Weihnachten auf der Orgelbank – Bericht einer Kantorin

Immer wieder werde ich gefragt: Wie ist das denn als Kirchenmusikerin an Weihnachten? Sie haben ja gar keine Zeit, Weihnachten zu feiern! -- o doch! Weihnachten auf der Orgelbank ist eine ganz außergewöhnliche und intensive Art, Weihnachten zu erleben.

Schon Wochen vorher beginnen die Proben mit den Chören und die Vorbereitungen an der Orgel. An Heiligabend selbst sitze ich nochmal an der Orgel, bevor es ab etwa 13 Uhr spannend wird. Jetzt strömen die ersten Besucher in die Immanuelkirche, denn die Plätze sind rar beim Krippenspiel der Kinderkirche. Um 14 Uhr ist die Kirche bis ins letzte Eck gefüllt. Wer nicht schon früh da war, muss stehen. Auch um meine Orgelbank ist jeder Zentimeter besetzt. Dann geht es los mit den vielen ausgezeichneten Schauspielern der Kinderkirche bei ihrem traditionellen Krippenspiel. Ist die letzte Strophe von „O du fröhliche“ verklungen, strömen alle Gottesdienstbesucher wieder nach draußen. Dort warten schon die nächsten ungeduldig auf Einlass in die warme und wohlig nach Kerzen und Tannengrün duftende Kirche. Es folgt das zweite Krippenspiel, dargestellt von Konfis und jungen Erwachsenen. Ist das nächste Lied schon dran? Muss ich jetzt das Trompetensignal spielen? - immer wieder versuche ich, durch die zahlreichen Menschen auf der Empore einen kleinen Blick auf das Schauspiel im Kirchenraum zu erhaschen.

Nach dem zweiten Durchlauf von „O du fröhliche“ wird es für mich besonders spannend: denn jetzt sind die Kinderchor-Kinder dran. Sind alle da? Weiß jeder seinen Text auswendig? Hat jeder das richtige Kostüm an? Alle sind aufgeregt und zappelig. Doch dann geht es los, rüber in die Kirche. Die platzt schon wieder aus allen Nähten. O je, wie soll ich denn da von der Orgelbank zum Kinderchor kommen?! Irgendwie geht es immer. Auch wenn ich über viele fröhlich krabbelnde Kinder steige.

Die Kinder singen den „Quempas“ und hören die Weihnachtsgeschichte. Nach kräftig angestimmtem „O du fröhliche“ und vielen guten Wünschen kehrt ein wenig Ruhe ein. Bei der Erwachsenen-Vesper um 18 Uhr gibt es Zwischenmusik von Flöte und Oboe. Die Immanuelkirche ist zwar wiederum gut gefüllt bis auf den letzten Platz, doch jetzt ist die Stimmung ruhiger und feierlicher. Sind alle erwachsenen Gottesdienstbesucher mit den Klängen von „O du fröhliche“ entlassen, wird es plötzlich still in der Kirche. Die Kerzen sind erloschen. Jetzt sind auch für mich Pause und Stärkung angesagt. Doch nicht zu sehr entspannen! Es geht ja noch weiter! Die Christmette um 23 Uhr ist wieder ein ganz besonderer Gottesdienst mit ganz eigenem Publikum. Alle sind etwas müde und gesättigt vom leckeren Weihnachtsessen. Sie blinzeln ins Kerzenlicht und lauschen der Sängerin, die diesen Gottesdienst mitgestaltet. Nach den letzten Strophen von „O du fröhliche“ (wenn ich richtig mitgezählt habe, waren das jetzt insgesamt 15) kehrt die Stille der Heiligen Nacht auch in unsere schöne kleine Kirche ein.

Jetzt heißt es für mich, schnell eine Mütze voll Schlaf zu holen, denn die Heilige Nacht ist kurz. Um 8 Uhr am Weihnachtsmorgen kommen die Instrumentalisten und Sänger für den Kantatengottesdienst zur Probe. Auch sie hatten eine kurze Nacht und teilweise schon eine weite Anreise. Doch sie mögen diesen Gottesdienst am Weihnachtsmorgen in der Immanuelkirche, bei dem es so richtig Weihnachten wird. Er gibt dem großen Trubel des „Heiligen Abends“ das richtige Gegengewicht. Die Pauken ertönen, die Streicher folgen mit schnellen Kaskaden, dann setzen Flöten, Oboen und Trompeten ein und schließlich der Chor mit dem „Jauchzet, frohlocket“. Gibt es etwas Schöneres, als Weihachten mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zu verbringen? Ist es nicht wunderbar, die alten Lieder an der Orgel zu begleiten?

Ja – die Familie und die Freunde kommen bei diesem Weihnachten eindeutig zu kurz. Doch es gibt ja die ruhigen Tage zwischen den Jahren zur Entspannung und für Besuche. Weihnachten auf der Orgelbank ist nervenaufreibend, anstrengend und fordert eine Kirchenmusikerin bis zum Letzten. Aber es ist auch ein ganz wunderbares Weihnachten, das ich nicht missen möchte!

Katharina Götz



X