Ein „Lebensmittelmarkt“ für Insekten

Von Bernd Ehmler

Bad Homburg. Seit einigen Jahren ist ein dramatischer Rückgang der Insektenpopulation in Deutschland zu beobachten. Hauptgrund für den Artenrückgang ist der Mensch, der durch sein Verhalten die Lebensräume der Insekten einschränkt und so deren Lebensgrundlagen verändert. „In Bad Homburg wird seit bald 30 Jahren einiges unternommen, um die Natur und die Landschaft einschließlich ihrer Fauna und Flora nachhaltig zu schützen und zu bewahren“, sagt Meinhard Matern. Jüngstes Beispiel ist eine ehemalige Rasenfläche auf dem Areal der Feuerwehr, aus der jetzt eine Blumenwiese wurde.

Wichtig für die Entwicklung einer guten Insektenfauna sind vielfältig geartete natürliche Flächen als Lebensgrundlagen. Hoch gewachsene, artenreiche Wiesen, die länger stehen bleiben, bieten vielen Arten ein Refugium, während ein kurzgemähter Rasen extrem artenarm ist. Blühwiesen sind sozusagen der „Lebensmittelmarkt“ für Insekten aller Art. Und schon nach wenigen Jahren der Extensivierung der Pflege solcher Grünflächen ist eine größere Artenvielfalt bei Pflanzen und Insekten zu beobachten.

Daher hat die Stadt in den vergangenen Jahren diverse Blühwiesen und -streifen anlegen lassen. Jetzt kam eine Blumenwiese auf dem Feuerwehr-Areal an der Dietigheimer Straße hinzu. Hier wurde auf einer Fläche von etwa 140 Quadratmetern die vorhandene Rasenfläche abgeschoben, um diese für die Einsaat vorzubereiten. Der Boden wurde gelockert, planiert und Samen für einen Schmetterlings- und Wildbienensaum eingepflanzt. Bei einem Teil der Fläche soll die Anzahl der Mähgänge von sechs bis acht pro Jahr auf zwei bis drei reduziert werden. Im Randbereich zu den Wegen sollen sogenannte Sauberkeitsstreifen als Rasenfläche erhalten bleiben, also weiterhin oft gemäht werden. „Auf kleinem Raum kann man dann sehr gut beobachten, wie sich die unterschiedlichen Flächen entwickeln“, erklärt Claudia Richter vom Produktbereich Grünflächen. Wichtig bei der neu eingesäten Fläche sei eine fachkundige Pflege, da es einige Pflanzenarten gebe – zum Beispiel Wildkräuter, die eventuell noch im Boden waren oder deren Samen über den Wind auf die Fläche kommen – die von Beginn an konsequent herausgenommen werden müssen, da sie sich ansonsten zu stark ausbreiten und die Artenvielfalt einschränken können.

Für den Chef der Bad Homburger Feuerwehr, Branddirektor Daniel Guischard, ist der Einsatz für die Insektenwelt eine Selbstverständlichkeit. „Umweltschutz und Tierrettung gehören auch zu den Aufgabenfeldern der Feuerwehr und haben bei der Einsatzplanung insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel und beim Schutz besonders bedrohter Arten eine besondere Priorität“, sagt Guischard. Die Feuerwehr engagiere sich seit jeher in verschiedenen ökologischen Themenfeldern. So befindet sich auf dem Dach der Feuerwehr eine Solar-Anlage, es gibt ein dezidiertes Brauchwasser-Konzept, und auch an anderen Standorten der Feuerwehr wurden Grünflächen zu Blühwiesen.

Für Tiere im Einsatz

Zudem vermittelt die Wehr regelmäßig verletzte Vögel an Aufzuchtstationen und kooperiert mit ortsansässigen Tierärzten. Auch die Versorgung verletzter Wild- und Fundtiere gehört zum Aufgabenspektrum der Feuerwehr. „Wir rücken im Jahr rund 30 bis 40 Mal zu Tierrettungseinsätzen aus“, so Guischard. Unter anderem stehen auch immer wieder Beratungsgespräche bei vorgefundenen Bienen- und Wespennestern sowie die Vermittlung von schonenden Umsiedlungsmöglichkeiten von Insektenvölkern auf der Tagesordnung, an der sich die Wehr mit Spezialausrüstung beteiligt.

Die Blühwiese an der Feuerwache ist ein Pilotprojekt von Feuerwehr und dem Produktbereich Grünflächen und soll – nach Rücksprache mit den zuständigen Naturschutzbehörden – als vorübergehender Rückzugsraum von Insektenvölkern genutzt werden, die im Einsatz gesichert wurden. „Das dient dann auch der Naturschutzausbildung für die Mini- und Jugendfeuerwehr“, so Guischard, der sich vorstellen könnte, die Kinder- und Jugendlichen unter fachlicher Anleitung ein Bienenvolk betreuen zu lassen.

Welchen Erfolg solche Blühwiesen bringen können, zeigt sich an einer im vergangenen Jahr vorgenommenen Einsaat vor dem Technischen Rathaus, die intensiv blüht. Auch die neu angelegten Flächen am Friedhof Ober-Eschbach entwickeln sich gut. Dort sind zwar die meisten Blumen bereits verblüht, haben aber ihre Samen verteilt. „Vor ein paar Wochen sahen diese Flächen noch etwas hübscher aus. Aber auch das ist eine wichtige Erkenntnis: Wer Biodiversität möchte, muss sich von einem allzeit ‚ordentlichen‘ Erscheinungsbild verabschieden“, so Richter weiter.

Allerdings habe sich diese Erkenntnis noch nicht bei allen Menschen durchgesetzt. So gebe es immer wieder Beschwerden über vermeintlich ungepflegte Ortseingänge, wenn dort die Bankettstreifen am Straßenrand nicht kurz gemäht seien, sondern Wildkräuter und Gräser sehr hoch stünden. Um hier Aufklärungsarbeit zu leisten, wurden seit Herbst 2019 mehr als 100 Erklär-Schilder an Blühstreifen und Wiesen aufgestellt. Außer vielen weiteren Maßnahmen – Aufstellen von Hotels für Wildbienen und Hummeln oder die Verteilung von Blühsamentütchen – wurde auch das sogenannte Mahdregime überarbeitet. Die Mähfrequenz wurde, wo möglich, deutlich reduziert und die Mahd, auch von Rasenflächen, deutlich höher durchgeführt. Blühwiesen werden standardmäßig nicht vor Juni und dann erst wieder Mitte September gemäht. Dabei sollen immer mindestens zehn Prozent des Aufwuchses stehen bleiben.

Welche Erfolge man mit einer solchen extensiven Form der Pflege von Grünflächen erzielen kann, zeigt sich im Kurpark, dessen Wiesenflächen seit etlichen Jahren sehr reduziert gemäht werden. Die Erwartungen hinsichtlich der ökologischen Aufwertung und der Erhöhung der Biodiversität haben sich hier übererfüllt. So hat sich die die Artenzahl der Pflanzen in den Kurpark-Wiesen deutlich erhöht: von zwölf auf mehr als 35, darunter auch Orchideen. Die extensive Pflege hat außerdem viele weitere ökologische Vorteile, so finden Hasen und andere Tiere Deckung im hohen Gras, und die Insektenpopulation ist gewachsen, was auch positive Wirkung auf die mittlerweile neun Fledermausarten und mehr als 40 Vogelarten hat.

Hochgewachsene Wiesen sind auch ein wichtiger Beitrag zum Stadtklima. Gerade in heißen Sommern seien sie vorteilhafter als kurz geschnittener Rasen, selbst im trockenen Zustand. Der Temperaturunterschied könne durchaus zehn Grad Celsius betragen, informieren die Experten.

Meinhard Matern (Mitte), zu diesem Zeitpunkt noch Bürgermeister von Bad Homburg, zusammen mit Branddirektor Daniel Guischard, Claudia Richter, Valentin Zies und Ivan Letica (v. l.) bei der Einweihung der Wiese auf dem Gelände der Feuerwehr. Foto: Ehmler



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