Neujahrsdialog zum Erfahrungsaustausch und „Brücken bauen“

Bürgermeister Klaus Temmen bei der Begrüßung der zahlreichen Bürgerschar, die sich zum Neujahrsdialog in der Stadthalle eingefunden hatte. Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Das Format des städtischen Neujahrsdialogs, zu dem die Stadt Kronberg alle Bürgerinnen und Bürger zum zweiten Mal in Folge am Sonntagnachmittag in die Stadthalle eingeladen hatte, stieß auf rundweg positive Resonanz.

Rückblick auf 2014

Nach Sektempfang und musikalischem Auftakt durch den Musikverein Kronberg unter der Leitung von Christian Kraft begrüßte die Stadtverordnetenvorsteherin Blanka Haselmann die bunt gemischte Bürgerschar in der gut gefüllten Stadthalle mit den Worten: „Wir wollen uns in den Ansprachen kurz fassen, schließlich sollen Sie vor allem reichlich Gelegenheit erhalten, in persönlichen Gesprächen, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen.“ Einen kleinen Rückblick auf das vergangene Jahr wagte sie dennoch. Haselmann sprach von einem Jahr, in dem sich Freud und Leid oft abgewechselt hätten. Der wohl schönste Moment, den viele Kronberger gemeinsam im Recepturhof genossen hätten, „ist der Triumph unserer Fußball-Nationalmannschaft“ bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gewesen. „Große Sorge bereitet uns nach wie vor die Ukraine-Krise, deren Verlauf im Jahr 2014 gewalttätige Ausmaße annahm und die Welt ebenso in Atem hält wie die terroristischen Akte der IS. Der „barbarische Akt von Paris“, die Ermordung des nahezu gesamten Redaktionsteams der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris „trifft uns alle“ und mache deutlich, dass der Terrorismus weiter bekämpft werden muss, vor allem aber auch vor Europa nicht Halt mache. „Auch wir sind Charlie Hebdo“, sagte Haselmann, die in ihren weiteren Ausführungen auch an die Ebola-Epidemie erinnerte.

Neben den Wahlen zum Europäischen Parlament gab es in der Burgstadt die Bürgermeister-Wahlen, bei denen Klaus Temmen mit 77,7 Prozent an Ja-Stimmen wiedergewählt wurde, blickte sie zurück und merkte zugleich an, dass in diesem Jahr am 23. Juli die Wahl des Ersten Stadtrats auf der Agenda des Stadtparlaments steht. Als „große Herausforderung“ im vergangenen Jahr, die aber auch in diesem Jahr bleiben werde, blickte sie auf die Aufnahme von Flüchtlingen in Kronberg. „Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders dem im Sommer gegründeten Arbeitskreis Flüchtlingshilfe mit seinen vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die sich alle mit großartigem Engagement für die Hilfe dieser in Not geraten Menschen einsetzen“, befand sie, und erwähnte in diesem Zusammenhang Stiftungen, Spender und Sponsoren, die durch ihre Arbeit oder Spenden eine Vielzahl an sozialen, kulturellen und sportlichen Projekten unterstützt haben sowie Vereine und Unternehmen, „die durch ihr Wirken maßgeblich dazu beitragen, dass wir unsere Qualititätsstandards erhalten können. Um diese auch künftig zu sichern, müssen wir unsere Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung unbeirrt fortsetzen“, betonte sie. Es gelte außerdem, die Einnahmenseite weiter zu verbessern und „gerade im Bereich der Stadtentwicklung die richtigen Schritte in die Zukunft zu machen“.

Ausblick 2015 – Stadtentwicklung

Welche Schritte in diesem Bereich in 2015 und in weiterer Zukunft anstehen, darüber sprach Erster Stadtrat Jürgen Odszuck in seiner Ansprache, die mit einem Plädoyer an die Bürger endete, in dem er sie einerseits bat, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren, wenn es um die Stadtentwicklung geht, gleichzeitig jedoch auch ihre Aktivität einforderte. „Gestalten Sie unsere Kronberger Zukunft mit, überlassen Sie nichts dem Zufall“, lud er schon heute ein, am Bürgerbeteiligungsprozess ab Mitte März zur Ausarbeitung eines Stadtentwicklungskonzeptes mitzuwirken. Es seien wesentliche Entscheidungen, die bevorstehen würden, schaue man sich die Trends an: Siedlungsdruck im gesamten Rhein-Main-Gebiet, Demografischer Wandel, bei dem Kronberg eine Vorreiterrolle spiele sowie Alarm der hiesigen Gewerbebetriebe, die über mangelnde Expansionsmöglichkeiten klagten. Natürlich hätten alle Aktivitäten zur Steuerung dieser Trends ebenfalls Auswirkungen auf die Stadt. „Sie beeinflussen die Landschaft, die Umwelt, aber auch die Landwirtschaft sowie den Verkehr.“ Eben darum sei es wichtig, früh in den Dialog mit den Bürgern der Stadt einzutreten. Zeit zur Entwicklung sei wichtig. Aus Angst um den „Kronberger Charakter“ nichts zu tun, ist für ihn keine Alternative: „Die einzige Konstante ist doch der Wandel“, bemühte er den Philosophen Heraklit, gefährlich sei der Wandel nur, wenn er ins Ungewisse führte. Lieber sollte man sich Gedanken machen, was den Charme Kronbergs früher, und was ihn heute ausmacht.

Bei Großbauprojekten müsse auch die Frage nach der Bereitschaft der Bürger, individuelle Nachteile zu akzeptieren, gestellt werden dürfen. Er ließ in diesem Zusammenhang die Frage nach „mangelnder Solidarität“ unbeantwortet im Raum stehen. Ohne eine vollständige Liste aller Projekte abliefern zu wollen, wies der Erste Stadtrat eingangs auf die Entwicklung des Bahnhofsquartiers hin. „Auch wenn dort noch nicht viel zu sehen ist“, wichtige Entscheidungen stehen hier in 2015 an, betonte er. Er nannte den Kammermusiksaal und das Hotel, den Einstieg in den Wohnbau und die Gewerbeentwicklung, die Konzeption Bahnhofsplatz als öffentlichen Raum. „Es gilt in diesem Jahr, die Weichen zu stellen und wesentliche Entscheidungen zu treffen“, so der Erste Stadtrat.

Ehrenurkunde für Gerd Wiesner

Bevor die offene Dialogrunde bei Wein und Häppchen eingeläutet wurde, nutzte die Stadt Kronberg den feierlichen Rahmen in der frühlingshaft geschmückten Festhalle, um dem langjährigen Vorsitzenden des Kontakt- und Freundeskreises Behinderter, Gerd Wiesner, der sich nach fast 36 Jahren Ende 2014 aufgelöst hat (wir berichteten), seine Anerkennung in Form der Verleihung der Ehrenurkunde auszudrücken. In seiner Laudatio dankte Temmen Wiesner für sein jahrzehntelanges Wirken im Kontaktkreis, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, Menschen mit unterschiedlicher Behinderung oder Krankheit zu helfen. Der Kontaktkreis hatte für seine Arbeit 2008, zum 30-jährigen Bestehen, bereits den Bürgerpreis der Stadt Kronberg erhalten.

Die Auszeichnung von Gerd Wiesner sei zugleich als Anerkennung für alle in diesem Kreis in der Vergangenheit engagierten Menschen zu verstehen. „Trotz des Abschieds überreichen wir die Ehrung mit Freude, denn es ist der langjährigen Arbeit des Vereins zu verdanken, dass sein Geist in anderen Organisationen weiter lebt“, betonte der Rathauschef. So sei der Kontaktkreis Impulsgeber für andere gewesen, sich verstärkt dem Thema Inklusion zu widmen. Der Kontaktkreis sei für die Leitidee der Integration eingetreten „und war ein wichtiger Mosaikstein für die Einbindung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft“.

„Ich bin voll des Dankes und der Begeisterung, dass wir hier in diesem schönen Kreis geehrt werden“, richtete Wiesner nach der feierlichen Ehrung durch Blanka Haselmann und Klaus Temmen das Wort an die Bürger. Zunächst einmal habe er sich jedoch daran gewöhnen müssen, heute eine „postume Ehrung“ zu erfahren. „Dass wir so richtig gut sind, wurde wohl erst jetzt so richtig deutlich.“ Leider seien viele der Gründungsmitglieder und langjährigen aktiven Mitstreiter nicht anwesend, oftmals auch aus gesundheitlichen Gründen, was mit ein Grund war, den Kontaktkreis aufzulösen.

Wiesner erinnerte an das Gründungsjahr des Kontaktkreises, in dem auch der Rollator erfunden wurde. Wie der Alltag damals für Menschen mit Behinderung, beispielsweise von Unfallopfern ausgesehen habe, könne man sich heute oft gar nicht mehr vorstellen. „Es gab keinen Treppenlift und keine barrierenfreien Zugänge. Viele Behinderte waren total isoliert und vereinsamt.“ Und so seien die ersten Ausflüge der bunt gemischten Gruppe, zu der ebenso nicht behinderte Menschen gehörten, äußerst spannend gewesen, wie zum Beispiel ein Städelbesuch, für alle ein echtes Abenteuer. „Natürlich gibt es weitere Aufgaben zu erledigen und es gibt noch kleinere Probleme“, so Wiesner. Doch glücklicherweise habe die Mobilität behinderter Menschen, bis zur Spezialanfertigung bei Autos, extrem zugenommen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft ebenfalls. „Stellen Sie sich vor, warum wir uns als Treffpunkt das damalige RPZ auserkoren hatten.“ Der Grund sei ganz einfach gewesen, verriet Wiesner. In ganz Kronberg sei das damals der einzige Veranstaltungsort mit einer behindertengerechten Toilette gewesen. „Glücklicherweise haben wir ja heute eine behindertenfreundliche Toilette am Berliner Platz. Schade nur, dass sie nicht benutzbar ist“, sprach er deutliche Worte an die Verantwortlichen. Ob das den Charme der Stadt ausmache?

Als wichtigen Grundsatz seiner ehrenamtlichen Tätigkeit hatten ihn all die Jahre die Worte Leonardo da Vincis begleitet, wie er verriet: „Ein Bogen besteht aus zwei Schwächen, die gemeinsam eine Stärke bilden.“ Beide Teile seien für sich genommen unvollständig und schwach, baue man jedoch eine Brücke, werde aus einer zunächst vielleicht störenden Barriere, der Behinderung, etwas Neues, vielleicht sogar Besseres geschaffen. In diesem Sinne, überall, auch im anschließenden durch den Dialog, zwischen den Menschen Brücken zu bauen, verabschiedete er sich im Namen des Kontaktkreises. Damit war die Bühne frei für ein abschließendes Musikstück des Musikvereins und den anregenden Gesprächen zwischen Vereinsvertretern, Gemeindevertretern und Bürgern stand nichts mehr im Wege. Für die aufmerksame Bewirtung der Gäste sorgte das Serviceteam des Altstadtkreises sowie Vertreter der Partnerschaftsvereine Aberystwyth, Ballenstedt, Le Lavandou und Porto Recanati, Getränke Herberth und die TiK-Tourismusförderung in Kronberg.

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