Viele Sorgen und Fragen in Bezug auf die Erstaufnahmeeinrichtung

Kritiker sehen die Zufahrt zum ehemaligen Schulungszentrum der Deutschen Bank als problematisch an, vor allem die, wie auch Erster Stadtrat Jürgen Odszuck bestätigte, für LKW-Begegnungsverkehr nicht ausgelegte, weil zu schmale Dettweiler Straße (Straßenbreite der reinen Wohnstraße 4,75 bis 5 Meter) mit ihren versetzt angelegten Parkplätzen.    Foto: Puck

 

Kronberg (pu) – Im Zusammenhang mit der seit Dienstagmorgen vertraglich fix gemachten Einrichtung einer Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) für Flüchtlinge auf dem Gelände des ehemaligen Ausbildungszentrums der Deutschen Bank brennen der Bevölkerung eine Vielzahl an Fragen unter den Nägeln, dementsprechend proppenvoll war der Festsaal der Stadthalle anlässlich der gemeinsamen Informationsveranstaltung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration, des Regierungspräsidiums Darmstadt, des Hochtaunuskreises und der Stadt Kronberg. Auf dem Podium hatten Stefan Sydow, Leiter Stabsstelle Asyl im Ministerium für Soziales und Integration, Christian Dornblüth, Abteilungsleiter für Integration und Ausländerrecht beim Darmstädter Regierungspräsidium als Vertretung der erkrankten Regierungspräsidentin Brigitte Lindscheid und Landrat Ulrich Krebs Platz genommen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Bürgermeister Klaus Temmen.

Als „guten Standort“ bezeichnete der Leiter Stabsstelle Asyl im Ministerium für Soziales und Integration, Stefan Sydow, die künftige Hessische Erstaufnahmeeinrichtung in der Burgstadt unter der Prämisse bis Ende Dezember noch 3.300 derzeit in Zelten lebenden Flüchtlingen ein Dach über den Kopf besorgen zu wollen und mit dem Notwendigsten auszurüsten. Das Ministerium und seine erst im September ins Leben gerufene Stabsstelle sähen sich Tag vor Tag vor „gewaltige Kraftanstrengungen“ gestellt, Während noch vor zwei Jahren die Zahlen der in Hessen eingetroffenen Flüchtlinge weit unter 10.000 pro Jahr gelegen hätten, habe man 2015 bereits die 60.000-Grenze geknackt. Dies bringe neben riesigem Engagement auch ein hohes Maß an Improvisation mit sich. „An manchen Punkten müssen wir uns selbst hinterfragen und eben auf die Schnelle Lösungen finden wie etwa für Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünfte. Zurzeit lebten 26.194 Zufluchtssuchende in derartigen Einrichtungen. Und obwohl in den letzten Tagen weniger Menschen nach Deutschland geströmt seien, könne man mitnichten eine Prognose über die künftige Entwicklung abgeben. „Das wäre Wahrsagerei“. 

Zirka 700 Ärzte und 300 Praxen seien inzwischen hessenweit involviert, um innerhalb von 48 Stunden nach der Ankunft der Flüchtlinge die Erstuntersuchungen und Impfungen als Grundlage für ein Gesundheitszeugnis und Reisefähigkeit durchzuführen – Tendenz steigend. Mit 83 Prozent an einigen Standorten sei die Impfbereitschaft mehr als erfreulich. Mittlerweile könne man sogar auf mobile Röntgencontainer zugreifen. 

Neben der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gäbe es mittlerweile weitere feste und temporäre Außenstellen, nun kämen mit der in Kronberg für 600 Flüchtlinge und der 750 Personen fassenden Zweigstelle im ehemaligen Kreiskrankenhaus Bad Homburg weitere hinzu. 

Drei Jahre Vertragsdauer mit Verlängerungsoption

Obwohl es an diesem Abend keine Detailauskünfte zum frisch geschlossenen Vertrag gab, gab es zumindest die Information, dass es sich um einen dreijährigen Vertrag mit Verlängerungsoption handelt. Auf ein Einzugsdatum wollte man sich noch nicht festlegen, es blieb bei der Aussage „vor Weihnachten“. Zunächst müsste mit 200 bis 300 Personen gerechnet werden, die Zahl werde anschließend sukzessive hochgefahren auf die Obergrenze 600.  

Insbesondere die Anlieger hielten mit ihrem Unverständnis über die Auswahl des Geländes des ehemaligen Ausbildungszentrum der Deutschen Bank nicht hinter dem Berg. Zwar kann man noch einigermaßen nachvollziehen, dass die Liegenschaft an sich geeignet erscheint, doch sie sehen die Zufahrt als problematisch an, vor allem die, wie auch Erster Stadtrat Jürgen Odszuck bestätigte, für LKW-Begegnungsverkehr nicht ausgelegte, weil zu schmale Dettweiler Straße (Straßenbreite der reinen Wohnstraße 4,75 bis 5 Meter) mit ihren versetzt angelegten Parkplätzen. Wie der Leiter des Ordnungsamtes Volker Humburg ergänzte, seien ob der Situation sicher Nachbesserungen erforderlich in Form von temporären Halteverboten, der Neuordnung und Neumarkierung der Parkplätze mit dem Ergebnis, „dass vereinzelte Parkplätze wegfallen“. Nach den Worten Odszucks kann die Straße den zusätzlichen Pkw-Verkehr – Sydow sprach im ersten Hieb von geschätzten rund 120 zusätzlichen Verkehrsbewegungen – von der Leistungsfähigkeit verkraften, einzig der Lkw-Verkehr bereite Sorge. In diesem Punkt versuchte Landrat Ulrich Krebs zu relativieren, seinen Informationen zufolge seien die zusätzlichen Verkehrsbewegungen für vergleichbare Einrichtungen im Kreis „relativ unproblematisch“. Einem aus dem Publikum vorgetragenen Vorschlag erteilte Bürgermeist-er Klaus Temmen unverzüglich eine strikte Absage. Ins Gespräch gebracht worden war die Forderung, das Unternehmen Fidelity „könnte ihre Straße aufmachen“. „Das ist eine stramme Forderung“, so Temmen, angesichts des Hochsicherheitsbereichs der Firma komme diese Lösung, so auch sein Eindruck nach einem Gespräch mit den Verantwortlichen, sicher nicht in Frage. Auch der Neubau einer zusätzlichen Zuwegung scheint als Alternative derzeit eher fraglich. Der Baudezernent verwies in diesem Zusammenhang auf die Verhältnismäßigkeit. 

Fester Ansprechpartner

Christian Dornblüth zufolge wird derzeit noch ein Betreiber gesucht, der nach Inbetriebnahme ebenso für Fragen und bei Gesprächsbedarf zur Verfügung steht wie ein fester Ansprechpartner im Regierungspräsidium. Noch sei es für weitere Informationen zu früh. Es soll aber, wie zu vernehmen war, ein regelmäßiger Austausch zwischen Betreiber, Regierungspräsidium, Stadt und ehrenamtlichen Helfern stattfinden. 

Apropos ehrenamtliche Hilfe. Während der „technische Ablauf“ beim Regierungspräsidium liegt, wäre ehrenamtliche Hilfe durch die Kronberger Bevölkerung, so Dornblüth, mehr als willkommen. „Das ist die Schnittstelle, das wäre uns wichtig!“ Es sei ein Irtrglaube, dass sich in Erstaufnahmeeinrichtungen kein soziales Leben entwickle. In der Regel blieben die Menschen acht bis zehn Wochen vorort. Aus diesem Grund hoffen die Verantwortlichen auf Spielzelte für Kinder, Angebote für Spiel und Sport, das Schaffen von Begegnungsstätten außerhalb und eventuell auch innerhalb der Einrichtung, Handarbeits- und Deutschkurse, Beratung im Alltag und Patenschaften. 

In punkto Sicherheit versicherten sowohl die Podiumsteilnehmer als auch der im Publikum anwesende Sprecher der Polizeidirektion Bad Homburg, Michael Greulich, sicherlich käme es im einen oder anderen Fall durch das Leben auf engstem Raum zu Spannungen und Streitigkeiten innerhalb der Unterkünfte, im Umfeld sei jedoch nach wie vor kein Anstieg von Delikten zu registrieren. Demzufolge sei weder die von einem Kronberger nachgefragte Einrichtung einer Polizeistation in Kronberg noch die Aufstockung der Personaldecke in Königstein ein aktuelles Thema. 

In Sachen Sozialbetreuung wurde davon gesprochen, es werde eine Ausschreibung geben. Von einem Maßstab, ein Sozialbetreuer für zirka 150 bis 200 Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen, war dabei die Rede. Das führte postwendend zu Irritationen, vielen war bisher die 1:80-Empfehlung der Liga der Wohlfahrtsverbände im Gedächtnis. Bürgermeister Klaus Temmen brach in diesem Zusammenhang eine Lanze für den Hochtaunuskreis, der „das Thema Sozialbetreuung auf eigene Kosten stemmt“. 

Nach Aussage der Ersten Kreisbeigeordneten Katrin Hechler „müssen sich die Kommunen finanziell daran beteiligen, weil die Pauschale die Kosten nicht deckt“. Wie Temmen berichtete, läuft gerade eine Ausschreibung für eine Sozialarbeiterstelle im Stadtgebiet. 

Bis Ostern knapp 400

Wenig überraschend war zur Einstimmung auf die kommenden Stunden der von Klaus Temmen präsentierte aktuelle Status zur nachjustierten Zuteilungsquote für Kronberg. Demnach sind bis Jahresende noch 50 zusätzliche Flüchtlinge unterzubringen, das heißt, von derzeit 163 wächst die Zahl auf 213 Personen. Angesichts der nicht abreißenden Flüchtlingsströme und der damit verbundenen andauernden Zuweisungen wird sich diese Zahl nach heutigem Stand bis Ostern voraussichtlich auf fast 394 Personen verdoppeln. Temmen zufolge sind aktuell die bestehenden Aufnahmekapazitäten „nahezu erschöpft“, es gelte daher, bis Jahresende daran zu arbeiten, „die Herausforderung zu meistern“. So würden zurzeit bereits kurzfristige Maßnahmen laufen wie die Herrichtung des Dachgeschosses der Villa Winter, um zehn zusätzliche Plätze zu schaffen und die Anmietung von Privatwohnungen, die zuletzt „ganz erfolgreich gelaufen sind“. Darüber hinaus will die Stadt noch eine Immobilie erwerben, „um die Ziellinie erreichen zu können“. 

Schlag auf Schlag geht es weiter. Angesichts der prekären Flüchtlingssituation wird „Im Tries“ nach den Worten des Bürgermeisters eine Containerlösung mit bis zu 80 Plätzen entstehen. Auch die in den letzten Wochen skizierten Vorhaben in der Feldbergstraße und „Grüner Weg“ mit jeweiliger Nachnutzungsoption sollen zeitnah realisiert werden, da jetzt schon absehbar ist, „dass auch diese Kapazitäten voraussichtlich nicht ausreichen werden“. Wie der Rathauschef des Weiteren berichtete, leben derzeit zusätzlich 16 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge (UMA) in der Burgstadt, auch diese Zahl werde noch steigen. Eine Anrechnung auf die Erwachsenen-Zuweisungsquote sei nicht vorgesehen. 

Nach Angaben von Landrat Ulrich Krebs hat man sich hochtaunuskreisintern darauf geeinigt, dass „durch partnerschaftliches Praktizieren“ die Erstaufnahmeeinrichtungen in Kronberg und Bad Homburg für die beiden Städte zu einem Drittel auf die zugewiesenen Flüchtlinge angerechnet werden. Diese Regelung und das Entgegenkommen und Mittragen durch die übrigen Hochtaunuskommunen ist vorerst für ein Jahr beschlossen.

Skepsis bleibt

Nicht alle Fragen konnten an diesem Abend abschließend geklärt werden, keinesfalls sämtliche Sorgen und Befürchtungen zerstreut werden. Es bleiben Skepsis und Misstrauen. Trotz allem entwickelte sich ein konstruktiver Dialog. Weitere Details soll es im Verlauf der für die Anlieger geplanten Zusatzveranstaltungen geben. 

Stefan Sydow zum Abschluss: „Ich verstehe die ganze Unruhe, aber haben Sie bitte auch Verständnis dafür, dass ich noch 3.300 Flüchtlinge in Zelten habe, deren winterfeste Unterbringung bis Jahresende für mich Priorität haben!“



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