Rolf Kohlrausch spielt und erzählt Meisterstücke der Musik im HdB

Das Gesprächskonzert von Rolf Kohlrausch ging unter die Haut.

Königstein – Rolf Kohlrausch betritt mit bedächtigem Schritt die Bühne. Er ist ein erfahrener und besonnener Pianist, das sieht man ihm an. Kohlrausch ist ehemaliger Schüler der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, der Musik-Kaderschmiede in Frankfurt, und er genießt seit Jahrzehnten den Ruf eines sehr guten Debussy-, Chopin- und Mozart-Interpreten. Vor allem bei Debussy hat er seine „ureigenste Klangwelt“ gefunden, wie es in den Kritiken heißt. In London lobte man ihn für die besonders „lebendige Wiedergabe“ der „Children’s Corner“ und sein „individuelles und geistreiches Spiel“.

An diesem Sonntagabend beginnt er seinen Vortrag mit dem Impromptu As-Dur von Schubert, souverän und ohne Eile. Es ist eine jener wunderschönen liedhaften Melodien, an die man sich vage erinnert, die Schönheit und Leichtigkeit, aber auch Sehnsucht ausdrücken. Kohlrausch ist hochkonzentriert und bewegt sich kaum, kraftvoll und voller Gefühl entlockt er dem Flügel jene wunderbar beflügelnden Klänge.

Kohlrausch hat ein Gesprächskonzert angekündigt und so steht er mit Mikro auf der Bühne und erklärt, dass er nicht in Dialog mit dem Publikum treten möchte, sondern die Werke erläutern wird, die er spielt. Das Impromptu ist eigentlich ein Satz einer Sonate mit vier Sätzen, die einzeln als Impromptu besser verkäuflich waren. Es war damals ganz im Sinne des adligen Publikums, dass die Stücke möglichst kurz waren, schließlich wollte man sich auch unterhalten.

Die „Pathétique“ von Beethoven ist ein Schicksalswerk. Der Komponist hatte erfahren, dass er taub werden würde. Beethoven packte seinen ganzen Kummer und seinen Schmerz in dieses Musikstück. Diese Komposition ist wehmütig und voller Gefühl. Sie nicht sentimental, pathetisch zu spielen, das ist für jeden Pianisten die Herausforderung. Kohlrausch schafft das mit Bravour, er bleibt gelassen, und so ist da kein bisschen Pathos zu hören. Das Allegro hat man zwar schon schneller gehört, aber der Gesamteindruck seines reifen Spiels ist ergreifend. Er verleiht der Melodie die nötige Expression und Emotion.

Wie ein Todesurteil muss die Taubheits-Diagnose, als Folge einer Quecksilber-Vergiftung, für den Musiker gewesen sein. Der erste Satz endet deshalb auch mit einem lauten Schlag. Das Adagio klingt ruhiger, melancholisch. „Hat sich Beethoven hier mit seinem Schicksal versöhnt?“, fragt Kohlrausch. Im dritten Satz ist der Kampf in seinem Inneren laut und verzweifelt.

Da ist der Fluchtgedanke. Aber es gibt keine Flucht. Niemand kann dem Schicksal davonlaufen. An dieser Stelle ist es wohltuend, einem lebenserfahrenen Pianisten zuzuhören, der völlig unaufgeregt, aber voller leidenschaftlicher Empathie diese innere Verzweiflung wiedergeben und ausdrücken kann. Gerade die leisen Töne schleichen sich in die Herzen, und der Zuhörer gerät in den Bann von Kohlrauschs Spiel.

Der zweite Teil des Abends ist Debussy gewidmet, den Kohlrausch als Vertreter des beginnenden Impressionismus vorstellt. „Als Vollender der klassischen Harmonielehre, als Bindeglied der Romantik und der Moderne, bereitete er den Boden für alles, was in der neuen Musik auf uns zukam.“ Seine Inspirationen holte er sich aus der Natur, wie „Clair de lune“, „La Mer“, so betitelte er auch seine Werke. Nicht so bei den Préludes, die als absolute Musik wahrgenommen werden sollen und nur Untertitel tragen. Debussy hat seine intimsten Gedanken und Gefühle in Musik umgesetzt. Zwölf Préludes hat Kohlrausch ausgewählt, Debussy hat noch einmal zwölf geschrieben. Die Zahl 24 ist eine Reverenz an Bach, der in seinem Leben 24 Präludien und Fugen veröffentlichte.

Debussys Préludes erzählen schwelgerisch und expressiv von Wind und Segeln, von Schritten im Schnee, tänzerisch leicht von der Insel Capri mit Tarantella-Anklängen und dem Tanz des Puck, und vom Mädchen mit dem Flachshaar im Sommerwind. Das alles sind spielerisch abgehobene Kompositionen, die eine reine Stimmung vermitteln und die Kohlrausch in ebendieser Schwerelosigkeit vermittelt. Da ist keine Anstrengung zu hören. Alles fließt und der Zuhörer fließt mit, wenn er sich auf den Zauber seines Spiels einlässt. Tragisch ist das wohl bekannteste Prélude „La cathédrale engloutie“, eine versunkene Kathedrale, die als Illusion eine transzendentale Schönheit evoziert und mit vielen Bass-Tönen schwer auf dem Gemüt lastet. Ebenso dramatisch ist „ce qu’a vu le vent d’Ouest“, die aus der Feder Liszts stammen könnte. Dissonante Akkorde spielen hier gegeneinander und es klingt gefährlich. Es ist wie die Vision eines Albtraums, ist es bereits die Vorahnung des Ersten Weltkriegs?

Das Publikum ist begeistert und so gibt Kohlrausch mit einem hintergründigen Lächeln mehrere Zugaben aus Debussys „Children’s corner“, gut gelaunt und beschwingt. Man freut sich auf den Nachhauseweg im leise rieselnden Schnee. Als Finale spielt er eine Mazurka von Chopin, so erhaben, dass es unter die Haut geht und noch lange nachklingt.



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