Lebendige Diskussion zum Thema: Ist Kronberg eine soziale Stadt?

Kronberg (mw) – „Danke, dass Sie mich in Ihr Reichenghetto eingeladen haben.“ Das waren die ersten Worte des Chefredakteurs der Frankfurter Rundschau, Mitherausgeber des Buches „Was ist gerecht“, Arnd Festerling an das in der Stadthalle versammelte Publikum. Die SPD hatte Festerling zur Podiumsdiskussion mit dem Thema „Kronberg – eine soziale Stadt?“ eingeladen. Nach diesem provokanten Einstieg hatte er die volle Aufmerksamkeit des Kronberger Publikums, das sich nicht gerne diesen Stempel verpassen lässt. Doch Festerling blieb dabei: „Kronberg ist ein Reichenreservat, das wenig mit der Realitiät zu tun habe. Und bevor der Widerstand im Publikum allzu laut werden konnte, fügte er augenzwinkernd hinzu: „Ich weiß, wovon ich rede, ich komme aus Bad Soden, da ist es genauso.“ Worauf er hinauswollte, erzählte der den Kronbergern anschließend: Dass seine Töchter das erste Mal einen Bettler sahen, als er mit ihnen einen Ausflug in die Großstadt unternahm und er ihnen nun erklären sollte, wie das sein könne. „Schließlich kamen sie aus einer Stadt, wo keiner auf der Straße sitzen muss und wo Erwachsene nicht Bus fahren, weil sie ein Auto haben.“ Da Kinder sich nun einmal nicht mit der lapidaren Antwort: „Das ist eben so“ abspeisen ließen, habe er sich mitten in der Diskussion „Ist das gerecht?“ wiedergefunden.

Die Entwicklung weltweit und in Deutschland, die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich, sieht Festerling als Gefahr für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Untersuchungen zufolge schade zu viel Ungerechtigkeit der Gesellschaft und sogar dem Kapitalismus. Sich zugehörig und verantwortlich zu fühlen, das gehe nun einmal mit Solidarität und Gerechtigkeit in einer Gesellschaft einher und die wünschten sich die Menschen, fragt man sie, zu 99 Prozent : Jeder soll vor dem Recht gleich sein.

„Gerechtigkeit ist das zentrale Thema unserer Zeit“, fasste Festerling nach seinem Exkurs über Haben und Nicht-Haben, über Karl Marx und Jesus, mit Blick auf Amerika die derzeitige politische Entwicklung in Amerika und in Dänemark zusammen. Auch für die kleine beschauliche Burgstadt am Taunushang könne das bedeuten: „Desto mehr Menschen sich ausgeschlossen, nicht zugehörig fühlen, desto weniger werden sich für ihre Stadt interessieren.“

Das Thema „soziale Gerechtigkeit“ diskutierten facettenreich und engagiert über zwei Stunden an diesem Abend, der weniger einer Wahlkampfveranstaltung als einem spannenden Dialog glich in der Stadthalle außerdem auf dem Podium Erster Stadtrat Jürgen Odszuck (parteilos), die Genossen Ernst Welteke, ehemaliger hessischer Finanzminister und Bundesbankpräsident a. D. sowie Gerold Reichenbach, ehemals wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und Landesvorsitzender des THW in Hessen und Hans Willi Schmidt, der als parteiloser Kandidat für die SPD antritt. Modiert wurde der Abend von SPD-Mitglied Ralf Löffler.

Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, das konnte auch Ernst Welteke bestätigen. Wenn in Deutschland von 62 Personen die Rede sei, die so viel besitzen wie 53 Prozent der ärmeren Gesamtbevölkerung, dann müsse eigentlich ein lauter Aufschrei durch die Bevölkerung gehen. Doch die Zahlen seien jenseits unserer Vorstellungsskraft. Als Kronberger Bürger nimmt Welteke diese auseinanderklaffende Schere täglich in der Burgstadt wahr: An der öffentlichen Armut der Stadt die im Gegensatz zum privaten Reichtum der Menschen, die hier wohnen, steht. Der Durchschnittsverdiener könne sich in Kronberg keine Wohnung leisten, aber Villen, die unbezahlbar seien, gäbe es genügend, genauso viele wie Schlaglöcher in den Straßen, für deren Instandsetzung der Stadt das Geld fehlt, skizzierte er anschaulich die Realität. Bauland sei im Hochtaunuskreis immer schwieriger zu finden, gleichzeitig gingen die Bestandspreise in die Höhe.

Ob eine Stadt sozial ist, lässt sich laut Gerold Reichenbach am Vorhandensein von sozialem Wohnraum und genügend Bildungsangeboten, an einer gesunden Durchmischung von Menschen aus unterschiedlichen Schichten, messen, – als Basis für eine soziale Stabilität.

Das Thema Wohnraum sollte ein zentrales Thema an diesem Abend bleiben: Es herrschte Einigkeit darüber, dass sozialer Wohnraum in Kronberg geschaffen werden muss, wenn Kronberg eine soziale Stadt bleiben soll. Das bedeute laut Jürgen Odszuck nicht allein, genügend Sozialwohnungen zur Verfügung stellen zu können, sondern auch „klassische Familienwohnungen“ anbieten zu können. „Familienwohnung für Durchschnittsverdiener haben wir hier tatsächlich kaum“, bestätigte er. Und bei den Sozialwohnungen ständen derzeit 150 Menschen auf der Warteliste. Die werde in naher Zukunft voraussehbar noch länger, da mehr und mehr anerkannte Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt hinzukommen werden. Zudem fielen in 2017 von den rund 200 Sozialwohnungen, die die Stadt vorhält, 56 aus der sozialen Bindung. „Deshalb müssen wir in Zukunft unbedingt mehrere Segmente beim Wohnungsbau bedienen, und das haben wir auch vor“, sagte er und nannte die geplante Bahnhofsbebauung als Beispiel.

Reichenbach unterstrich, dass die Kommunen dort tätig werden müssten, wo sie noch über Grund und Boden verfügten. Und auch über vorhabenbezogene Bebauungspläne und Satzungsrecht könne die Stadt lenken, allerdings müsse sie das politisch auch durchsetzen. „Wenn die Kommune den Prozess aktiv betreibt, gibt es genügend Gestaltungsmöglichkeiten“, betonte er, beispielsweise auch Förderprogramme. „Aber von selbst passiert natürlich nichts.“ Odszuck warb in diesem Zusammenhang für die Genossenschaftsbildung. Zurzeit gäbe es eine wahre „Renaissance der Genossenschaften“. Für ihn ein mögliches Instrument, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Genauso könne über günstige Grundstücke, die zur Verfügung gestellt werden, Menschen trotz wenig Eigenkapital zu Wohneigentum verhelfen. 4.500 Menschen pendelten allein täglich mehr in die Stadt hinein zur Arbeit als hinaus, viele von ihnen würden gerne hier wohnen, sagte er und warb ebenfalls für „eine gesunde Durchmischung“ in der Stadt. Außerdem informierte er darüber, dass derzeit alle vorhandenen Flächen gemeinsam mit den Bürgern im Rahmen der Erarbeitung eines Stadtentwicklungskonzepts geprüft würden, für welche Wohnformen sie sich eignen – in der Innen- genauso wie im Außenbereich. Wohngebiete, die zukünftig noch politisch bereits zur Diskussion stehen, sind unter anderem der „Grüne Weg“ und die Feldbergstraße, in der zunächst Häuser für die Flüchtlinge errichtet werden sollen, die später als bezahlbare Wohnungen angeboten werden sollen.

Gegen Ende der Diskussion rückte noch einmal der grundlegende Gedanke in den Vordergrund, dass eine Stadt nur sozial stabil bleibe, wenn sie möglichst viele Menschen zusammenbringen vermag und als soziales Gefüge über Stabilität verfügt. Festerling dazu: „Die Gemeinde kann trotz leerer Kassen den Rahmen schaffen für gemeinschaftliches Engagement, beispielsweise über eine gemeinschaftliche Streuobstwiesenernte als Event.“ Für Hans Willi Schmidt die Steilvorlage, um auf das, was Kronberg ausmacht, hinzuweisen: „Unsere Stadt lebt bereits von den Festen, von dem Miteinander und der Kommunikation auf diesen.“ Auch Kronbergs funktionierende Vereinslandschaft mit mehr als 120 Vereinen. „600 bis 700 engagierten Menschen allein in den Vereinsvorständen ist schon ein Zeichen, dass Kronberg eine soziale Stadt ist. Allein in der Flüchtlingshilfe engagierten sich über 100 Bürger ehrenamtlich – gerade hier seien neben der Mittelschicht auch die gesamte Bevölkerung, also auch die Reichen vertreten. Reichenbach unterstrich, dass nach seinen Erfahrungen das Engagement in Vereinen und damit, sich in der Stadt zu engagieren, auch bei jungen Menschen, durchaus vorhanden sei. „Die Motivationsbereitschaft ist wieder da.“ Allerdings nehme die Bereitschaft ab, sich in einer festen Struktur zu engagieren, dazu habe sich die Berufswelt zu sehr verändert. Vereine seien in ihrer Struktur heute als Produkt der Industriegesellschaft mit fest definierten Arbeitszeiten und Freizeit veraltet. Deshalb müssten sie sich bewegen, dem Wunsch von „temporärem Engagement“ der jungen Menschen entgegen kommen. Dabei könne auch eine Ehrenamtsbörse helfen, die freiwilliges Engagement verteilen helfe.

Am Ende herrschte auch Übereinstimmung in dem Punkt, was Kronberg auf seinem Weg, soziale Stadt sein und bleiben zu wollen, berücksichtigen muss: Denjenigen, die an der Veranstaltung nicht teilgenommen hätten, auch begreiflich zu machen, dass es den sozialen Zusammenhalt, eine gesunden Durchmischung in der Stadt unbedingt braucht, so befand Welteke. Das Interesse an der Stadtgesellschaft müsse geweckt werden, und mit denen, die sich interessierten, gemeinsam ein Konzept erarbeitet werden, warb Reichenbach ebenfalls für das Zusammenwachsen, während Schmidt noch einmal daran erinnerte, dass es gelte, gemeinsam Kronbergs Schätze wie die Burg, das Schloss, die Altstadt etc. endlich besser zu vermarkten. Und Odszuck machte sich darüber Gedanken, wie das in der Stadt schlummernde Potenzial – die hohe Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt, die er wahrnimmt – besser genutzt werden könne. Oftmals kämen zu den Bürgerbeteiligungs-Veranstaltungen immer wieder dieselben Bürger, nicht selten, um zu sagen, was sie nicht wollten. Es gelte, ebenfalls die anderen, die sich mit ihrer Stadt identifizierten, zu erreichen.



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