„Es muss richtig knirschen“

Bad Homburg (ny). Niemand ist zu alt, um sich erstmals künstlerisch zu betätigen. Im offenen Atelier im Schloss konnten sich Familien mit einem dementiell erkrankten Angehörigen vom Kunsttherapeuten Andreas Hett in die anspruchsvolle Kunst der Kaltnadelradierung einführen lassen.

Ullrich Kleemann und seine Tochter Bettina machten sich gleich an die „Arbeit“, und jeder zeichnete einen Baum auf Zeichenpapier. Der Vater setzte noch ein Eichhörnchen auf einen Ast, die Tochter ließ zwei Häschen im Gras vor dem Baum spielen. Andreas Hett bedeckte die Zeichnungen mit einer Acrylplatte und gab den beiden „Künstlern“ einen Stift, mit dem sie die Konturen auf der Platte einritzen sollten. „Es muss richtig knirschen“, erklärte er. Inzwischen hatte er Farbkleckse auf einer Fliese angebracht und ein Stück Gaze zu einem Bällchen geformt, das er Ullrich Kleemann gab. Dieser tupfte damit in die grüne Farbe, und nach Anweisung von Andreas Hett bestrich er sorgfältig die eingeritzten Linien. Tochter Bettina suchte sich rote und grüne Farbe aus, die sich zu braun vermischten. Sie blickte ihren Vater an und fragte: „Fühlst du dich meisterlich?“, was er mit „Unheimlich!“ bestätigte.

Nach einem Wasserbad und Trockenstreichen der Blätter zwischen zwei Zeitungen wurden sie jeweils in eine Druckerpresse gelegt und mit einem Filztuch bedeckt. Ullrich Kleemann drehte nun das große Rad an der Seite der Presse, wodurch sich deren Platte hin und her bewegte. Dann kam die Überraschung: Andreas Hett nahm vorsichtig das Filztuch von dem Blatt mit dem grünen Baum hoch und zeigte es lächelnd den beiden Künstlern, denen die ungewohnte Arbeit viel Spaß gemacht hat. Sie dankten ihm erfreut und nahmen ihr Meisterstück, eine Kaltnadelradierung, stolz mit nach Hause.

Ullrich Kleemann und seine Tochter Bettina arbeiten Seite an Seite im offenen Atelier von Andreas Hett. Foto: Ludwig



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