Eine Achterbahnfahrt der Emotionen

Bad Homburg (nl). Ganz unvermutet taucht die Kunst zwischen den mächtigen Bäumen auf. „Plötzlich hatte ich ein Bild vor dem Kopf“, sagt die Spaziergängerin mit Hund. Was sie damit meint, sind die Fotografien der Künstlerin Vero Bielinski. Zum ersten Mal präsentierte die Bad Homburgerin mit den „Lockdown Portraits“ im Gustavsgarten der Villa Wertheimber eigene Arbeiten in ihrem Heimatort. Nur wenige Tage hängen Vero Bielinskis Porträts verteilt auf dem wunderschönen Areal.

Die Fotografin lächelt in sich hinein, darauf angesprochen, dass viele Spaziergänger gar nicht mit Kunst in den Bäumen rechnen, wenn sie den Hund ausführen oder mit ihren Kindern durch den Garten laufen oder sich einfach eine Auszeit im Grünen gönnen. Als „kleine Schnitzeljagd“ bezeichnet sie dann das Ausstellungskonzept, das schon lange als Wunschgedanke in ihr keimte. Keine steril weißen Galeriewände, keine Museumsräume, in denen ihre Bilder hängen und darauf warten, dass jemand sich vornimmt, sie zu betrachten. In diesem Fall war die Kunst schon da und Teil des alltäglichen Umfelds in der Kurstadt. Wenn auch zugegebenermaßen in einem sehr schönen Stadtteil.

„Denn so, wie Corona uns überrascht hat und plötzlich wieder Ansteckungszahlen hochschnellen ließ, unberechenbar unser Leben auf den Kopf stellte, genauso unverhofft stießen Besucher nun auf die ‚Lockdown Portraits‘ an einem Ort, an dem sie das Kunst-Event sicherlich nicht vermutet hätten“, so kommentiert die junge aufstrebende Fotografin ihre Eingebung zur ungewöhnlichen Ausstellungsfläche.

Mit diesen Bildern, die so bescheiden zurückgenommen in den gewaltigen, alten Ästen hängen und sich ins Exterieur bescheiden eingliedern, gewann Vero Bielinski eine Auszeichnung bei den „International Photography Awards“ in Los Angeles, und es gelang ihr sogar, im „Florida Museum Of Photographic Arts“ ihr aktuelles Werk im Rahmen einer Gruppenausstellung zu zeigen. „Dafür habe ich mich beworben und wurde ausgewählt“, sagt Vero Bielinski erfreut, und ein Hauch von Erleichterung schwingt in ihrer Stimme mit. Denn während der Zeiten, in denen Abstand halten, Maske tragen und die Härten der Corona-Maßnahmen auf sie eintrafen, war auch sie geplagt vom Anflug einer Depression und zumindest von Stunden spürbarer Existenzangst. „Es war eine Achterbahnfahrt vieler Gefühle“, beschreibt die Künstlerin diesen Ausnahmezustand. Doch nach der Krise folgte die Hochphase und damit die internationale Aufmerksamkeit gegenüber ihrer Arbeit.

Wie aus Luftblasen Kunst wird

Sie kam schließlich in der Einsamkeit und zum Nichtstun verdammt auf die Idee, bereits vorhandene Porträts auf einer Glasplatte mit Öl, Essig und Farben zu bearbeiten. So ergänzte sie die Fotokunst durch eine weitere Dimension. Vero Bielinski, die Malerei in Krakau studierte, fügte ihren bereits fertigen 100 mal 70 Zentimeter großen Fotografien im Atelier mit einer Art „Livefilter“, wie sie diesen Gestaltungsprozess selbst bezeichnet, eine ästhetische Dimension hinzu. Die 1988 geborene Künstlerin ließ hierbei nicht den Computer und sein Programm an der künstlerischen Gestaltung mitwirken, sondern ihr „selbst zusammengebrautes Gemisch“, wie sie es nennt. Dadurch spielte der Zufall – zu Corona passend – auch hier mit hinein. Es entstanden die sogenannten „Bubbles“, wie sie die Konturen aufschwemmenden Effekte auf den Gesichtern der Porträtierten nennt. „Mich erinnerten sie auch fast an Viren oder Bakterien“, beschreibt sie die organischen Formen, die die Gesichter auf den Fotografien bis zur Unkenntlichkeit verfremden. Die Pandemie sowohl als Gestaltungselement als auch als Ideenlieferant – fast drängt sich dieser Gedanke auf.

Rund um die Villa Wertheimber sind an neun Orten zehn ihrer Werke zu entdecken. Wer glaubt, die Arbeiten doch schon einmal gesehen zu haben, der täuscht sich möglicherweise nicht. Vor Kurzem bei „Making Frankfurt“, einer großen Präsentation von Visionen einer neuen Stadt, waren die „Lockdown Portraits“ am Goetheplatz ausgestellt.

Von Vero Bielinski, die auf eine Assistenzzeit bei einem New Yorker Fotokünstler zurückblicken kann, wird man vermutlich nicht das letzte Mal gehört haben. Ihre Werke hängen jetzt hoch in den Bäumen. Wann die Zeit kommt, bis ihre Arbeiten auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt werden, vermag keiner zu sagen. Doch die Kraft dazu haben sie.

!Die Bilder sind noch bis Sonntag, 26. September, im Gustavsgarten zu sehen. Sie sind an verschiedenen Stationen entlang der Wege an Bäumen angebracht.

Die Fotografin Vero Bielinski zeigt noch bis Sonntag im Gustavsgarten der Villa Wertheimber ihre „Lockdown Portraits“. Foto: Anca Barwinek

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