Pfarrhäuser – Zwischen Privatsphäre und Präsentierteller

Mit einer Flasche Rotwein und einem Blumenstrauß bedankte sich Gemeindevorstandsmitglied Klaus Mellin bei Pfarrerin Katrin Hildenbrand, die ihre Dissertation über evangelische Pfarrhäuser schrieb und Montagabend im Rahmen des „Schönberger Forums“ über das Thema referierte.

Foto: Wittkopf

Schönberg (pf) – „Evangelische Pfarrhäuser - ein Leben zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Dieses Thema stand Montagabend in der Evangelischen Markus-Gemeinde Schönberg im Mittelpunkt des „Schönberger Forums“. Die Referentin Katrin Hildenbrand war nicht zum ersten Mal in Schönberg. Nach dem Ausscheiden von Pfarrerin Anita Nowak-Neubert vor vier Jahren, als Pfarrer Hans-Ulrich Reitzel das Amt für eine Übergangszeit übernahm, hatte Katrin Hildenbrand als Pfarrvikarin das erste Mal und danach immer wieder in Schönberg Gottesdienste gehalten und gepredigt. Im Juni dieses Jahres trat die gebürtige Darmstädterin ihre erste eigene Stelle als Pfarrerin im hessischen Einhausen (Kreis Bergstraße), etwa 15 Kilometer östlich von Worms an.

Das Thema der evangelischen Pfarrhäuser hat die 34 Jahre alte Theologin im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Marburg eingehend untersucht, sich mit der inzwischen fast 500-jährigen Kulturgeschichte befasst, 48 Pfarrerinnen und Pfarrer und ihre Familienangehörigen ausführlich interviewt und sich mit Studien der evangelischen Kirche in Norddeutschland auseinandergesetzt, anhand von Fragebögen erfasst und ausgewertet hat, wie zufrieden oder unzufrieden Pastorinnen und Pastoren mit ihrem Leben im Pfarrhaus sind. Ihr Buch „Leben in Pfarrhäusern“ mit dem Untertitel „Zur Transformation einer protestantischen Lebensform“, das sie druckfrisch mitgebracht hatte, ist dieser Tage im Kohlhammer-Verlag erschien.

Mit den Namen Angela Merkel, Joachim Gauck, aber auch dem der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die aus einer Pfarrerfamilie stammt, machte Katrin Hildenbrand deutlich, wie groß das Interesse an Pfarrhäusern auch heute noch ist. Einerseits gelten sie, romantisch verklärt, als Ort vorbildlichen christlichen und familiären Lebens. Andererseits aber entsprechen viele nach Jahrzehnten, in denen die Kirchengemeinden aus Geldmangel nichts in die Häuser investierten, kaum noch Wohnungen, die heutigen Ansprüchen genügen. Dennoch besteht die Kirche bis auf seltene Ausnahmefälle darauf, dass ein Pfarrer die Dienstwohnung im Pfarrhaus bezieht. Und erwartet oft obendrein, dass eine Pfarrersfamilie auch noch Gäste beherbergt, ohne ihnen gleichzeitig den Einbau eines zusätzlichen Gästebades zu genehmigen und zu finanzieren. Die Erkenntnis, wie eng das Pfarrhaus mit dem Amt des Pfarrers verbunden ist, lässt theologische Erstsemester heute eher vor dem Beruf zurückschrecken, weiß sie aus eigener Erfahrung als Dozentin an der Universität Mainz.

Bis zum 19. Jahrhundert, in dem erstmals die flächendeckende Besoldung der Pfarrer eingeführt wurde, mussten diese neben ihrem geistlichen Amt als Nebenerwerbs-Landwirte oder Bienenzüchter weitgehend selbst für den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien sorgen, berichtete die Referentin. Ihre Frauen arbeiteten in der Landwirtschaft mit oder trugen als Hebammen zum Lebensunterhalt bei.

Erst in der Zeit des Biedermeiers und der Romantik entstand das Bild der Pfarrersfamilie, in dem sich der Mann um das Amt als Seelsorger kümmert und die Frau sich ehrenamtlich in der Gemeinde engagiert und nebenbei „die Kinderschar erzieht“ – ein Bild, das noch im vergangenen Jahr in einem Radiobeitrag des Bayrischen Rundfunks als Idealbild eines Pfarrerhaushalts gezeichnet wurde.

Die Realität sehe heute aber ganz anders aus, meinte Katrin Hildenbrand. Heute seien die Frauen der Pfarrer oft selbst berufstätig, hätten ihre eigene Karriere. „Das Bild der Pfarrfamilie wird sich weiter verändern, wie es sich seit der Reformation immer verändert hat“, meinte sie. Dass das Pfarrhaus als Symbol vorbildlichen christlichen und familiären Lebens damit aber am Ende sei, wie immer wieder behauptet wurde und wird, wollte sie nicht gelten lassen. Sie sieht das Pfarrhaus nach wie vor als Ort, wo im Notfall Hilfesuchende rund um die Uhr einen Ansprechpartner finden.

Andererseits aber verteidigt sie auch das Recht der Pfarrerinnen und Pfarrer auf Privatleben und Privatsphäre. Auch sie brauchen Zeit für sich, einen freien Tag in der Woche, an dem sie nicht ständig erreichbar sein müssen. Auch unter ihnen gibt es Menschen, deren Ehe gescheitert ist, die heute mit neuen Partnern im Pfarrhaus in Patchwork-Familien zusammen leben. Sie hätten es oft besonders schwer, ihr öffentliches und ihr privates Leben voneinander zu trennen. Denn immer noch würden viele Gemeindemitglieder von ihren Pfarrer erwarten, „dass sie wenigstens ansatzweise so leben wie sie predigen.“ Und das werde wohl immer so bleiben.

In der anschließenden sehr lebhaften Diskussion berichteten Betroffene wie Sigrid Klein, noch heute Leiterin des Frauenkreises der Markus-Gemeinde, von ihrem Leben als Pfarrerehepaar in Wallau. „Wir waren 22 Jahre nur im Dienst“, erzählte sie und meinte rückblickend: „Ein wunderbares, vielfältiges Leben.“ Andererseits hätten sie jedoch nie Zuhause auch mal Urlaub machen können, ergänzte ihr Mann.

Für viele Menschen, wandte Katrin Hildenbrand ein, sei die Vorstellung, ständig im Dienst sein zu müssen und auf dem Präsentierteller zu leben, heute eher ein Schreckgespenst. Und sie berichtete von einer Pfarrersfrau, die ihr klipp und klar erklärt hatte: „Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, hätte ich mich anders entschieden – aber ich war ja damals, als wir heirateten, noch so jung.“ Dabei hatte ihr Mann in dem vorangegangenen Interview ein rundum positives Bild ihres gemeinsamen Lebens gezeichnet.

Früher sei das Pfarrhaus ein Ort für Andachten, Frauen- und andere Kreise, Konfirmandenunterricht und viele weitere Aktivitäten der Gemeinde gewesen. Diese Funktion sei mit dem Bau der Gemeindehäuser verloren gegangen. Daher würden heute die Pfarrhäuser auch vom Staat besteuert wie andere Wohnhäuser auch, merkte Pfarrer Dr. Jochen Kramm an und meinte: „Es ist erstaunlich, dass das Pfarrhaus überhaupt noch da ist.“



X