Ein Anfang zur Chancengleichheit in Europa trotz steinigem Weg

Kronberg – Der Anfang in Europa ist gemacht – ein steiniger Weg! So lässt sich aus Sicht der Organisatoren das Fazit der Frauentalkrunde in der Stadthalle beschreiben.

Europa und die Chancengleichheit, ein Thema, das nur im Kontext mit beiden Geschlechtern zu sehen ist. Deutschland hat nach Artikel 3 im Grundgesetz die Gleichberechtigung beider Geschlechter festgeschrieben. Die Ausführungsbestimmungen sind eindeutig.

Sind alle Fragen also zur Gleichberechtigung überflüssig? Braucht es Frauenförderung nicht mehr? Geraten nicht immer mehr Jungs ins Abseits? Benötigen wir nicht eine verantwortungsvolle, politisch interessierte Gesellschaft, die beiden Geschlechtern Raum verschafft für gemeinsames Tun und gute Umsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Der Beleuchtung und Beantwortung dieser Fragen stellten sich auf dem Podium Svenja Appuhn, Landesschulsprecherin, Judith Merkies, ehemalige EU-Abgeordnete der Niederlande, Ursula Kalbfleisch-Kottsieper, Juristin und Vizepräsidentin der Europa Union, ehemalige Staatssekretärin und Ministerin a.D. sowie Hildegard Klär, Vorsitzende der EU-Hochtaunus. Sind es fehlende Rollenvorbilder, die Mädchen immer noch den Weg in MINT-Fächern schwer machen? Brauchen emanzipierte, junge Frauen Role models um sich doch mehr zuzutrauen, um Vorbilder zu haben?

„Mut und Interesse, Wissen und Risikobereitschaft benötigen junge Frauen heute, um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu stellen. Dies in der Schule unter anderem einzuüben, würde helfen auf dem Weg ins Berufsleben, gleich ob Ausbildung oder Studium“, unterstrich Svenja Appuhn als Berichterstatterin aus dem Schülerleben. Früher als „Seilschaften“, heutzutage als Netzwerke bezeichneten Verbindungen seien auch für Frauen unerlässlich.

Männer blicken dagegen auf lange Erfahrungen und Traditional zurück. Wichtig sind Gespräche über die Arbeit hinaus, denn der Mensch reduziert sich nicht nur auf seine Tätigkeit, sondern ist als Mensch gleich, ob Mann oder Frau, wertvolles Mitglied der Gesellschaft unserer Demokratie. Nach übereinstimmender Aussage der Podiumsteilnehmer stehen beide Geschlechter in der Verantwortung, um für den Weiterbestand der Demokratie einzutreten, „gegebenenfalls auch auf die Straße zu gehen, um dem ,Rechtsruck‘ auch in Europa etwas entgegen zu setzen“.

Frauen leisten in allen möglichen Berufsfeldern ebenso viel wie ihre männlichen Kollegen, doch sie verdienen in Deutschland bis zu ein Viertel weniger Geld.

Obwohl Frauen und Männer heute dem Gesetz nach gleichberechtigt sind, ist die Gesellschaft in wichtigen Lebensbereichen weiterhin nicht darauf eingestellt, Frauen auch tatsächlich dieselben Rechte und Freiheiten zu ermöglichen, die für Männer ganz selbstverständlich sind. Die Forderung, dass die Leistung von Frauen, die Kinder bekommen und großziehen, als Arbeit anerkannt und auch finanziell berücksichtigt werden müsse, wurde daher an diesem Abend ebenso diskutiert. Flexible Arbeitsmodelle für beide Geschlechter, unter anderem flexible Lebensarbeitszeitkonten, die bei Erziehung oder Pflege abgerufen werden können, sollten politisch weiter voran getrieben. Das Beispiel Schwedens, wo Väter und Mütter sich gegenseitig Elternzeittage verteilt abgeben können, wäre so ein Elternzeitmodell.

Positive Meldung: Steigender Einfluss der Frauen in Unternehmen

Während europaweit der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien großer Unternehmen steigt, hinken deutschsprachige Länder hinterher. Erkenntnissen zufolge besetzen in Europa Frauen mittlerweile durchschnittlich jeden vierten Posten in Aufsichtsgremien großer Unternehmen (Aufsichtsrat, Verwaltungsrat). Dieser Anteil ist seit 2011 von 14 auf 25 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Studie der Initiative „European Women on Boards“ (EWoB) hervor. Sie analysiert die Anteile weiblicher Führungskräfte in den Verwaltungsräten der 600 größten börsennotierten Unternehmen aus 17 Ländern.

Frauenanteile von über 30 Prozent haben große Unternehmen in Ländern, die Quotenregelungen kennen: Norwegen, Schweden, Frankreich und Finnland: Im europäischen Durchschnitt ist Italien mit einem Frauenanteil von fast 25 Prozent vertreten. Unterdurchschnittlich sind die Frauenanteile in Deutschland (22,6 Prozent) und in der Schweiz (16 Prozent). In Deutschland ist seit Kurzem ein Gesetz in Kraft, das einen Frauenanteil von 30 Prozent Frauen im Aufsichtsrat zum Ziel hat. Der Weg ganz an die Spitze ist laut der EWoB-Studie immer noch steinig. Nur 4 Prozent der Aufsichtsgremien großer Unternehmen leiten Frauen. Und auch in der operativen Führung seien Frauen selten. Im Jahr 2015 waren europaweit nur 3,5 Prozent der Geschäftsführungen in weiblicher Hand. Groß sind die Unterschiede in der Bezahlung. Frauen in Aufsichtsgremien und Geschäftsführungen der 600 größten börsennotierten Unternehmen verdienen durchschnittlich deutlich weniger als Männer. Lohnungleichheit gilt es daher anzugleichen und nicht erst in 118 Jahren, wie die Prognosen dies den Frauen attestieren.

Erste Schritte in Richtung Chancengleichheit sind dennoch zu verzeichnen. So haben sich Rahmenbedingungen für die Kinderbetreuung verbessert und auch der Schritt Richtung Schulbetreuung am Nachmittag ist positiv zu werten.

Die Girl‘s und Boy‘s-day-Angebote wurden als ein Schritt in die richtige Richtung bezeichnet, das Rollenverständnis sowie eine Rollenveränderung frühzeitig erlebbar zu machen. Begleitung von Familien über Schulen und der Zivilgesellschaft sei notwendig, um veränderte Rollenvorbilder weiterzutragen. „In Kronberg sowie im Hochtaunuskreis ist mit dem Bereich www.girls-go-technic.de ein weiterer Schritt unternommen worden, ein verändertes, erweitertes Rollenbild mit Hilfe von Unternehmen und Schulaktionen zu verdeutlichen“, hob die Frauenbeauftragte der Stadt Kronberg, Heike Stein, hervor. „Wir Frauenbeauftragte wollten es nicht bei nur einer Veranstaltung des Girl‘s-day belassen, sondern alle Verantwortliche mit ins Boot holen und mit gemeinsamen Angeboten Veränderungsprozesse begleiten.“

Zu Wahlen gehen müssten alle Frauen und Männer, ein Wahlboykott helfe nicht weiter. „Die Demokratie ist zu wertvoll, um diese aufs Spiel zu setzen“, so Ursula Kalbfleisch-Kottsieper. Es sei nicht damit getan, Gesetze zu machen, sie müssten auch umgesetzt und angewandt werden, „um Gleichberechtigung mit Leben zu füllen“. Junge Leute bauten auf vorhandene Chancengleichheit auf und „das ist gut so“. Jungs, hätten es mitunter schwerer, eine neue, veränderte Rollenidentifikation und Rollenerwartung für Beruf und Familien zu finden. Zum Schluss des Abends wurden folgende Fragen in den Raum geworfen: Warum wollen Frauen nicht in der ersten Reihe stehen? Scheuen sie immer noch Verantwortung? Und was muss ich für beide Geschlechter verändern, um zukünftig Chancengleichheit wirklich zu leben? Mit dem Fazit, dass der gesellschaftliche Prozess des Gender Mainstream trotz allem angestoßen sei, gingen Podiumsteilnehmer und Interessierte schließlich auseinander. (pu)



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