David Rott muss die Konkurrenz mit dem Text nicht fürchten

Ein gutes Team: Veranstalter Bernd Hoffmann (l.) und Schauspieler David Rott. Foto: agl

Bad Homburg (hw). Der Weg zur Villa Wertheimber, der an der Tannenwaldallee beginnt, ist herrschaftlich. So, wie überhaupt der ganze Abend ungebrochen stilvoll daherkommt. Aber eins nach dem anderen. Gepflegt geschlungene Wege führen zu dem großen Herrschaftshaus, in dem einst ein Großindustrieller mit seiner Familie residierte. Das Gefühl nachzuempfinden, wie es damals gewesen sein muss, ein solch fantastisches Areal sein Eigentum nennen zu können, funktioniert nur, wenn man sich die vielen bunten Bobbycars wegdenkt. Das Publikum genießt beim gepflegten Glas Weißwein den lauen Wind und dass gleich in einem wunderschönen Saal, dem Entree der Villa, eine Lesung beginnt mit Schauspieler David Rott. Er ist anlässlich des Poesie- und Literaturfestivals zu Gast.

Die Stimme des Schauspielers klingt leise an. Konzentriert und fast nach Art eines Nachrichtensprechers widmet sich der gutaussehende Mann, dessen Karriere in den vergangenen Jahren steil nach oben gegangen ist, dem Text Franz Werfels „Eine blassblaue Frauenschrift“. Gleich einem Komplizen des Schriftstellers scheint sich David Rott verpflichtet zu fühlen, die Ereignisse mehr als sachlich zurückgenommen auf das Publikum wirken zu lassen. So passend erscheint das großbürgerliche Ambiente Bad Homburgs, das im Text ebenso evoziert wird, um dann mehr als hinterfragt zu werden.

„Die Post lag auf dem Frühstückstisch“, gleich einem Protokoll der Ereignisse eröffnet sich der Plot. Ein Ehemann, um die 50, verheiratet mit Amélie, deren Nachname irgendwie an das Wort Paradies erinnert, ist eine reiche Tochter aus bestem Hause. Die Ehe ist eine Vernunftehe, die der Ehemann Leonidas – es gibt noch heute Pralinen des gleichen Namens, verschwenderisch teuer – eingegangen war vor mehr als 20 Jahren, um seinen gesellschaftlichen Aufstieg sicherzustellen. Seine wahre Liebe aber ist Vera Wormser. Eine Israelin, Kindfrau und damit ein Gegenentwurf zu seiner sich ewig kasteienden Amélie, deren weibliche Kurven andernfalls ausufernd zu Tage treten würden. Werfel zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der Aufstieg alles und persönliches Glück nichts zu sein scheint.

Es sind die Tage kurz vor dem endgültigen Machtgehabe Adolf Hitlers. Leonidas scheint der Prototyp des angepassten Aufsteigers und Parasiten zu sein. Echte Gefühle unterdrückt er zugunsten des Scheins. Franz Werfel gelingt ein so unglaublich, unbeschreiblich schönes sprachliches Kunstwerk, in dem das Scheitern, die Wucht der Gefühle derart ästhetisiert in Sätze münden, dass es eine unglaubliche Freude und kurzweilig ist, daran Anteil zunehmen.

Man fühlt sich als Zuhörer, noch dazu in dieser Atmosphäre gediegener Bürgerlichkeit, einfach gut eingehüllt. Sätze wie „das Bewusstsein für eine Melodie, ohne sie wiedergeben zu können, so wenig hatte er Vera vor seinem geistigen Auge“, oder Formulierungsetüden wie „volltrunken von Hoffnungslosigkeit“ oder etwa die „Schmiegsamkeit Erinnerung verstrickt in einen Urwald“, das ist derart besonders und vornehm, wie es besser zum Abend nicht passt.

Kein Schulterschluss

Ein Hoch auf den Autor. Doch David Rott macht den Abend unbedingt und bedingungslos zu seinem Abend. Die Konkurrenz mit der Schönheit des Textes muss er nicht fürchten. Er toppt den Lieblingsautor der Frauenweltliteratur des beginnenden 20. Jahrhunderts ganz ohne große Mühe und mit einer sehr selbstverständlichen, ja legeren Art und Weise. Sich dem Text so intensiv zu nähern, das ist groß. Die Dialoge zwischen Leonidas und seiner ungeliebten Frau, die, den Ehebruch witternd, sich in heillosen Unterstellungen verirrt oder die Begegnung des zur Liebe Unfähigen mit der intellektuellen Kindfrau Vera, die Leonidas sogar noch davonjagt und damit jegliche Chance auf ein glücklich erfülltes Leben achtlos dahin wirft, die gelingen David Rott durch Betonung, durch Mimik, durch seine fein durchdringende Art der Charaktere so gut, dass man hofft, die Protagonisten würden sich noch endlos lange austauschen und David Rott immer weiter mit verteilten Rollen lesen.

Es braucht nicht die sonst beim Literaturfestival übliche Live-Musik.

Ohne viel Brimborium, sogar ganz ohne den Hauch einer verbindlichen Freundlichkeit, sondern mit kühler Distanz bleiben Leonidas dem Leben und sein Vorleser, David Rott, gegenüber dem Publikum einen Schritt weit entfernt. Schulterschluss nicht notwendig. Große Kunst wirkt nach und für sich.



X