Offensichtliches hinterfragen und den Finger in die Wunde legen

Bad Homburg (fch). Einem Parforceritt durch das postfaktische Zeitalter unserer Gesellschaft und damit Demokratie gleich kam der Auftritt von Gregor Pallast beim Bad Homburger Sommer. Mitgebracht auf die Bühne des Konzertpavillons in die Brunnenalle hatte er sein zweites Solo-Programm „Verwählt? 2.0 – Demokratie im Endstadium“. In ihm seziert der scheinbar von den Folgen des sintflutartigen Faktenleugnens und Faktenbeugens verwirrte Kabarettist fast mit chirurgischer Präzision die Lage im Land.

Die Bundesrepublik erscheint zunehmend als Kapitalgesellschaft, in der ein Politiker dann gut ist, wenn er trotz vieler Worte nichts sagt und sich kategorisch dem Eindruck erwehren kann, kompetent zu sein. Das kam dem Publikum im Kurpark bekannt vor. Und so hatte der „Experte“ aus einem Volk, das in der Schule längst nicht mehr Wissen ansammelt, sondern nur noch Suchbegriffe für Wikipedia eingibt, aufmerksame Zuhörer.

Fakt ist, dass es niemanden zu stören scheint, dass vor allem derjenige Erfolg hat, der sich kurzerhand die Position mit den meisten Anhängern zu eigen macht. „Demokratie im Endstadium“ nennt der scharfsichtige Prix-Pantheon-Finalist 2016 das. Der 41-Jährige befeuert seinen Kessel den ganzen Abend über mit fiktivem Brennstoff in Form von „diesen und anderen Problemen“. Immer wieder hinterfragt er das Offensichtliche und legt dabei den Finger in die Wunde. Mit scharfem Blick und noch schärferem Verstand bezieht er Position. Er zeigt, analysiert und klärt auf. Dabei nimmt er beispielsweise Postkarten ins Visier, die das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Werbekampagne für Lehrer versendet. Mainstream taugliche Slogans lauten „Ein Leben lang Influencer“ oder „Job mit Kultstaus“.

Nicht nur der Status des Lehrers, sondern auch der des Innenministers hat sich grundlegend gewandelt. „Früher hatte ein Politiker eine Überzeugung und suchte dafür Anhänger. Heute haben Politiker Anhänger und suchen dafür eine Überzeugung.“ Und: „Innenminister waren früher Spießer“. Heute übernehmen Politiker dagegen den Job von Kabarettisten, wenn sie beispielsweise den Hambacher Forst „im Interesse der Demonstranten“ räumen lassen. Geschützt werden die Waldbesetzer, indem der Wald gerodet wird, bevor die illegal errichteten Hütten abbrennen könnten. Gregor Pallast schlägt vor, den Waldbesetzern einen Posten im Innenministerium anzubieten. Das käme die Steuerzahler unterm Strich fast noch günstiger als die gängige Praxis der Waldräumung.

Schwierig gestaltet sich die Suche des als Lehrer ausgebildeten Pallast bei der Suche nach Jobalternativen. „Klugscheißer sind heute Coach oder Berater, die selbst entscheiden, was richtig ist. Politiker, da legen sie heute Geld drauf.“ Und dies, obwohl in vielen verborgene Talente schlummerten, viele nach dem Ausscheiden aus der Politik als Berater arbeiteten. Beispiel Extremismus-Berater: Erkennen Politiker ein Problem, dann folgt eine Werbekampagne. Möglich wäre auch eine Beschäftigung als Wählerberater, denn „es muss doch genug geben, die nach der letzten Wahl festgestellt haben, dass sie sich verwählt haben“. Er entlarvt im Laufe des Programms Kühe als „Wasserentwertungsmaschinen“, vergleicht Milch- und Wasserpreise von vor 50 Jahren und heute miteinander. In flottem Tempo reiht Gregor Pallast eine Aussage an die nächste, beleuchtet kritisch Politik, Finanzwelt, Riesterrente, V-Leute, Erderwärmung, Autodesigner und vieles mehr.

Kritisch merkt er an: „Waren und Kapital können sich in dieser Welt frei bewegen. Menschen, wenn sie eins davon behalten.“ Getreu der von Peter Lustig in der Kinderserie „Löwenzahn“ geäußerten Erkenntnis: „Das größte Übel der Menschheit ist die Unwissenheit“, ist Gregor Pallast angetreten, diesem Übel mit seinem Programm zu begegnen, und ruft seinen Mitmenschen zu „Denk nach!“. Wer dies beherzigt, hat die Chance, am Ende des Abends mit einem neuen Blick auf die Welt nach Hause zu gehen. Und sich beim nächsten Mal nicht mehr zu verwählen.

Gregor Pallast seziert mit chirurgischer Präzision die Lage im Land. Foto: fch



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