Cabaret in Jimmy‘s Bar – Lola singt und tanzt den Shimmy

Die fesche Lola alias Teresa Weißbach in Jimmy’s Bar Foto: Sura

Kronberg (aks) – Das kleine Leben will sie nicht, das weiß Lola schon als kleine Göre. Da springt sie bei einer Veranstaltung auf die Bühne und singt aus vollem Hals ein erzgebirgisches Volkslied.

Acht Jahre später nimmt der schöne Friedrich sie im weißen Automobil mit nach Berlin, wo in den Zwanziger-Jahren das pralle Leben tobt. Hier beginnt die Zeitreise, mit Theresa Weißbach in der Rolle der glamourösen Lola. Endlich Prinzessin wähnt sie sich in der Weltstadt Berlin am Ziel ihrer Mädchenträume, noch nie hat sie so hohe Häuser und so elegante Menschen gesehen.

Doch die schillernde Seifenblase platzt schnell: Friedrich hat weder Geld noch Auto und ist alsbald aus ihrem Leben verschwunden. Singend und tanzend tingelt sie von nun an durch Bars und hofft auf den großen Durchbruch.

Teresa Weißbach setzt ihre Talente in der Bar des Schlosshotels schillernd und authentisch ein: die großen Posen enden teilweise herzzerreißend und jämmerlich – wie ein kleines Häufchen Elend steht sie da, ohne Ruhm, Mann und Geld. Lola singt, weint, schluchzt, jauchzt, tanzt den Charleston und wirbelt durch die Bar mit den gediegenen Ledercouches, am Piano, mit ausladenden Gesten, begleitet von John Carson, seines Zeichens Ballett-Tänzer, der im schwarzen Frack, aber ohne Schuhe in die Tasten haut und gleichzeitig Verrenkungen vollführt. Er gibt die graue Eminenz im Hintergrund: Der Amerikaner John ist die Konstante in Lolas Leben als Mentor, Ratgeber, Chef und auch Verehrer. Die halbseidene Lola gibt sich dem rauschhaften Gefühl jung und schön zu sein hin, wohlwissend, dass das Leben kurz ist. Sie „will alle, nicht nur den einen“, denn „sie ist ganz auf „Liebe eingestellt“. Die ironische Pointe folgt auf dem Fuß: „Ich kann Liebe nur und sonst gar nichts“. Pingping – „du hast Post“, flüstert John fast mit Bedauern und unregelmäßig flattern Briefe von Friedrich ins Haus, die Teresa schnippisch, distanziert und dann doch wehmütig liest. Der ferne Herzensbrecher arbeitet als Gigolo in der „Bar zum Crocodil“ in Kairo und bittet sie, ihm doch Geld zu überweisen. Verächtlich wirft sie den Brief weg. Jahre später schickt er die Schiffspassage, die Lola zu ihm bringen soll, damit sie endlich heiraten und Kinder kriegen können. Aber Lola kann sich das brave Leben an der Seite eines (einzigen) Mannes nicht mehr vorstellen, im trauten Heim Kinder großzuziehen, dazu hat sie keinen Mut. Und nach 20 Jahren festzustellen, dass der Gatte zwar einen „Ranzen“, aber keine Haare mehr auf dem Kopf hat... „Horror“, klagt sie.

Ihre Passion ist die Bühne: Als Lola verzaubert sie die Herzen, nicht nur der Herren, die sie wie „Motten das Licht“ umschwärmen. Ihr Abschiedsbrief an Friedrich ist kurz und endgültig: „Was soll ich in Ägypten? Ich bin lieber in Berlin, pardon Kronberg, denn alle lieben Lola, Adieu, deine Lolita.“ Sie gibt sich leidenschaftlich dem Tanz auf dem Vulkan hin, auch wenn es ein Todesreigen ist, der auf Dauer einsam macht: „I ain’t got nobody, I am so sad and lonely“. Das nimmt sie in Kauf, um frei zu sein. Leben und tanzen bis zur Raserei: Auch Teresa Weißbach wirbelt durch die Bar auf ihrer rasanten Zeitreise. Mit dem Evergreen von Zarah Leander stimmt sie das provokante Lied an:

„Nur nicht aus Liebe weinen,

es gibt auf Erden nicht nur den einen,

es gibt so viele auf dieser Welt

ich liebe jeden, der mir gefällt

Und darum will ich heut‘ Dir gehören,

Du sollst mir Treue und Liebe schwören,

wenn ich auch fühle, es muss ja Lüge sein,

ich lüg auch und bin Dein.“

Die Liebe will sie exzessiv und dekadent wie üblich in dieser Epoche ausleben. Sie sollte ablenken von all dem Schmerz, den der Weltkrieg über Europa gebracht hatte. Ziemlich nah geht dem Publikum der „Kleine Gardeoffizier“, der sich von seiner Mutter, seiner Geliebten und seinem Offizier verabschiedet und einen viel zu frühen Tod stirbt.

Man lebt im Hier und Jetzt, der Rausch war Programm. Moral galt nichts mehr in der künstlichen Welt der Berliner Halbwelt: Moral wozu? „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Die Schauspielerin, die mit dem Film „Sonnenallee“ als Teenager berühmt wurde, verkörpert mit ihrer Porzellanhaut und den blonden ondulierten Haaren die Rolle des Vamps. Frauen in dieser Zeit wollten leben und nicht moralisch sein, auch wenn der Rausch die Seele kostete „im Auf und Ab des tosenden Weltmeeres“. Teresa Weißbachs Kostüme sind klischeehaft verführerisch. Da wird enthüllt und verhüllt, als frivole Salondame im transparenten Negligé und Netzstrümpfen, als Marlene mit Zylinder und strengem Frack, mit schwarzer Perücke und ellenlanger Zigarettenspitze, dann steht sie auf einmal fast nackt da, mit gesenktem Kopf und leiser Stimme und kippt sich den Inhalt eines Sektkühlers mit den Worten „Ich steh im Regen und warte auf Dich“ über den Kopf, und die Verletzungen dieses exzessiven Lebens werden spürbar. „Das berühmte Lied von Marlene: „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre, nie habe ich das was ich will, ich gehöre nur mir ganz allein“, ist ein tapferes Bekenntnis zu einem selbst bestimmten Leben. Das turbulente Cabaret brachte Leben in Jimmy’s Bar, der volle Körpereinsatz der Künstler beeindruckte, doch ließen sich die Bargäste nicht so richtig von den Ohrwürmern und Gassenhauern dieser hoch explosiven Zeit anstecken – dabei waren die Cocktails von Barchef Thorsten Feth prickelnd und berauschend. Am 25. Juli kann man Teresa Weißbach und John Carson bei den Nibelungen-Festspielen Worms mit diesem Programm erleben.



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