Elf junge Musiktalente erlebten die Welt der Kammermusik

Johannes Brahms Streichsextett B-Dur op.18 mit den Dozenten Guy Ben-Ziony und Andreas Brantelid erklang beim Abschlusskonzert des Kammermusikprojekts Sonntagnachmittag im voll besetzten Lokschuppen. Foto: Malkmus/Kronberg Academy

Kronberg (pf) – „Es gibt Töne, die muss man erst mal spüren und hören, ehe man sie spielen kann.“ Im Lokschuppen probt am Sonntagvormittag die Geigerin Suyoen Kim gemeinsam mit drei jungen Musikerinnen und einem Musiker das Adagio aus Franz Schuberts Streichquintett C-Dur op. 163 für zwei Violinen, Viola und zwei Celli. Dieses Werk, das Schubert wenige Wochen vor seinem Tod vollendete, von Musikfachleuten einmal als „einer der Himalajagipfel der Kammermusikliteratur“ bezeichnet, ist gerade im pausendurchwehten Adagio von berührender Schönheit. „Wenn sich melodisch zunächst fast gar nichts bewegt und nur immer wieder der harmonische Bezugsrahmen verrutscht: ein Stadium gletscherhafter Erstarrung, die erst langsam aufgetaut wird und sich auflöst in reinen, süßen Gesang“, so beschrieb es einmal die Musikjournalistin Eleonore Büning.

Dies nicht nur nachzuempfinden, sondern in ihrem Spiel auch auszudrücken und hörbar zu machen, ist für die vier jungen Musiker, zwischen 14 und 19 Jahre, die aus Dresden, Ulm, Basel und Nieuwpoort in Belgien für drei Tage zum Kammermusikprojekt der Kronberg Academy „Mit Musik – Miteinander“ nach Kronberg gekommen sind, eine schwierige Aufgabe – ja eine Herausforderung.

Immer wieder lässt Suyoen Kim, zwar auch erst 27 Jahre alt, aber schon eine gestandene Geigerin, die als Solistin mit international renommierten Orchestern und berühmten Dirigenten wie Kurt Masur und Eliahu Inbal auftritt, gerade die leisen Passagen spielen. Sie macht darauf aufmerksam, dass diejenigen, die dieselben Noten spielen, sich ganz zurück nehmen müssen, damit die anderen Stimmen besser zur Geltung kommen. „Man muss wissen, wann man wichtig und wann man unwichtig ist“, gibt sie ihren jungen Kammermusikpartnern mit auf den Weg. „Das ist ganz wichtig im Leben.“

Aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Norwegen und Belgien kommen die elf jungen Musikerinnen und Musiker, die dieses Mal bei „Mit Musik – Miteinander“ dabei sind. Sie alle haben bereits in Wettbewerben wie „Jugend musiziert“, „Prima la Musica“ und dem „Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb“ erste Preise gewonnen und damit bewiesen, welche solistischen Fähigkeiten sie haben. An diesem Wochenende aber geht es um Kammermusik, und da kommt es vor allem darauf an, aufeinander zu hören, damit aus den einzelnen Stimmen ein Gesamtkunstwerk wird.

Jeder der Elf spielt in verschiedenen Ensembles mit, in Streichquartetten von Edvard Grieg und Anton Stepanowitsch Arenski, Streichquintetten von Franz Schubert und Georges Onslow, einem Streichsextett von Johannes Brahms und einem Streichoktett von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das bedeutet, sich nicht nur jeweils auf die Musik eines neuen Komponisten, sondern auch auf die unterschiedliche Vorgehensweise des jeweiligen Dozenten einzustellen und einzulassen.

Neben der Geigerin Suyoen Kim sind das dieses Mal der Bratscher Guy Ben-Ziony und der Cellist Andreas Brantelid, auch sie bereits auf den großen Konzertpodien der Welt unterwegs und zu Hause. Sie geben ihren jungen Kammermusikpartnern in gemeinsamen Proben wichtige Tipps und Anregungen und geben die Erfahrungen, die sie selbst in Kronberg vor einigen Jahren bei „Chamber Music Connects the World“ im gemeinsamen Musizieren mit ihren Vorbildern, weltberühmten Künstlern wie Gidon Kremer, Christian Tetzlaff, Yuri Bashmet und Steven Isserlis machten, an die nächste Generation weiter. „Das Wochenende soll den jungen Musikern die Welt der Kammermusik öffnen, soll ihnen Inspiration sein“, so drückte es Raimund Trenkler, Direktor und künstlerischer Leiter der Kronberg Academy Sonntagnachmittag beim musikalischen Ausklang aus. Was in den drei Tagen intensiven Probens erarbeitet wurde, ist zwar nicht perfekt, sagt Guy Ben-Ziony, aber darauf kommt es auch gar nicht an.

Viel wichtiger sind die Begeisterung und die Leidenschaft, mit denen die jungen Musiktalente ans Werk gehen, ihre Hingabe an die Musik und das Gemeinschaftserlebnis. Und dafür bedankten sich alle bei Ulrike Crespo, die mit ihrer Crespo Foundation das Kammermusikprojekt finanziert. Sie war bei den Proben dabei, saß beim Finale Sonntagnachmittag im voll besetzten Lokschuppen in der dritten Reihe und erlebte gemeinsam mit allen anderen Besuchern ein Konzert mit vielen wunderschönen Augenblicken, die begeisterten.

„Musik ist Schweigen, das, träumend, anfängt zu tönen. ... Musik bringt der Seele eine Weite, in der sie, die Seele, ohne Angst sein kann.“ So hat der Schweizer Arzt, Kulturphilosoph und Schriftsteller Max Picard in seinem Buch „Die Welt des Schweigens“ 1948 geschrieben. Und damit auf den Punkt gebracht, was an diesem Wochenende wieder einmal in Kronberg zu erleben war.



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