„Ich bin sehr glücklich mit den Leuten von Kronberg!“

Jihad Abdeek hat hier Freunde gefunden

Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Obwohl Nachrichten aus Kriegsgebieten zu den allgegenwärtigen Schlagzeilen zählen, übersteigt die grausame Realität meist dennoch das Vorstellungsvermögen derer, die von derartigen Situationen verschont bleiben. Das aktuelle Bild in Deutschland ist daher nach wie vor geprägt von unterschiedlichen Reaktionen auf die Flüchtlingswelle und ihrer daraus resultierenden humanitären und politischen Herausforderungen. Um bestehende Sorgen, Ängste und Hemmschwellen auf allen Seiten abzubauen, bedarf es der Bereitschaft zum gegenseitigen Austausch als Fundament für eine reibungslose Integration.

Seit nunmehr fast einem Jahr begegnet man auch in Kronberg Menschen, die als Folge von Krieg und Terror keinen anderen Ausweg mehr gesehen haben als die lebensgefährliche Flucht aus ihrem Heimatland in der Hoffnung, für sich und ihre Familie eine Zukunftsperspektive zu finden. Hinter jedem dieser Zufluchtssuchenden steht ein persönliches Schickal.

Der Kronberger Bote hatte kürzlich am Rande des vom Kronberger Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes organisierten Sommerfestes (wir berichteten) Gelegenheit mit dem Syrer Jihad Abdeek zu sprechen. Seine persönlichen Erlebnisse führen die aussichtslose Lage im Bürgerkriegsgebiet deutlich vor Augen und lassen erahnen, warum so viele notgedrungen ihre Zelte in der Heimat abbrechen und Richtung Europa drängen. Die Verständigung auf Deutsch klappte bereits gut und wo es hier und da hakte, half Dr. Taalat Said freundlicherweise als Dolmetscher aus.

Leben mit dem Krieg

Mit seiner Familie in der 15 Kilometer östlich der Landesgrenze zum Libanon liegenden syrischen Hauptstadt Damaskus lebend, arbeitete Jihad Abdeek im Café seines Bruders. Als ein friedlicher Protest im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011 zum bewaffneten Konflikt eskalierte und den Bürgerkrieg auslöste, hofften der Syrer und seine Ehefrau Avin, ebenso wie zahlreiche ihrer Landsleute, noch auf ein rasches Ende der Auseinandersetzung. Gut zwei Jahre nach Kriegsausbruch erblickte Sohn Iwan das Licht der Welt, die kleine Familie versuchte weiterhin mit den täglich spürbaren Auswirkungen der Kämpfe und des Terrors und dem wachsenden Gefahrenpotenzial durch Bombenangriffe umzugehen.

Ein Bombenangriff veränderte alles

Die Situation änderte sich schlagartig, als einer seiner Brüder während eines Luftangriffs lebensgefährlich verletzt wurde und einen Arm verlor. Für Jihad Abdeek war dies endgültig der Zeitpunkt, dass die Grenze des Hinnehmbaren überschritten war. Vor die schwierige Entscheidung gestellt, getötet oder zwangsrekrutiert zu werden oder eine nicht weniger gefährliche Flucht nach Europa zu wagen, entschloss sich der Mittdreißiger schweren Herzens zum Verlassen seiner Heimat und – seiner geliebten Familie – , denn auch ihm war zu Ohren gekommen, dass Frauen und Kindern die strapaziöse Reise kaum zumutbar sei, weil neben Hunger, Krankheiten und Tod, sexuelle Übergriffe zu befürchten sind. Aus diesem Grund lassen viele Syrer ihre Familie an einem möglichst sicheren Ort zurück, schlagen sich allein durch, um sie später per Familiennachzug sicher und legal nachzuholen. Eine belastende Situation für alle – ohne Garantie auf ein glückliches Ende.

Nachdem er seine Familie in die Obhut seines Bruders gegeben hatte, machte sich der junge Syrer nach Zahlung eines vierstelligen Eurobetrags gemeinsam mit einem Cousin und einem weiteren Begleiter per Auto und zu Fuß mithilfe von Schleppern auf den beschwerlichen Weg, zunächst Richtung Türkei. Kontakte zu Schleppern zu knüpfen und einen Vertrag zu schließen, sei kein Problem. „Adressen solcher Organisationen lassen sich mühelos im Internet finden.“

Im Nachbarland angekommen, galt es in Istanbul, gegen erneute Zahlung eines erheblichen Eurobetrages mit dortigen Schleusern die Weiterreise nach Griechenland zu regeln.

Festnahme am Flughafen

Die nächste Station hieß Athen mit dem Vorhaben, von dort mit dem Flugzeug nach Deutschland weiterzureisen. Doch die gekauften Tickets schon in der Hand, scheiterte dieser Versuch. Jihad Abdeek wurde am Flughafen festgenommen und eine Woche ins Gefängnis gesperrt. Der Entlassung folgten weitere an den Nerven zehrende Wochen. „Insgesamt hat es drei Monate und 20 Tage gedauert, bis wir von Athen aus weiterreisen konnten“, berichtete er im Verlauf des Interviews. Dann endlich seien sie von Schleppern zunächst auf die Insel Kos gebracht worden und später wieder aufs Festland zurück, um schließlich über Serbien, Ungarn und Wien, Deutschland zu erreichen. Das heiß ersehnte Ende einer Flucht, die von langen Märschen, strapaziösem Transport mit Auto, Zug und Booten, schlaflosen Nächten, quälendem Hunger und der ständigen Angst vor Entdeckung und Scheitern geprägt war. Von der Sorge, dass seiner zig Kilometer entfernten Familie etwas passieren könnte, ganz zu schweigen.

Vor seiner Ankunft in Kronberg, war Jihad Abdeek zunächst im Aufnahmelager in Gießen untergebracht. Wie der mittlerweile als Asylberechtigter anerkannte weiter erzählt, habe er ursprünglich eine zeitnahe Weiterreise zu seiner in Paderborn lebenden Schwester geplant, doch von diesem Vorhaben ob des warmherzigen Empfangs und der einfühlsamen, aber unter der Prämisse der „Hilfe zur Selbsthilfe“ erfolgten Betreuung durch die ehrenamtlichen Helfer längst Abstand genommen. „Ich bin sehr glücklich mit den Leuten von Kronberg, ich fühle mich hier wie zu Hause“, sagt er mit Nachdruck und voller Dankbarkeit. Er habe hier Freunde gefunden und die Möglichkeit ebenfalls in Deutschland untergekommene Familienangehörige zu besuchen.

Sein vorrangigstes Ziel sei die kontinuierliche Verbesserung seiner Deutschkenntnisse, um möglichst bald einer Beschäftigung nachgehen zu können. Tatenlos ist er, wie auch aus dem Kreis der ehrenamtlichen Helfer bestätigt wird, schon in den letzten Monaten mitnichten gewesen. So hat er auf Vorschlag der Ehrenamtlichen den Kaffee- und Teeausschank im täglich von 15 bis 17 Uhr geöffneten Café International in der Villa Winter übernommen. Darüber hinaus arbeitete er ein paar Wochen im Café Merci, um einen Einblick zu erhalten, wie in deutschen Cafés gearbeitet wird. Befragt nach seinem Berufswunsch, huscht ein kleines Lächeln über das Gesicht des hageren Mannes: „Ein Café in Deutschland.“

Ob dieser Wunsch sich tatsächlich realisieren lässt, muss die Zukunft zeigen. Ein noch größerer Traum ist allerdings vor wenigen Tagen in Erfüllung gegangen. Nach Monaten des Bangens und Hoffens konnte Jihad Abdeek seine Familie wieder in die Arme schließen. Seine Ehefrau Avin, seinen zweijährigen Sohn Iwan – und das erst nach seiner Flucht geborene, inzwischen neun Monate alte, Töchterchen Hana, das er bisher lediglich von Fotos kannte, landeten mit einem Visum ausgestattet aus dem Libanon kommend auf dem Frankfurter Flughafen.

Glückliches Ende für diese vierköpfige Familie, die vieles auf sich nehmen musste für ein Leben in Sicherheit und Frieden.



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