Häkeln und helfen – Weihnachtsmarkt ganz im Zeitgeist

Der „New Spirit Gospel Choir“ aus Wiesbaden bei seinem überzeugenden und stimmgewalten Auftritt in der Johanniskirche Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Da sag doch noch mal einer, die Handarbeitskünste sterben aus. In der Burgstadt schienen in den vergangen Jahren die Stände mit selbst genähten Babyschühchen, gehäkelten Topflappen oder gestrickten Socken immer rarer zu werden. Dafür kamen viele weitere Essens- und Getränkeangebote hinzu. Wer hat heute im virtuellen Zeitalter, wo beide Hände für das iPhone benötigt werden, der Datenfluss an Fahrt aufgenommen hat, während das gesprochene Wort den Jugendlichen mitunter im Halse stecken bleibt, noch Zeit für liebevolle Handarbeit? Keiner? Weit gefehlt, die Zeit der selbst genähten Puppenkleider ist nicht unwiderbringlich zu Ende! Der Trend zur Marke „Self-made“ ist in dieser Saison – nicht nur in Kronberg – unübersehbar geworden und macht das Schlendern vorbei an den Weihnachtsmarktauslagen zu einem erquickenden Erlebnis. Häkelmützen in allen erdenklichen Mustern, und Farben, mit und ohne Bommel, stehen auf der Wunschliste dieses Jahr augenscheinlich ganz oben, self-made, versteht sich! Es gibt einen echten Mützen-Hype. Wer die Marktbesucher beobachtet, stellt fest, dass bei den Jüngeren, aber auch bei den modisch gekleideten Mitte-Dreißigern und -Vierzigern kaum einer ohne originelles Häkelstück auf dem Kopf über den Weihnachtsmarkt laufen. „Das macht einfach unheimlichen Spaß“, verkünden Karin Lupe und ihre Tochter aus Kronberg, die unter dem Markennamen „Lupi‘s“ schon viele Jahre mit ihrer Strickware (auch Handtaschen, Stulpen etc.) am Start sind. Dank der großen Nachfrage nach Häkelgarnen soll sich das eine oder andere Strickwarengeschäft, das bereits kurz vor der Geschäftsaufgabe stand, gerade zum Weitermachen entschieden haben. Die coolen Wellenreiter und Snowboarder waren es, die mit der Häkelwolle auf dem Kopf einen neuen Trend gesetzt haben. „Man kann sie wirklich auch super im Sommer am Strand tragen“, weiß Julia, die viele Fans für ihre neonfarbenen Häkelmützen auf Facebook hat. Aber auch im Terracottasaal findet die junge Dame für ihre Mützen, die sie erst seit wenigen Monaten nach ihrem Surfurlaub zu häkeln begonnen hat, neben der Klöppelspitze und Glasbläserkunst, der Holzschnitzerei, dem selbst gefertigten Glasperlenschmuck und der Goldschmiedekunst viele „Likes“. Vielleicht ist die Besinnung auf die Handarbeit ein Gegentrend auf die flüchtige Gegenwart, in der viele virtuelle Freunde haben und doch alleine zuhause sitzen. Eine Entschleunigung ist es allemal, die Häkelnadel zur Hand zu nehmen. Und die luftige Häkelware ist nicht nur für nasse Surferhaare im Sommer das Richtige, sondern auch für den neuen Trend zum feucht-warmen Winterwetter wie in diesen Tagen. „Wir häkeln sie für unsere Freunde, auf Bestellung und gegen Bezahlung“, verrieten zwei andere junge Damen auf dem Tanzhaus, die mit ihren Freunden aus Eschborn und Frankfurt über den Kronberger Weihnachtsmarkt schlenderten – nicht ohne besagte Kopfbedeckung, versteht sich. Und ein junger Mann im Pfadfinderzelt verriet: „Natürlich ist meine Mütze echte Handarbeit.“ Er hat sie im Ötztal einer eingeschworenen Oma-Häkelgemeinschaft abgekauft, die den jungen Snowboardern auf Bestellung und nach farblicher Vorgabe die Mützen fertigt. Kreativ ans Werk gingen aber noch mehr Teilnehmer der 145 Stände. So zum Beispiel Julia Neumann aus Bergen-Enkheim. Sie wollte nach der Geburt ihrer Tochter den „Rosa-Wahn“ nicht mitmachen und fing an, eigene praktische Hängekleidchen und Pumphosen in allen erdenklichen lustigen Mustern zu nähen. Katrin Glenz, von Haus aus Sängerin, wurde ebenfalls mit der Geburt ihres ersten Kindes erfinderisch. „Ich habe beim Singen beim Blick auf das Mikrofon irgendwann gedacht, das sieht doch aus wie gehäkelt.“ So entwarf sie ihr Unikat ein Stoffmikro, genäht und gehäkelt und für Kinder. Wenn man es in die Hand nimmt, ist es zugleich eine Rassel. Doch damit nicht genug, das Nähen wurde zur echten Leidenschaft von Katrin Glenz, die an ihrem Stand vor der Streitkirche ein liebevoll gefertigtes Stoffpuppenhaus ausstellt und eine Vielzahl von bunten kuscheligen Stoffmonstern verkauft. Die Zeit zum Nähen habe sie vor ihren Auftritten, verrät sie. „Oftmals muss man lange auf seinen Einsatz warten, jetzt habe ich für diese Zeit eine wunderbare Beschäftigung gefunden“, erzählt sie lachend.

Ausgefallene Handarbeiten gab es aber bei einigen Ständen, bei denen die Auslagen für einen sozialen Zweck verkauft wurden. So auch bei der „Initiative Kronberg 96 für Eine Welt“, die mit wunderschönen Handarbeiten aus Nepal aufwartete oder beim Stand des Vereins „Jasmine Baladi“, der seit einem Jahr syrischen Flüchtlingsfamilien in verschiedenen Lagern, im Libanon, in der Türkei hilft, ihre Kinder zu ernähren und einem Teil der Kinder Schulunterricht ermöglicht. An ihrem Stand gab es handbestickte Mäppchen aus dem Libanon und in uralter Tradition handgewebte Tücher, die syrische Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern selbst herstellen.

Auch für die Flüchtlinge vor Ort in Kronberg wurde fleißig gesammelt – die Zahl derer, die einen Teil ihrer Einnahmen für karitative, soziale oder kulturelle Zwecke spendeten, war einmal mehr ausgesprochen hoch. Natürlich durften neben den zahlreiche Organisationen und Vereinen auch die Partnerschaftsvereine der Stadt Kronberg mit ihren Ständen und Gästen aus den jeweiligen Partnerstädten nicht fehlen und die Stimmung war bereits am Samstagnachmittag trotz anhaltenden Nieselregens freudig bis ausgelassen.

Während es die kleinsten Besucher zum Nikolaus zog (den Horst Neugebauer viele Jahre lang verkörperte, der nun sein Zepter an Holger Pritzer weitergegeben hat), um eine süße Gabe zu erstehen, zum Kettenkarussell auf den Berliner Platz oder zum kleinen Streichelzoo, den der Opel-Zoo dort anbot, zog es die Erwachsenen zur walisischen Harfenistin in die katholische Kirche St. Peter und Paul oder in die Johanniskirche. Dort trat am Samstagabend der „New Spirit Gospel Choir“ aus Wiesbaden mit seinem weihnachtlichen Programm auf. Lange brauchten die Vokalsolisten nicht, um mit ihrem Chorleiter, Dr. Andreas-Joachim Peters die Herzen ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer zu erreichen. Stimmgewaltig und mitreißend waren die Darbietungen von amerikanisch peppigen Weihnachtssongs bis zu traditionellen Gospel-Liedern, auch jede Solo-Darbietung überzeugte. Das Repertoire breit gefächert, sangen sie die Weihnachtsgeschichte genauso wie schwedische und keltische Lieder. In der prächtigen Johanniskirche erklangen „Total praise“ von Richard Smallwood genauso wie „You raise me up“ von Secret Garden als auch einige bekannte Gospel-Songs zum Mitsingen nach der Pause, wie „Happy Day“ oder „Amen“. Beseelt von diesen schönen Klängen ließ es sich gut und gerne noch eine Runde mehr durch den beschaulichen Weihnachtsmarkt streichen – auf dem eine weitere Harfenspielerin und Sängerin Saja-Christin Hüllsieck, gleich unterhalb der Johanniskirche ebenfalls für weihnachtlich-romantische Stimmung sorgte. Nebenan wurden Plätzchen nach alten Rezepten angeboten und beim Fotografen Andreas Fasold konnte sogleich für die Weihnachtskarten das obligatorische Familienfoto geschossen werden.

Sich Gedanken gemacht, wen man mit den selbst gemachten Rumkugeln und Plätzchen und durch Verkauf von heißem „Äppelwoi“ unterstützen könnte, hatte auch das Team von Poll Immobilien, die in der Friedrich-Ebert-Straße nur ihre Fenster zu öffnen brauchten – schon war die Straßentheke fertig. Entschieden haben sie sich für den Verein Myanmar-Kinderhilfe, die buddhistische Waisenheime und deren kostenfreie Grundschulen unterstützt. Ob Suppe, Waffeln, Stofftiere oder Rumkugeln – am Ende machten wohl die meisten Teilnehmer trotz Regen ihren Umsatz und gingen müde, aber mit strahlenden Gesichtern nach Hause. Wo man auch nachfragte, wurde einem umissverständlich erklärt: Anzupacken und tatkräftig mitzuhelfen ist nicht nur nötiger denn je geworden, es schenkt auch große Zufriedenheit, selbst etwas zu tun. Und es lohnt sich, denn jede Hilfe, ob hier in Kronberg bei Familien, dort im Flüchtlingslager oder in den wunderschönen Landschaften Myanmars, trägt dazu bei, die Not von Menschen zu lindern.



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