Mit Rhythmus im Blut und dem Schalk im Nacken

Ob als Sänger, Pianist, Schauspieler, Geschichtenerzähler oder Akkordeonspieler – beim Poesiefestival ist Ulrich Tukur schnell Liebling des Publikums. Foto: Fritz Philipp

Bad Homburg (jas). Wie die Orgelpfeifen kommen sie hereinmarschiert. Ganz vorne der „abgebrochene Theologe“ Karl-Friedrich Mews, der das Schlagzeug spielt, dahinter Frontmann Ulrich Tukur, dann der pomadige Ulrich Mayer mit der Blechklampfe und schließlich der 2,08-Meter-Riese Günter Märtens mit seinem Kontrabass. Alle Vier sind sie in elegante dunkelbraune Jacketts und dazu passende beigefarbene Hosen gehüllt. Dem Publikum ist schnell klar: Eine Aufwärmphase brauchen Tukur und seine „Rhythmus Boys“ nicht. Wenn das Quartett auf der Bühne steht, geht’s gleich richtig los mit Musik, Rhythmus und jeder Menge Spaß. So auch beim Auftritt im Rahmen des Poesie- und Literaturfestivals im Kurtheater am Fronleichnamsabend.

„Rhythmus in Dosen“ heißt das nach einem Foxtrott aus dem Jahr 1942 benannte Programm, mit dem die Männer seit dem ersten Pandemiejahr 2020 durch das Land touren. Der Inhalt: alles von Mambo bis zum Foxtrott, darunter eigene Stücke, unbekannte ältere Titel sowie schmissige Gassenhauer. Doch die vier galanten Gentlemen haben nicht nur Musik im Gepäck. Zu ihrem Repertoire gehören flotte Sprüche, komödiantische Einlagen, hinreißende Tanzschritte, Gedicht-Rezitationen und manch Geschichte, die Rätsel aufgibt, ob sie denn nun wahr oder schlichtweg ausgedacht ist. Als echter Entertainer und Allround-Talent erweist sich Ulrich Tukur, der mit unerschöpflicher Energie durch den unterhaltsamen Abend führt. Doch Achtung! Genießen und bequem zurücklehnen ist nicht. Wer mit Tukurs Erzähltempo mithalten und seinen Gedankensprüngen folgen möchte, muss aufmerksam bleiben. Ein Denkpäuschen bieten die Melodien der frühen 20er- bis zu den späten 40er-Jahren.

„Wir spielen besser als wir aussehen“, ruft Tukur gerade noch dem Publikum im Kurtheater zu, als er auch schon in die Tasten greift und Cole Porters Hit „Anything Goes“ aus dem Jahr 1936 anstimmt. Mit dem Schlager „Ein Señor und eine schöne Señorita“ wird es romantisch im Theater, bevor Tukur und seine „Rhythmus Boys“ beinahe nahtlos zu Friedrich Hölderlin überleiten, ein bisschen „Schwäbisch schwätzen“ und dann „Between The Devil And The Deep Blue Sea“ zum Besten geben. Das Publikum ist begeistert, swingt gerne mit, lässt Füße wippen und Köpfe im Takt nicken. Mit Irving Berlins Hit „Puttin’ On The Ritz“ geht die musikalische Reise durch die nostalgische Unterhaltungsmusik der Goldenen Zwanziger und Vorkriegsjahre weiter zum Song „Christopher Kolumbus“ bis hin zum Gute-Laune-Lied „Sie will nicht Blumen und nicht Schokolade“, den die „Rhythmus Boys“ mit zwei todernst angekündigten Überraschungen gespickt haben – einem Fruchtbarkeitstanz von Bassist Märtens und einem beeindruckenden Gitarren-Solo von Ulrich Mayer.

Zwischen Großkrotzenburg und Großauheim lässt Erzähler Ulrich Tukur die nächste seiner zahlreichen Storys beginnen – die Lebensgeschichte von Eberhard Müller, die schließlich auf vielen verschlungenen und unterhaltsamen Wegen zum amerikanischen Komponisten Glenn Miller und seinem Hit „In The Mood“ führt. Mitgebracht hat das Quartett, das vom Kurtheater-Publikum immer wieder mit reichlich Zwischenapplaus bedacht wird, noch weitere bekannte Melodien. So erklingen die Schlager „Von acht bis um acht“, „Ach, verzeih’n Sie meine Dame“ sowie der Charleston-Tanzhit „Everybody Loves My Baby“.

Als Tukur, der die „Rhythmus-Boys“-Combo 1995 gegründet hat, das nahe Ende des vergünglichen Abends verkündet, geht ein Raunen der Enttäuschung durch den Saal. Doch ein wenig Zeit und ein paar Zugaben mit Akkordeon-Einsatz bis zum endgültigen Abschiednehmen bleiben ja noch. Dann aber ist wirklich Schluss, und zur Melodie des Welthits „La Paloma“ verschwinden die musikalischen Boys in ihren braunen Jacketts hinter dem Bühnen-Vorhang.

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