„Die im Dunkeln sieht man nicht“ – die AWO feierte 70. Geburtstag

Die AWO-Ehrenamtlichen in Kronberg-Königstein: Hildegard Klär, Katharina Mauch, Katrin Hechler, Barbara Schwarz, Eberhard Bethke, Helga Michaelis und Dr. Ilja-Kristin Seewald (v.l.n.r.) Foto: Heute

Kronberg (heu) – „Die Nachkriegsgeschichte der AWO in Königstein habe ich durch meine Mutter miterlebt“, erzählte Elisabeth Kurz, noch während die Gäste sich zum Sektempfang der Jubiläumsfeier in der Kronberger Stadthalle einfanden. In den 70er-Jahren trat sie dann die Nachfolge ihrer Mutter als Vorsitzende an, die 1946 Gründungsmitglied beim dortigen Ortsverein war und in den Jahren der Not half, wo es am dringendsten war; vor allem die Nähstube des Verbandes in der Stadtmitte war damals ein wichtiger Anlaufpunkt. Nach 28 Jahren war dann jedoch auch für Elisabeth Kurz der Zeitpunkt der Übergabe gekommen und da keine aktiven Mitglieder mehr zur Verfügung standen, kam es 2004 zur Fusion mit dem Kronberger Ortsverband. So konnte vergangenen Samstag gemeinsam das 70-jährige Jubiläum der Arbeiterwohlfahrt Kronberg-Königstein begangen werden.

Viele Weggefährten hatten sich eingefunden bis zum Beginn des offiziellen Teils der Feier, den die erste Vorsitzende und Organisatorin Katharina Mauch eröffnete, und Bürgermeister Klaus Temmen, obwohl nahezu zeitgleich in dem parallel stattfindenden Forum Stadtentwicklung eingebunden, ließ es sich nicht nehmen, ein engagiertes Grußwort zu sprechen und die generationenwährende Arbeit zu würdigen. „Deutschland lag 1946 am Boden und die AWO trug maßgeblich dazu bei, dass die Menschen wieder zusammenfanden“, erinnerte auch Temmen an die im Gründungsjahr bestehende Ausnahmesituation.

Dass die Arbeiterwohlfahrt ihr Wirken heute weiterhin „durch die Unterstützung und Betreuung hilfsbedürftiger Menschen sowie finanzielle Unterstützung von Kindertagesstätten, Seniorenwohnanlagen und Bereitstellung von Fahrdiensten“ weiterführt, dafür dankte der Bürgermeister allen ehrenamtlichen Helfern und Katharina Mauch stellvertretend für den gesamten Vorstand.

„Entweder lernt man aus der Geschichte oder nicht“, mit diesen Worten leitete Hildegard Klär, Vorsitzende des AWO-Kreisverbandes Hochtaunus und Kreisvorsitzende der Europa-Union Hochtaunus, im Anschluss ihren Rückblick auf die Historie der Arbeiterwohlfahrt ein, deren Bundesverband 2019 in Berlin seinen 100. Geburtstag feiern wird. Sie führte nicht nur an den Anfang des Ortsverbandes vor 70 Jahren in Kronberg, sondern zunächst an die AWO-Wurzeln deutschlandweit zu dessen Gründungszeit 1919 zurück. Damit zugleich zu dem Beginn der frühen Krisenjahre der Weimarer Republik und deren Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft, die sich auch in hoher Arbeitslosigkeit, der europaweit höchsten Säuglingssterblichkeit, Massenstreiks und in Attentaten durch Hasspredigten – „vielleicht klingelt es da bei dem einen oder anderen“, warf Klär an dieser Stelle ein – widerspiegelten. Sie erinnerte auch an die Ablehnung der Kooperation mit den Nationalsozialisten, woraufhin der Status der AWO 1933 aberkannt worden war und eine Überführung in die Volkswohlfahrt stattgefunden hatte; sodann an 1946, als die AWO auf einer Tagung in Hannover wieder ins Leben gerufen wurde, und an die Geburtsstunde der damaligen Ortsverbände Königstein und Kronberg. In diesem Jahr wurde aus der früheren Unterabteilung der SPD auch ein selbstständiger Sozialverband, der seitdem seine sozialdemokratischen Wurzeln jedoch nie verleugnet hätte. Hildegard Klär war es in diesem Zusammenhang auch wichtig, herauszustellen, dass die AWO „nie eine ausschließlich der Arbeiterklasse dienende Gemeinschaft war“. Sie zeigte die gegenwärtigen vielfältigen Aufgabenstellungen auf, darunter auch die Betreuung der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Suchtberatung, und wünscht sich für die Zukunft, an Schulen soziale Einrichtungen in eigener Trägerschaft zu haben, für die psychosoziale Betreuung, die Hausaufgabenbetreuung und für die Bereitstellung von Freizeitangeboten.

Sozialdezernentin Katrin Hechler betonte in ihrem nachfolgenden Grußwort auch in ihrer Funktion als stellvertretende Vorsitzende des AWO-Kreisverbandes Hochtaunus, dass „wir einmal stolz darauf waren, Schulspeisungen nicht mehr zu brauchen. Heute sind wir wieder so weit, dass wir Tafeln haben.“ Und der Vorsitzende des Vereinsrings Kronberg, Hans-Willi Schmidt, lobte: „Wer in Not gerät, der kann sich auf die Solidarität der AWO verlassen.“ Er verwies darauf, dass in Kronberg, einer Stadt mit hoher Kaufkraft kaum mehr einer eine bezahlbare Wohnung fände: „Wer kann sich das noch leisten?“, und darauf, dass der Zulauf der Tafeln so riesengroß wäre, dass in Königstein derzeit niemand mehr aufgenommen werden könne. Schmidt betonte – wie auch seine Vorrednerinnen – die Grundsätze der Arbeiterwohlfahrt: Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Vor den Ehrungen langjähriger Ehrenamtlicher des Ortsverbandes leitete Rudi Tillig aus Grävenwiesbach das Ende des offiziellen Teils musikalisch mit bekannten Arbeiterliedern aus dem 19. und 20. Jahrhundert ein. Geehrt wurden: Eberhard Bethke für zehn Jahre Mitarbeit; Barbara Schwarz für 15 Jahre und Helga Michaelis für 25 Jahre. Ebenso wurde an den mittlerweile verstorbenen Edmund Weiss erinnert, der 35 Jahre mitgearbeitet hatte.

Das Ausklingen der Feier war verbunden mit dem Jahresabschluss des Ortsverbandes: Kaffee, Kuchen oder ein Gläschen Wein und Appetithäppchen als Stärkung für angeregte Gespräche an weihnachtlich dekorierten Tischen – wieder begleitet von Rudi Tillig, dem die Lieder der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung ein großes Anliegen sind, mit seiner Gitarre.

Willy Brandt war in den Grußworten sinngemäß mit den Brecht-Worten „die im Dunkeln sieht man nicht“ zum 50. Jubiläum der AWO zitiert worden, und er meinte damit seinerzeit nicht nur die Hilfsbedürftigen, sondern auch die vielen Ehrenamtlichen. So bleibt zu wünschen, dass bis zum 100. Jubiläum nur die Zahl der Erstgenannten kleiner geworden ist.



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