„Wir müssen aufhören mit dem Jammern, die Kultur lebt!“

Bernd Hoffmann, der künstlerische Leiter des Poesie- und Literaturfestivals, hat viele Ideen und ist zuversichtlich, dass es bald wieder bergauf geht. Foto: Vero Bielinski

Mit Hans Sigl und seiner außergewöhnlichen Thomas-Mann-Lesung wurde im April dieses Jahres das 13. Bad Homburger Poesie- und Literaturfestival eröffnet. Doch schon bald stand fest: Viele der für das Frühjahr geplanten Lesungen müssen in den Herbst verschoben werden. Das Poesiefestival wurde zweigeteilt. Warum sich die Macher des Festivals, der künstlerische Leiter Bernd Hoffmann und sein Partner Hermjo Klein, zu diesem Schritt entschieden, wie es generell um die Kulturbranche steht und wie es in Zukunft weitergehen soll, darüber sprach Redakteurin Janine Stavenow mit Bernd Hoffmann.

Herr Hoffmann, vielversprechend ging es im Frühjahr mit der 13. Auflage des Poesiefestivals los, dann aber – nach ersten gelungenen Lesungen – die kurzfristige Entscheidung: Wir verschieben alle weiteren in den Herbst. Warum dieser Schritt?

Bernd Hoffmann: Es gab eine Überlagerung von Ängsten: Corona, der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiekrise. Die Menschen mussten und müssen sparen. Und ich verstehe das auch sehr gut. Aber es ist schwierig, im Krisenmodus Tickets zu verkaufen. Die Kulturbranche hat eine Minderbelegung zwischen 25 und 65 Prozent zu verkraften. Das ist nicht mehr wirtschaftlich. Und ein Kurhaus-Theater mit nur 130 Leuten belegt, das ist weder für die beteiligten Künstler noch für das Publikum wirklich toll.

Mittlerweile sind für alle verlegten Lesungen Ersatztermine gefunden worden, Tickets sind zu haben, und Sie werden schon bald das Programm für das Poesiefestival 2023 vorstellen. Ist die Stimmung, um Kultur zu genießen, denn jetzt besser als noch im Frühjahr? Die Corona-Inzidenz steigt, der Krieg hält an.

Hoffmann: Veranstaltungen im Oktober und November, das geht noch ganz gut. Wir sind optimistisch. Wirtschaftlich gesehen haben wir zweieinhalb sehr verlustreiche Jahre hinter uns. Es gab eine unfassbare Menge an Verschiebungen und Absagen, keine Planbarkeit mehr. Das hat eine Lähmung der Kulturbranche gebracht. Und auch beim Publikum ist eine seltsame Entwöhnung eingetreten. Aber es muss weitergehen. Wir sind jetzt sechs Monate weiter und müssen aufhören mit dem Jammern. Die Kultur lebt. Und wir starten wieder durch.

Das hört sich ausgesprochen zuversichtlich an. Aber wie genau soll es weitergehen? Wie wollen Sie die Zuschauer, die es sich mittlerweile zu Hause auf dem Corona-Sofa gemütlich gemacht haben, wieder vor die Kulturbühnen locken? Und wie wollen Sie die jungen Leute begeistern?

Hoffmann: Die Weltgeschichte schlägt momentan ein Blatt um. Der Grund dafür ist die Digitalisierung. Es gibt noch immer das klassische Kulturpublikum, das Bücher liest, das Gelesene abspeichert und gerne ins Theater oder zu Lesungen geht. Doch es gibt auch die jüngere Generation, die die veränderten technischen Möglichkeiten nutzt, mit Handy, Netflix und Mediatheken aufwächst und so zeitlich ungebunden ist und es auch sein will. Die gute alte Präsenzveranstaltung wird bleiben, da bin ich mir sicher. Aber wir wollen auch ein jüngeres Publikum ansprechen, das flexibler sein möchte. Daher erwägen wir, Veranstaltungen auch parallel zu streamen. Beide Angebote könnten – auch beim Poesiefestival – nebeneinander existieren. So könnten wir ein größeres Publikum erreichen. Außerdem spielt hier der Aspekt des Klimaschutzes zukünftig für Veranstalter eine ernstzunehmende Rolle.

Was würden Sie sich für die Kulturbranche im Großen und für das Poesiefestival im Kleinen wünschen?

Hoffmann: Wir haben hier im Bad Homburg einen starken Rückhalt im Publikum. Das ist toll. Auch die Partner, die uns finanziell unterstützen wie die Stadt, die Spielbank, die Taunus Sparkasse und Steigenberger, bleiben alle dabei. Noch dazu halten uns die Künstler die Treue. Wir genießen bei den Schauspielern großes Vertrauen, und das Poesiefestival hat einen sehr guten Ruf. Sollten wir in den nächsten Jahren noch größer im Sinne von überregional oder international werden können, dann müssen wir zwecks finanzieller Unterstützung mal in Wiesbaden beim Land Hessen anklopfen. Was ich mir aber wirklich wünsche ist, dass die Kultur endlich im Grundgesetz verankert wird. Dafür müssten die Länder und Kommunen sorgen. Denn die Kultur ist ein Kompass fürs Leben, sie vermittelt grundlegende Werte, Begriffe wie Mut, Toleranz, Haltung, Emotionen, Barmherzigkeit und Milde. Es darf nicht immer nur aufs Geld geguckt werden.



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