„Irgendwann ist der Tod deutlicher als das Leben“

Zsuzsa Bánk liest aus ihrem Bestseller „Sterben im Sommer“ auf Einladung des Hospiz-Dienstes im Kurhaus. Foto: fch

Bad Homburg (fch). Sterben ist ein Teil des Lebens. In der heutigen Zeit aber werden die Themen Sterben und Tod meist verdrängt. Dass dies keine modische Erscheinung ist, zeigt ein Blick zurück in die Antike. Schon der griechische Philosoph Epikur schrieb in seinem Brief an Menoikeus: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“

Tritt der Tod nicht abrupt ein, dann durchlaufen die Sterbenden einen Prozess. Und die Angehörigen stehen vor einer großen Herausforderung, auf die sie nicht vorbereitet sind. Wie der in die Phasen Nicht-Wahrhaben-Wollen, Wut, Verdrängen, Hadern, Verzweifeln und Akzeptieren aussehende Prozess des Trauerns abläuft, schildert Autorin Zsuzsa Bánk in ihrem 2020 veröffentlichten Bestseller „Sterben im Sommer“. Aus ihm las sie auf Einladung des Bad Homburger Hospiz-Dienstes im Kurhaus vor.

Vorsitzender Dr. Hans-Jörg Todt begrüßte zur Lesung die in Frankfurt am Main lebende Autorin und 180 Teilnehmer. Die Autorin schildert den langen und schmerzhaften Abschied vom Vater. Eingeläutet wird diese Zeit mit der Krebsdiagnose. Das lange Sterben sei verlogen, sei ein Hinhalten. Doch „beim Krebs bekommt man eine Vorwarnung. Am Tag der Diagnose weiß man, der Tag des Abschieds naht“. Man bekomme Zeit, könne diese Zusatz- oder Restzeit nutzen. Dies können Tage, Wochen oder Monate sein.

Und so reist Zsuzsa Bánk 2018 ein letztes Mal gemeinsam mit ihrem Vater, einem Sonnen- und Hitzemenschen, zurück in dessen alte Heimat, an den Balaton. Dort will die Tochter ihm in ihrem „Sommerbesuchsland“, das für sie auch ein „Staubland, Fliegenland, Hitze-land“ ist, einen letzten Urlaub ermöglichen. „Meinen Erinnerung ist aus flirrender Hitze, Übelkeit und gesperrten Straßen gebaut. Sie besteht aus dem Gesicht meiner Großmutter.“ Ihre Eltern hatten ihr Heimatland1956, im Jahr des Ungarischen Aufstands, unabhängig voneinander verlassen. Um sich dann in Österreich, in der Schlange der Geflüchteten, kennenzulernen. Die Tochter wird neun Jahre nach der Migration der Eltern in Frankfurt am Main geboren. Doch die Reise in die alte Heimat des Vaters wird zu einem „Reigen aus Furcht und Anspannung“.

Noch einmal sitzt der Vater in seinem Paradiesgarten unter der Akazie, noch einmal steigt er zum Schwimmen in den See. Doch die unheilbare Krankheit schreitet unaufhaltsam voran. Der Gesamtzustand des Patienten verschlechtert sich schlagartig. „Wie kann mein Körper so schnell verfallen?“, fragt der Vater verzweifelt. Er hat zeitlebens gesund gelebt. Die Rückreise erfolgt im Rettungshubschrauber und Krankenwagen. „Ich dachte immer, die Menschen sterben zwischen November und Januar“, heißt es an einer Stelle. Nach Aufenthalten in einem slowakischen und einem österreichischen Krankenhaus wird der Vater in eine Frankfurter Klinik eingeliefert. Dort kann nichts mehr gegen den Krebs unternommen werden.

„Irgendwann ist der Tod deutlicher als das Leben, […] das Leben weicht dem Tod.“ Dort, in Höchst, findet ein wunderbar erfülltes Leben sein Ende. Es sind die heißesten Tage des Sommers, und die Tochter sitzt am Krankenbett. Sie erinnert sich voller Dankbarkeit an die gemeinsamen Jahre und denkt mit Verzweiflung an das Kommende. Sie registriert, was verloren geht und was gerettet werden kann, was zu tun und was zu schaffen ist. Wie verändert sich jetzt das Gefüge der Familie, und wie verändert sie sich selbst? Was geschieht mit uns im Jahr des Abschieds und was im Jahr danach?

In ihrem Erinnerungsbuch, das eine Mischung aus Trauertagebuch und Journal ist, thematisiert die Tochter den Tod des Vaters, die Geschichte seines Sterbens, die seines und ihres Lebens, ihre innige Beziehung, die Gänge, die zu erledigen sind, und vieles mehr. Der Text ist laut Autorin in dem ersten Jahr nach der letzten gemeinsamen Reise nach Ungarn entstanden. „Das erste Jahr ist wahrscheinlich das, in dem wir diesen Verlust mit seiner ganzen Wucht am stärksten erleben. Ein Jahr später ist man wieder an einer anderen Stelle, und fünf Jahre später sicher auch. Schon zwei Monate nach einem solchen Verlust! Ich wollte sehen, was passiert in diesem einen Jahr. Was macht das Sterben mit uns, mit der Familie, mit den Hinterbliebenen, mit dem Sterbenden, mit mir insbesondere? Dieses eine Jahr ist eine natürliche Folge in diesem Abschied, eine erste Hürde, die man nehmen muss.“ Im Herbst nach dem Tod ihrer Väter feiern drei Töchter mit den jeweiligen Lieblingsgerichten von Mustafa, Laszlo und Hans-Jochen ein Fest. Drei Freundinnen hatten an drei Tagen ihre Väter verloren. Drei Mal beendete der Tod mehr als 80 Jahre Leben und Bewegung durch Europa, beginnend an Bosporus, Donau und Neckar. Sie endeten im Jahrhundertsommer 2018 am Main.

Zsuzsa Bánk ist 1965 in Frankfurt am Main geboren. Sie arbeitete als Buchhändlerin, studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie in ihrer Geburtsstadt. Für ihre Romane „Der Schwimmer“ und „Heißester Sommer“ erhielt sie zahlreiche Literaturpreise wie den aspekte-Literaturpreis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis. Auch die Bücher „Die hellen Tage“, „Schlafen werden wir später“ und „Sterben im Sommer“ sind große Erfolge.



X