Gelesen mit einer Spur von Distanziertheit

Bad Homburg (agl). Eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte begleitet den Roman „Rebecca“, in dem es um eine junge Frau geht, die einen adligen Wittwer heiratet und sehr schnell merkt, dass das pure Glück und die vermeintlich gute Partie von der ersten Ehe ihres Mannes und dem Tod überschattet wird. Daphne du Mauriers Kriminalstory wurde nicht nur von Alfred Hitchcock kurz nach dessen Erscheinen verfilmt. Der Roman erreichte zuvor 1938 eine enorme Auflage von 20 000 Exemplaren. Sensationell hoch für die damalige Zeit. Da war die Autorin Daphne du Maurier gerade einmal 30 Jahre alt.

Sophie von Kessel, Theater- und Filmschauspielerin, spricht den Text anlässlich des Poesie- und Literaturfestivals mit einer Spur von Distanziertheit wie sie nicht besser zu Inhalt und Sprache Daphne du Mauriers passen könnte. Gekleidet in einen zeitlos strengen Anzug mit weiter Hose im Zwanziger-Jahre-Stil und blauem Hemd nimmt sich die klassisch schöne Sophie von Kessel sehr zurück, was ihren persönlichen Auftritt anbelangt. Sie steht an diesem Freitagabend im „Lokkers“, dem Wintergarten der Bahnhofslocation, ganz im Dienst des Textes könnte man meinen. Dazu passend auch die vier Musiker des Bläser-Quartetts „4 Farben Saxophon“. Auch sie sind verhalten in Schwarz gekleidet und spielen zum Auftakt das zeitgenössische „Summertime And The Livin’ Is Easy“ von Gershwin aus dem Musical „Porgy and Bess“. Dass das Leben an der Cote d’Azur aber auch ganz schön kompliziert und zwielichtig sein kann, erfährt die junge namenlose Braut leider gleich zu Beginn des Romans. Daphne du Mauriers Text setzt auf pointierte Charakterbeschreibungen, die eine Prise Boshaftigkeit und Spitzfindigkeit durchziehen. Wenn da von den „Schweinsäuglein“ von Mrs. Van Hopper, der Gesellschafterin der Ich-Erzählerin, die Rede ist, zieht sich ein Lächeln durchs Publikum an diesem lauen Frühlingsabend.

Und Sophie von Kessel gelingt es, mit ihrer Stimme den klassischen Spannungsaufbau der Autorin du Maurier noch zusätzlich zu unterstreichen, wenn es da heißt: „Das Fieber der ersten Liebe kann einem nicht zweimal widerfahren, aber das Fieber der Enttäuschung lässt sich allemal wiederholen.“ Das klingt nicht nur verdammt aktuell, sondern auch verdammt spannend. Denn die Frage stellt sich: Ist der Ehemann der sympathisch offenherzigen und gutgläubigen Hauptfigur ein Mörder oder unschuldig in Intrigen verstrickt? Das bleibt offen bis kurz vor Schluss.

Besonderer Abend

Der „Rebecca“-Abend ist hochkarätig. Die schwache Story wird durch den Vortrag Sophie von Kessels sowie die Saxofon-Künstler aufgewertet zu einem sehr besonderen Abend. Je ein Stück des zeitgenössischen Komponisten Philip Glass, Michael Nyman und Paul Reade werden von den Musikern, die gekonnt aufeinander eingespielt sind, interpretiert, und sie passen in ihrer Tonlage und ihrer Melodie so unglaublich gut zur Story, dass das Küstenpanorama Südfrankreichs sowie der sagenumwobene Ort Manderley, dem Wohnsitz des alternden adeligen Ehemannes, Gestalt annimmt. Ganz großes Kino.

Schauspielerin Sophie von Kessel (l.) und die vier Musiker des Bläser-Quartetts „4 Farben Saxophon“ machen den „Rebecca“-Abend zu etwas Besonderem. Foto: agl



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