zeit des Tages beansprucht. Er drückt sich sehr vorsichtig aus, will nichts Falsches sagen und wirkt sehr schüchtern, aber man spürt seine große Dankbarkeit. Die Menschen hier in Königstein und allen voran seine Patin haben ihm mit viel Verständnis für seine Situation geholfen.

Es gibt nicht nur viele bürokratische Hürden, sondern auch Verständigungsschwierigkeiten, unterschiedliche Lebensstile, und für viele ist die Wohnsituation in den Unterkünften, wo so viele Menschen verschiedener Nationen zusammen leben müssen, inzwischen fast unerträglich. Ruhe und Privatsphäre sind schwer zu realisieren. Allzu sensibel darf man nicht sein, wenn man sich Schlafzimmer, Küche und Badezimmer mit vielen anderen teilen muss. Omrans Traum ist eine Anstellung als Schreiner, wo er sich wie in seinem früheren Leben als Küchenbauer beweisen kann.

Der 23-jährige Mohamad, gelernter Chocolatier und Elektrotechnik-Student, hat auch sein Leben riskiert für ein menschenwürdiges Leben in Deutschland. Sein Vater besaß eine eigene Schokoladenfabrik mit 20 Arbeitern, „jetzt ist alles kaputt!“ Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien gibt es kaum noch Arbeit. Die Familie mit dem 16-jährigen Bruder lebt in einer kleinen Wohnung. Das Geld der Familie wird jeden Tag weniger. Seine 24-jährige Schwester lebt in Saudi Arabien, verheiratet mit einem Syrer. Mohamad hat 2012 sein Abitur gemacht, war dann am Institut für Elektrotechnik. „Ohne den Krieg wäre ich jetzt an der Universität, in unserer Fabrik. 2010 habe ich mir eine Wohnung in Damaskus gekauft. Das ist alles kaputt.“ Die Fabrik ist kaputt, das Elternhaus ist kaputt, seine Wohnung ist kaputt.

Aus Mangel an Perspektiven entschied er sich schweren Herzens zur Flucht. Zunächst schaffte er es bis in die Türkei, wo er neun Monate ausharrte. Es gab auch dort keine Arbeit, der Aufenthalt hat ihn viel Geld gekostet und so floh er weiter nach Griechenland, von dort weiter in Tagesmärschen oder im Lkw, wo er teilweise mit 200 Menschen unterwegs war. Die letzte Etappe war die schlimmste, er zahlte 1.800 Euro für die Fahrt nach Österreich an serbische und ungarische Schlepper, Wasser gab es nur für zehn Euro die Flasche. Sie hatten es fast geschafft, als die Fahrer sie schlugen und ausraubten.

Seit 13 Monaten ist Mohamad in Königstein und hat nach einem abgeschlossenen Integrationskurs nun Aussicht auf eine Lehrstelle bei einer internationalen Hotelkette oder einem regionalen, sehr renommierten Pralinen-Hersteller. Wenn er einen Ausbildungsplatz hat, wird er auch eine Wohnung finden, da ist er zuversichtlich. Er möchte eine Lehre als Koch und Konditor machen und so seinen Traum verwirklichen, eines Tages ein Café aufzumachen in Frankfurt oder Königstein und später, wenn der Krieg vorbei ist, auch in Syrien.

Er fühlt sich in Königstein zu Hause, denn es sind „gute Menschen hier“. Es sei normal, dass die Menschen hier auch Englisch sprechen, das hat ihm am Anfang sehr geholfen. Anders war es bei seiner Ankunft in Gießen, wo man ihn täglich belehrte, dass er jetzt Deutsch sprechen müsse und ihn viele nicht verstanden haben. „Viele Menschen haben uns geholfen!“

Der schüchterne und zurückhaltende junge Mann ist eher Einzelgänger und hat sich nur wenigen anderen jungen Syrern angeschlossen. Die Gemeinschaft in der Unterkunft wird vor allem mit gemeinsamen Mahlzeiten gepflegt, zu denen auch oft die Paten und deutsche Freunde eingeladen werden.

Nicht nur die sprichwörtliche arabische Gastfreundschaft und die Essenskultur sind für unser Land eine Bereicherung, sondern die Menschen selbst, die sich um Integration und vollen Einsatz ihrer Talente bemühen. Die Sprache und unsere deutschen Gepflogenheiten lassen sich nicht von heute auf morgen lernen – da ist Geduld auf beiden Seiten angesagt. Es hilft schon, sich ab und zu vorzustellen, man wäre umgekehrt in Damaskus gestrandet – fern der Heimat und völlig unkundig der arabischen Schrift und Sprache. Da wäre jeder von uns für jede helfende Hand dankbar. Diese Hilfe ist der beste Garant für eine erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft. (Anm. der Redaktion: Um die syrischen Flüchtlinge nicht zu gefährden verzichten wir auf Fotos, außerdem sind die Namen nur der Redaktion bekannt.)



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