Plastikmüll? Kommt nicht mehr in die Tüte!

Die gute, alte Plastiktüte hat ausgedient, Stoffbeutel sind jetzt en vogue, der Umwelt zuliebe.

Königstein (sk) – „Möchten Sie eine Tüte für 10 Cent?“ – „Nein, danke!“, antwortet die junge Frau an der Kasse bei Müller und zieht wie selbstverständlich einen Jutebeutel aus ihrer Tasche, um ihre gekauften Waren einzupacken. Früher erhielten die Müller-Kunden ungefragt eine kostenlose Plastiktüte. Nun müssen sie für die Tüten zwischen 10 und 20 Cent bezahlen. Anders ist es bei dem Lebensmittelmarkt Rewe. Plastiktüten mussten dort immer schon bezahlt werden. Aber seit Anfang des Monats verzichtet der Markt gänzlich auf die Plastikbeutel. Stattdessen bietet Rewe mehrfach zu verwendende alternative Tragetaschen und Einkaufskartons zwischen 0,10 Cent und 1,79 Euro an. Rewe will mit der Abschaffung der Plastiktüte „Verantwortung für Mensch und Umwelt übernehmen“, wie es in einer hauseigenen Broschüre heißt. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der alternativen Tragetaschen unterstützt Rewe u.a. den Naturschutzbund. Der Bio-Lebensmittelhändler Alnatura hat nur Papiertaschen im Sortiment. Edeka Nolte bietet den Kunden mehrere Tüten-Alternativen an. So kann der Kunde zwischen 20 Cent teuren Plastiktüten, Papiertaschen, Jutetaschen oder Hartplastikkörben für knapp 10 Euro wählen. Allerdings verzichtet keiner der genannten Lebensmittelläden auf die sogenannten kleinen Hemdchentüten zum Verpacken von losen Waren wie Obst und Gemüse. Diese dünnen Tüten dürfen Verbraucher weiterhin kostenlos mitnehmen.

Bei der Tchibo-Filiale in Königstein gibt es seit Beginn des Jahres keine Gratis-Einwegtüten mehr. Die Kunden müssen 20 Cent für die Recycling-Plastiktüten bezahlen. Und beim Brothaus in der Königsteiner Hauptstraße weist ein Schild auf dem Tresen darauf hin, dass Plastiktüten 10 Cent kosten. Bei der Buchhandlung Millenium erhalten Kunden auf Wunsch weiterhin kostenlose Plastiktüten. Aber laut dem Inhaber Thomas Schwenk gingen seine Kunden problembewusst mit der Nachfrage nach Plastiktüten um. Viele hätten Einkaufstaschen und Jutebeutel dabei. Hedda Böhning von purpur fashion in der Hauptstraße bietet ihren Kunden kostenlose Papiertaschen an, denkt aber bereits über Alternativen nach. Für Tina Blome vom gleichnamigen Fachgeschäft für Damen- und Herrenmode ist die kostenlose Abgabe von Tragetaschen Teil ihres Kundenservices.

Was soll also die ganze Aufregung um die Plastiktüte? Ist die „Tütengebühr“ eine neue Methode, um den Kunden das Geld aus der Tasche zu locken? Allein REWE soll 4 Mio. € Gewinn pro Jahr mit dem Verkauf von Tüten gemacht haben. Soll dieser Profit jetzt durch teurere Alternativen gesteigert werden?

Die Antwort ist: Nein. Hintergrund der Diskussion über die Abschaffung bzw. Reduktion von Plastiktüten ist ihre umweltschädliche Auswirkung. Sie ist das Symbol für unsere Überfluss- und Wegwerfgesellschaft und führt zu einer unnötigen Verschwendung von Rohstoffen. Aus Rohöl unter Einsatz von Wasser und Energie hergestellt, fördert die Plastiktütenproduktion den Verbrauch endlicher Ressourcen. Erwiesenermaßen tragen Plastiktüten zu einer Vermüllung unserer Weltmeere bei. Plastikmüll macht etwa 70 Prozent des in Meeren befindlichen Abfalls aus. Der Großteil davon sind Plastiktüten und Plastikflaschen. Dieser Plastikmüll verrottet – wenn überhaupt – erst in etwa 500 Jahren. Zerfallenes Plastikmaterial, sog. Mikroplastik, wird von Krebsen und kleinen Fischen aufgenommen und gelangt so in die Nahrungskette des Menschen. Dünne Hemdchentüten, die wir für unser Obst und Gemüse in der Regel nur einmal verwenden, verwehen leicht, werden ins Meer gespült und dort beispielsweise von Meeresschildkröten mit Quallen verwechselt und gefressen. Die Tiere verenden daran qualvoll, weil sie das Plastik nicht verdauen können. Und besonders ärgerlich ist, dass nur jede 10. Tüte in der EU recycelt wird, somit 9 von 10 Tütenrohstoffen verloren gehen.

Insgesamt verbrauchen die Deutschen 71 Plastiktüten pro Kopf und Jahr. Der EU-Schnitt liegt bei 198 Tüten. Mit lobenswerten 18 Plastikbeuteln pro Kopf sind die Iren Europameister. Mit Blick auf ein ressourcenschonendes Europa fordert die EU nun, dass alle Mitgliedstaaten weniger der leichten Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke unter 50 Mikron (entspricht der klassischen Plastiktüte) verbrauchen sollen. Laut der EU-Richtlinie 2015/720 vom 29.04.2015 (zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG) soll der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Plastiktüten in der EU bis Ende 2019 auf 90 Tüten sinken. Dieses Ziel hat Deutschland bereits erreicht. Bis Ende 2025 soll ein EU-Bürger nur noch 40 Kunststofftaschen verbrauchen. Dicke Plastiktüten, die meist mehrfach verwendet werden, sowie die ganz dünnen Hemdchentüten, die der Erstverpackung von Lebensmitteln dienen, sind von der EU-Richtlinie ausgenommen. Jeder Mitgliedstaat kann selbst über die Maßnahmen entscheiden, mit denen er die Reduktion des Tütenverbrauchs sicherstellen will. Als besonders effektiv haben sich laut EU-Richtlinie Preisfestsetzungen, Steuern und Abgaben erwiesen.

In Deutschland wird die EU-Richtlinie mit Hilfe einer freiwilligen Selbstverpflichtung des Einzelhandels umgesetzt. Zu diesem Zweck haben sich das Bundesumweltministerium und der Handelsverband Deutschland (HDE) im April dieses Jahres darauf geeinigt, dass Plastiktüten nur noch kostenpflichtig an Kunden abzugeben sind, wobei die jeweiligen Händler die Höhe der Gebühr selbst festlegen können. Welche Unternehmen sich dieser Selbstverpflichtung freiwillig anschließen, ist zurzeit noch unklar. Von mehr als 260 beteiligten Unternehmen ist die Rede. Erhebliche Vorbehalte gegen die Selbstverpflichtung gibt es im Textilhandel sowie bei den Juwelieren oder Parfümerien. Ein vielzitiertes Argument ist, dass Textilien oder hochpreisige Luxuswaren nicht in einen Einkaufskorb zwischen Obst und Gemüse gesteckt werden könnten. Außerdem sei der knitterfreie Transport dadurch nicht gewährleistet. Und auf die bedruckten Tragetaschen als wichtiges Marketinginstrument wollen viele Händler auch nicht verzichten.

Ein Problem anderer Art hat der Buchhandel. „Unsere Papierware ist feuchtigkeitsempfindlich“, erklärt Thomas Schwenk von der Buchhandlung Millenium. „Selbst das Verpacken in einer Papiertasche löst dieses Problem nicht“. Außerdem wolle er seine Kunden nicht abschrecken, indem er sie nach dem Kauf teurer Bücher für die Tüte zur Kasse bitte, so der Inhaber. Man sei aber in der Diskussion mit anderen Buchhändlern in der Region und optimistisch, dass man kurzfristig gemeinsam zu einer guten Lösung kommen werde. Im Falle einer kostenpflichtigen Abgabe, sei es ihm wichtig, eine Regelung über die Verwendung der Tütengebühr zu finden. Hier denke er über eine Spende für die Leseförderung oder für die Stadtbibliotheken nach. Denn fest stehe, so Thomas Schwenk, dass die Händler mehr für die Tüten einnehmen als sie dafür ausgeben.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die freiwillige Vereinbarung mit dem Handel, weil kein Mindestbetrag für die Plastiktüten vorgesehen sei und Sanktionen bei einem Verstoß dagegen fehlten, so der Leiter der Umweltorganisation. Mit der Selbstverpflichtung ist „die milliardenfache Herausgabe von Plastiktüten auch in Zukunft möglich“, ist auf der Homepage der DUH zu lesen. Besser wäre eine gesetzliche Regelung, wie sich in Irland gezeigt habe. Dort wurde der Pro-Kopf-Verbrauch von 328 auf 18 Tüten durch eine verbindliche Gebühr von 22 Cent pro Tüte gesenkt. Es gibt Alternativen zur Plastiktüte, die bereits von vielen Verbrauchern akzeptiert werden. Umweltorganisationen raten beispielsweise zu kleinen Polyester-Taschen, die zu handgroßen Bällen zusammengefaltet werden können und Lasten bis zu 10 kg tragen. Große Kunststofftaschen, die dauerhaft gebraucht werden können, sind ebenfalls akzeptabel. Baumwolltaschen sind erst dann umweltfreundlicher als Plastiktaschen, wenn sie mindestens 25 bis 30 Mal benutzt werden. Denn ihre Erzeugung hat hohe CO2-Emissionen zur Folge (1700 g). Papiertüten haben zwar geringere CO2-Werte bei ihrer Produktion (60 g), sind aber feuchtigkeitsempfindlich und selten reißfest, weshalb sie häufig nur einmal verwendet werden und damit nicht viel besser sind als Plastiktüten. Am besten sind nach Einschätzung von Umweltorganisationen Einkaufskörbe und Klappkisten. Und wenn man gar nicht ohne Plastiktüte leben kann, dann sollte man wenigstens Plastiktaschen aus Recyclingkunststoff verwenden. Diese erkennt man an dem Umweltsiegel mit dem „Blauen Engel“. Königsteiner Einzelhändler berichten von einer Bewusstseinsänderung bei ihren Kunden. Allein die Diskussion über die kostenpflichtige Abgabe von Tüten habe zu einem Umdenken bei den Kunden geführt und immer häufiger würden Taschen und wiederverwendbare Beutel zum Einkauf mitgebracht. Es bleibt abzuwarten, ob künftig noch mehr Menschen an ihre eigenen Tragetaschen denken oder sich ihre Einkäufe schlichtweg unter die Arme klemmen – wenn schon nicht aus Umweltbewusstsein, dann zumindest, um Geld zu sparen.



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