Rendezvous mit der Königsteiner Geschichte

Nur eine der vielen Begebenheiten aus der Königsteiner Geschichte, die beim historischen Rundgang inszeniert wurden: Dr. Georg Pingler versucht Königin Elisabeth von Rumänien, die in Königstein zur Kur weilt, schonend beizubringen, dass der Dichter Friedrich Stoltze, der zur selben Zeit in Königstein durch den „Wasserdoktor“ behandelt wurde, kein Interesse daran hat, die Bekanntschaft Ihrer Hoheit zu machen. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Die Königsteiner Geschichte – sie ist reich an schillernden Persönlichkeiten – Dichter, Denker, Mediziner und Hochadel. Viele Frankfurter entdeckten zum Beispiel das idyllische Taunusstädtchen mit seinen hervorragenden Erholungs- und Rückzugsmöglichkeiten für sich Mitte des 19. Jahrhunderts – als die Kur, ins Rollen gebracht durch den Medizinalrat Dr. Georg Pingler, ihre Blütezeit erfuhr. Aber schon zu Zeiten des Grafen von Stolberg, von Ludwig und seiner Schwester Juliana, einer direkten Vorfahrin des heutigen niederländischen Königs Wilhelm Alexander, hatte die spätere Kurstadt das Zeug dazu, sich über ihre Grenzen hinaus einen exzellenten Ruf zu erarbeiten.

In die Historie eintauchen und auf den Spuren der prägenden Persönlichkeiten Königsteins wandeln – die Gelegenheit dazu bietet sich regelmäßig über die von der Stadt Königstein angebotenen Stadtführungen, die interessante Hintergründe auch zu herausragenden Gebäuden liefern, während man in aller Ruhe durch die Gassen und Straßen der Stadt schlendert. Am Sonntag nutzten dieses Angebot weit über 100 Menschen – diese Zahl ist geradezu rekordverdächtig – und trafen der Einladung zufolge um Punkt 15 Uhr vor dem Alten Rathaus ein, was die erste Station von weiteren sieben darstellen sollte. 2013 wurde die Idee zur historischen Führung durch Königstein vom ehemaligen Burgfräulein Mareike Wesser sowie von Stadtarchivarin Beate Großmann-Hofmann initiiert und jetzt bereits zum dritten Mal in die Tat umgesetzt.

Von Königsteins Ersterwähnung 1215 über die Verleihung der Stadtrechte 1313 – Szenen, die im Rahmen des Führungsauftaktes vor dem Alten Rathaus dargestellt wurden – bahnte sich die Menschentraube ihren Weg zum nächsten bedeutsamen Gebäude in der Karlstraße 2. Von Efeu umrankt erinnert heute noch eine Plakette an den Standort der Alten Schule, die 1591 auf die Initiative des Grafen von Stolberg errichtet wurde. Verbürgt ist, dass die erste Schule überhaupt in Königstein bereits 1540 errichtet wurde.

In die Rolle des Grafen, der Zeit seines Lebens für Bildung eingetreten ist, schlüpfte an diesem Sommernachmittag, an dem sogar die Regenschirme als Sonnenschutz dienen mussten, kein Geringerer als Stadtverordnetenvorsteher Alexander Freiherr von Bethmann. In der Rolle seiner holden Schwester machte mit Gisa van der Heijden eine weitere Königsteiner Persönlichkeit, die man sonst unter anderem als Stadtverordnete wahrnimmt, auf sich aufmerksam. „Ludwig und ich haben oft unseren Onkel Eberhard in Königstein besucht. Hier hab ich auch den Vater meiner Kinder, den Grafen von Hannover-Nassau, kennengelernt“, plaudert die blaublütige Dame ganz unbefangen aus ihrem Leben für die zahlreichen Zuhörer, die sich wissbegierig und interessiert um sie, den Grafen und zwei Mädchen gescharrt haben, die ebenfalls aus dem Leben des Hochadels der damaligen Zeit zu berichten hatten. So erfuhr man staunend, dass Juliana insgesamt 19 Kindern das Leben geschenkt hatte und dass ihr Bruder eine exzellente Bildung, unter anderem bei Martin Luther in Wittenberg genossen habe. Diese Erfahrung habe ihn so geprägt, dass er auch den protestantischen Glauben angenommen habe. Sogar die Kaiserin hielt viel von Ludwig und betraute ihn mit einer Mission, die darin bestand, einen Ehepartner für Königin Elisabeth I. zu finden – eine Mission, die jedoch scheiterte. Ludwig selbst verstarb kinderlos. Die Alte Schule wurde eine Zeit lang auch als Rathaus genutzt, da die Schultheiße damals keine Hauptamtlichen waren.

Und wieder ging es über die Königsteiner Pflastersteine zum nächsten Ziel. Stadtarchivarin Beate Großmann-Hofmann, die zusammen mit Mareike Wesser das Konzept für diese einmalige Führung ausgearbeitet hat, lenkte aber noch schnell die Aufmerksamkeit aller zurück auf das Alte Rathaus und auf die Tatsache, dass sein Turm, auch von Weitem betrachtet, tatsächlich schief geraten ist. Angekommen in der Gerichtstraße 15, erfuhr man, dass an jener Stelle, an der die Straße plötzlich schmaler wird und ein Haus in diese hereinragt, sich bis 1815 das Untertor befunden habe.

Nachdem das Untertor abgerissen worden sei, habe man auf seinen Resten ein Haus errichtet, das sich einst im Besitz der jüdischen Gemeinde befunden habe – das sogenannte „Judenbad“ mit einer Mikwe im Keller. Heute befindet sich das Haus in Privateigentum. Zum Glück wurde es in den 80er-Jahren doch nicht abgerissen, um Eltern der Schülerinnen der benachbarten Schule eine leichtere Durchfahrt zu ermöglichen. Interessanterweise hörte um 1830/40 hinter dem besagten Haus auch die Königsteiner Bebauung der damaligen Zeit auf, um dahinter auf unbebaute Fläche zu stoßen.

Die nächste Szene sollte vor der katholischen St. Marienkirche stattfinden: Man lud zur Kirchweihe um 1756 nach dem Neubau auf altem Fundament ein und konnte hierzu sogar den Weihbischof von Mainz begrüßen. Dafür, dass sich die Kirche in neuer Pracht präsentieren konnte, hatte ein gewisser Pfarrer Schneider gesorgt, der bestimmt so manche schlaflose Nacht durchlitten haben dürfte aufgrund der Sorgen wegen einzuholender Baugenehmigungen beim Erzbischof aus Mainz. Nach zwei Jahren konnte schließlich der Kurfürst überzeugt werden, die Kosten für den Bau der Kirche zu übernehmen. Gute Hochbaumeister und Stukkateure konnten engagiert werden, unter anderem einer, der am Bau des Kölner Doms beteiligt gewesen sein soll. Das erfuhren die Zuhörer zumindest, indem sie das Zwiegespräch zwischen einem Reisenden (Markus Alois Jockers), Pfarrer Klingenbiel (Gottfried Kehrer) und dem Bischof (Manfred Colloseus) belauschten. Die Kirche, die Maria Himmelfahrt geweiht ist, zeichnet sich vor allem auch durch zwei Bauwerke insbesondere aus: den Rokoko-Hochaltar, gestiftet aus Mainz, und seine Steinmantel-Madonna mit Kind auf dem Arm, das mit einem Vogel spielt, aus dem 15. Jahrhundert.

Erfürchtig nahmen die an diesem Tag mitlaufenden Zeitzeugen Platz auf den Kirchenbänken von St. Marien, um einer besonderen Zugabe zu lauschen, für die Manfred Colloseus gesorgt hatte: Organist Pabel imponierte mit einem Stück von Georg Friedrich Händel. Beeindruckt und einträchtig verließ man dann die Kirche, um als unübersehbare, große Menschenschar die Kirchstraße hinaufzuwandern. Nächster Halt: die Kurparkpassage bzw. der Torbogen Hauptstraße 21. Hier stand man schon, ohne es vorher zu wissen, an der Schwelle einer neuen Ära für das damalige Königstein.

Die Kurmainzer und später die Nassauer beschlossen vor 200 Jahren die alte Handelsstraße nach Köln, die bislang einen anderen Verlauf genommen hatte, zu verlegen. Alle, die nach Köln wollten, mussten nun durch die Hauptstraße, Kirchstraße und am Romberg vorbei. Damals stellte die katholische Kirche das letzte Gebäude im Ort dar. Im besagten Torbogen habe ehemals das Gasthaus zum Grünen Baum gestanden, gab die Stadtarchivarin zu Protokoll und auch so viel ist bekannt: Als die Planungen für die neue Straße bekannt wurden, seien einige Gastwirte aus Angst, dass ihnen wichtige Einnahmequellen verloren gehen würden, auf die Barrikaden gegangen.

Nächste Einstellung: Der sprudelnde Kurparkbrunnen. Doch an diesem Nachmittag zieht nicht etwa der herrschaftliche Anblick der aufsteigenden Burgkulisse die Aufmerksamkeit auf sich, sondern ein Herr, ganz in Schwarz mit Zylinder und Fliege. Dann die Gewissheit: Es handelt sich um den „Vater der Königsteiner Kur“, Dr. Georg Pingler alias Christian Bandy von der Kur- und Stadtinformation, der der Königin Elisabeth von Rumänien, die hier zur selben Zeit wie Friedrich Stoltze im Hotel Pfaff weilt, gerade erklären muss, dass der Dichterfürst kein Interesse daran hat, ihre Bekanntschaft zu machen. „Das stimmt, Stoltze hatte es nicht mit Hoheiten“, versichert Minuten später auch Beate Großmann-Hofmann, die alle dazu einlädt, ihr zum Rathaus im Burgweg zu folgen, wo eine weitere Station wartet. Dort, wo heute die Stadtverwaltung zu finden ist, befand sich früher die Remise des Luxemburger Schlosses – in unmittelbarer Nähe zum Rathaus – das heute wiederum als Amtsgericht dient.

Weiter ging es in der Geschichte mit einem Stopp vor dem besagten Schloss, dass dem Großherzog Adolph und seiner Frau ehemals als Sommerresidenz gedient hat und im Alter zu ihrem festen Wohnsitz wurde. Adelheid Marie wurde später von den Königsteinern als Wohltäterin verehrt. sie starb hundertjährig in ihrem geliebten Schloss. Nicht ohne jedoch 1875 der evangelischen Kirche ein Grundstück zu schenken, auf der die 1888 geweihte Kirche errichtet wurde. 1908 sollte das Pfarrhaus folgen sowie 1912 das Adelheidstift, ebenfalls im Burgweg.

Danach ging es mit Riesenschritten hinauf zur Burg, wo eine besondere Überraschung auf die Mitlaufenden wartete. Noch vor dem Burgtor wurde wieder unter Anwendung von Schaulspielkunst und Spiellaune jener Mainzer Demokraten gedacht, die 1793 auf der Festung Königstein inhaftiert wurden. Dazu zählt auch ein gewisser Felix Anton Blau (Dr. Michael Hesse), der sich hier sogar bis 1795 in Gefangenschaft befand und an den Folgen seiner Inhaftierung starb. Inszeniert wurde auch der Hausarrest der Schriftstellerin Caroline Schlegel-Schelling (Simone Hesse), bevor der großen Gruppe Eintritt in die Burgruine selbst gewährt wurde.

Hier hatten die Königsteiner Ritter ein Pest-Hospital aufgebaut, um die Epidemie nachzuzeichnen, von der auch Königstein in den Jahren 1665/66 stark betroffen war und die binnen eines Jahres 28 Menschen dahingerafft hat, was angesichts der damaligen, geringen Bevölkerungszahl doch ein gravierendes Ausmaß war. Zum Abschluss, ehe sich die 40 Mitwirkenden ihren wohlverdienten Applaus abholten, durften alle noch mal einen spektakulären Schaukampf zwischen Mareike Wesser, die dafür von der historischen Stadtführerin in eine andere Rolle schlüpfte, ihrem Vater und zwei weiteren Mitstreitern erleben. „Im kommenden Jahr wird es wieder eine solche Stadtführung mit historischen Szenen geben“, verspricht Beate Großmann-Hofmann.



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