„Friede, Freiheit, Demokratie“ und ein starkes Europa im Fokus

Der Musikverein sorgte für den musikalischen Rahmen beim Neujahrsempfang. Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Mit Ludwig van Beethovens „Ode an die Freude“, der offiziellen Hymne der Europäischen Union, die die ursprünglich von Friedrich Schiller 1785 verfasste Vision eines Europas in Freiheit, Frieden und Solidarität in weitestem Sinne musikalisch symbolisch, stimmte das Orchester des Musikvereins Kronberg die zahlreich erschienen Neujahrsdialog-Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Festsaal der Stadthalle ein. Die vierte Auflage der gemeinsam von der Stadt Kronberg und den beiden Vereinsringen Kronberg und Oberhöchstadt ausgerichteten Veranstaltung stand unter dem Tenor: Es geht wieder um die Freiheit!

Zum einen um die der zivilisierten Welt, die sich, wie Stadtverordnetenvorsteher Andreas Knoche (CDU) in seiner Begrüßungsansprache mit Nachdruck sagte, von den auch 2016 erfolgten Terroranschlägen nicht beeindrucken lassen dürfe. „Wir müssen der Welt demonstrieren, dass wir uns nicht von menschenverachtenden Attentätern einschüchtern lassen und dass wir unser selbstbestimmtes Leben in Freiheit weiterleben!“ Aber nicht nur der Terror in Europa, vor allem auch das tagtägliche Sterben vieler Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt und die Flucht vor Terror und Gewalt von Millionen Menschen mache betroffen und stelle uns vor Herausforderungen. Knoche spannte den Bogen zu den aktuell rund 170 in der Burgstadt untergebrachten Flüchtlingen und dankte allen, die sich für deren Integration einbringen. Als weitere zentrale letztjährige Kronberger Themen nannte er die Ergebnisse und Auswirkungen der im März stattgefundenen Kommunalwahl, die Ausarbeitung eines Stadtentwicklungskonzepts, die Entwicklung des Bahnhofsareals und der Wohngebiete.

Signifikante Verschlechterung

In Sachen Selbstbestimmung und Finanzen lenkte er den Blick auf eine Veränderung mit nachhaltigen Folgen für die Kommune Kronberg – der Kommunale Finanzausgleich (KFA). „Für die Stadt Kronberg im Taunus bedeutet die neue gesetzliche Regelung eine signifikante Verschlechterung, insbesondere durch die sogenannte ‚Solidaritätsumlage‘, die wir trotz eigenem kumulierten Defizit und Haushaltssicherung in Millionenhöhe leisten müssen“, stellte der Stadtverordnetenvorsteher heraus und sah dabei zur Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich, die sicherlich ebenso gespannt, wenn auch aus anderem „Blickwinkel“, der Entscheidung des Staatsgerichtshofs entgegensehe, nachdem die Burgstadt, ebenso wie weitere 17 Kommunen in Hessen, Klage gegen den neuen KFA eingereicht hat. Die Gastrednerin nahm den Ball wenig später auf, bevor sie sich ihrem eigentlichen Thema „Europa – wohin geht die Reise?“ widmete: „Aus dem eigenen Blickwinkel sind die eigenen Probleme immer die größten, aus einem größeren Blickwinkel verschiebt sich das“, konterte sie und forderte auch „von der schönen und reichen Stadt Kronberg, in der so viele Menschen bereit sind, sich zu engagieren“ mehr Verständnis für finanziell schwache Städte. „Wir brauchen Solidarität untereinander in der Politik und der Gesellschaft, Starke müssen Schwachen helfen und Schwache müssen sich bemühen, auf die Beine zu kommen – wir wollen nicht, dass Schwache auf Kosten der Starken leben!“ Die 55-jährige CDU-Politikerin warb an diesem Nachmittag für mehr Optimismus, für Rückbesinnung auf Stärken und daraus resultierendes Selbstbewusstsein statt ausschließlich Negatives und Elend herauszukehren. So führte sie vor Augen, laut Glücksmonitor lebten 95 Prozent der Hessen gerne in ihrem Bundesland, 88 Prozent der Bevölkerung beurteilten die wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut. „Das ist ein Pfund!“ Die Menschen hierzulande hätten im Gegensatz zu weniger vom Schicksal Begünstigten Perspektiven, relative Gelassenheit und Vertrauen in den Staat. Die Politik dürfe jedoch die Augen nicht verschließen vor Populisten, die Misstrauen schürten, sie müsse vielmehr Lösung für deren Einhalt finden. Nach Aussage der Europaministerin ein ebenso schwieriges Feld, wie die Europäische Union mit ihren 28 Mitgliedsstaaten, unterschiedlichen Verhältnissen und Stärken.

Entscheidendes Jahr für EU

2017 sieht Puttrich für die Europäische Union als entscheidendes Jahr. Das so erfolgreiche Projekt stecke 60 Jahre nach den römischen Verträgen unter der Überschrift „Friede, Freiheit, Demokratie“ in einer schweren Krise. Wohin die Reise gehe, hänge ganz entscheidend auch von den Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland ab. Erstmals wolle mit Großbritannien ein Mitgliedsland die Gemeinschaft verlassen – während es außerhalb der Gemeinschaft noch immer Staaten gebe, die darauf brennen, EU-Mitglied zu werden. Bei den anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien plädiert Puttrich für eine nüchterne Herangehensweise: „Ich persönlich halte gar nichts von Strafaktionen aus enttäuschter Liebe.

Dafür bleibt das Vereinigte Königreich – unabhängig von vielfältigen gewachsenen kulturellen, politischen und auch sicherheitspolitischen Beziehungen – Nato-Partner mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat – auch nach einem EU-Austritt ein zu wichtiger Handelspartner.“ Das Vereinigte Königreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU. Zwei Drittel der hessischen Exporte gehen in die EU, mit 8 Prozent ist das Vereinigte Königreich für Hessen der drittgrößte Exportmarkt. Die Entscheidung für den sogenannten Brexit entgegen aller Prognosen sei unter anderem auch auf falsche Wahrnehmung zurückzuführen.

Zum Beispiel hätte ein Großteil der Menschen, die nicht in London leben, gegen den Verbleib in der EU gestimmt. „Diese Menschen scheinen sich von der Politik nicht abgeholt gefühlt zu haben, wir müssen unsere Wahrnehmung schärfen, zuhören und uns hinterfragen, ob wir Strömungen früh genug wahr- und ernstnehmen!“ Gleiches gelte im Übrigen für das ebenso unerwartete Präsidentschaftswahlergebnis in den USA.

Beschränkung der Freizügigkeit

Gegenwärtig spreche viel dafür, dass mit dem britischen EU-Austritt zumindest ein teilweiser Verlust des Zugangs zum Binnenmarkt und eine Beschränkung der Freizügigkeit verbunden sein werde, so Puttrich. Der Grund: Eine Hauptforderung der Brexit-Befürworter, die auch nach Auffassung aller politischer Beobachter entscheidend den Ausgang des Referendums bestimmt hat, ist die Begrenzung des Zustroms von Arbeitskräften aus den EU-Staaten. Die 27 EU-Staaten hätten andererseits keinen Zweifel daran gelassen, dass es unbeschränkten Zugang zum Binnenmarkt nur geben kann, wenn die vier Grundfreiheiten der EU-Verträge und das Diskriminierungsverbot vom Vereinigten Königreich beachtet werden. Es dürfe keine Rosinenpickerei geben. Für Hessen und das Rhein-Main-Gebiet mit Flughafen und Finanzplatz berge der Brexit ihrer Meinung nach sowohl Chancen als auch Risiken. In der aktuellen Zukunftsdiskussion gehe, so Puttrich, fast völlig der bisher fehlende Antrag der Briten auf EU-Austritt sowie die anschließende zweijährige Abwicklungsdauer bis zur finalen Realisierung unter. Zwei Tage nach Puttrichs Vortrag in der Burgstadt gab die konservative britische Premierministerin Theresa May in ihrer mit Spannung erwarteten Rede einen Einblick darüber, was von Seiten des Inselstaates angestrebt wird, ein „wirklich globales Britannien“, das die EU komplett verlassen will.

In Sicherheitsfragen fordert Ministerin Puttrich dringend ein gemeinsames Handeln Europas. „Unsere künftige Rolle in der Welt wird bestimmt durch unsere Stärke in sicherheitspolitischen Fragen! Wir haben uns zu lange bei diesen Themen zurückgelehnt und auf andere verlassen!“ Angesichts der Kriege und Konflikte auf der ganzen Welt müsse Europa nun seine militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit stärken und besser strukturieren. Eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion sei zugleich ein wichtiges Signal an die strategischen Partner innerhalb der NATO.

Zu mehr Sicherheit gehöre unter anderem, dass Europa bei der Migrations- und Asylpolitik rasch zu einer gemeinsamen Politik finde. Deshalb müssten der Schutz und die Kontrolle der EU-Außengrenzen erheblich ausgebaut werden. „Nur so können wir die Freizügigkeit im Schengenraum und den grenzenlosen Binnenmarkt erhalten, die für unseren Wohlstand und unseren Alltag unverzichtbar sind“, sagte Puttrich. Europa brauche zudem ein Ein- und Ausreiseregister sowie vereinheitlichte Asylverfahren einschließlich einer Harmonisierung der Sozialstandards. Puttrich fordert auch eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten der EU.

Grundsätzlich fordert die Staatsministerin von den Staaten Europas mehr Geschlossenheit. Oft seien es nationale Egoismen, die den Kontinent im Krisenmodus erstarren ließen. Eine Gemeinschaft funktioniere nicht, wenn jeder nur seinen eigenen Vorteil suche. Puttrich schlägt deshalb erneut eine weitergehende Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips vor. Nicht zuletzt brauche Europa aber überzeugte Bürgerinnen und Bürger, die gegen die einfachen Phrasen der Populisten argumentieren, sowie mutige Politiker, die Themen ansprechen und Lösungswege aufzeigen.

Bürgermeister Klaus Temmen (parteilos) machte im Anschluss deutlich, Kronberg werde den „Brexit“ weiter mit großem Interesse verfolgen, allein schon wegen der Berührungspunkte mit Großbritannien, der nunmehr 20 Jahre währenden Städtepartnerschaft mit Aberystwyth in Wales. Dass dort die Menschen mehrheitlich und entgegen dem allgemeinen Trend in Wales für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union abgestimmt hatten, war auch Lucia Puttrich nicht verborgen geblieben.

Einmal mehr verwies der Rathauschef auf die Zukunft, wie unter anderem die Wahl eines neuen hauptamtlichen Ersten Stadtrats durch die Stadtverordnetenversammlung. Derzeit läuft das Bewerbungsverfahren für die Nachfolge. Die nächste nichtöffentliche Sitzung des Wahlvorbereitungsausschusses ist für Ende der Woche terminiert.

Unverzichtbare und wertvolle Dienste

Des Bürgermeisters abschließender besonderer Dank und Respekt galt allen in so vielen Bereichen ehrenamtlich tätigen Akteuren in Vereinen, Verbänden, Stiftungen, Kirchengemeinden, sozialen Organisationen, Feuerwehren, Rettungsdiensten und anderen Hilfsorganisationen. „Sie leisten auf kulturellem und sozialem Gebiet, bei den Städtepartnerschaften, im sportlichen Bereich, im Rahmen der Flüchtlingshilfe sowie im Natur- und Umweltschutz für unsere Stadt wertvolle und unverzichtbare Dienste!“ Ebenso die „so segensreich wirkenden Stiftungen sowie alle weiteren Spender und Sponsoren“, ohne deren Engagement viele Projekte nicht zu verwirklichen wären.

Die große Verbundenheit und bereitwillige Unterstützung kam einmal mehr auch beim Neujahrsdialog zum Tragen. Neben dem Orchester des Musikvereins Kronberg, das an diesem Nachmittag nach der europäischen Hymne noch mit Abbas Hit „The way old friends do“ und dem Radetzky-Marsch“ (Johann Strauss Vater) unterhielt, waren auch die vier Partnerschaftsvereine, der Aktionskreis Lebenswerte Altstadt, der Verein Tourismusförderung in Kronberg, das Hausmeisterteam der Stadthalle und städtische Mitarbeiter mit von der Partie für die Veranstaltungsorganisation und -durchführung. Es hat sich herumgesprochen, dass der seit 2014 als offener Empfang stattfindende Neujahrsdialog eine willkommene Gelegenheit zum Netzwerken bietet.

Dass sich unter die Schar der Repräsentanten aus dem Hochtaunuskreis, Bürgermeister aus den Nachbarkommunen, Lokalpolitiker, Unternehmer, Vereinsvertreter und Bürger beispielsweise auch der russische Generalkonsul, Alexander Bulay, der chinesische Vize-Generalkonsul, Xing Weiping und der argentinische Generalkonsul, Edgardo Malaroda, gemischt hatten, darf als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass die Taunusstadt Kronberg immer stärker auch international repräsentiert und wahrgenommen wird.



X