Die Schlosskirche wird zum Turmzimmer

Der Musiker und Komponist Boris Bergmann und die Schauspielerin Silvina Buchbauer vereinen sich zu einer schönen Annäherung an Frie-drich Hölderlins „Turmgedichte“.

Von Katrin Staffel

Bad Homburg. Der 10. Geschichtstag in der Aula des Kaiserin-Friedrich-Gymnsiums war im „Jubiläumsjahr 2020“ Friedrich Hölderlin gewidmet: Eine von vielen Veranstaltungen zu seinem 250. Geburtstag, die der Historische Verein Rhein-Main-Taunus organisiert hatte. Zum krönenden Abschluss durfte der Dichter, der der Nachwelt bis heute viele Rätsel aufgibt, in der Schlosskirche selbst zu Wort kommen.

Das gilt auch für die Beurteilung seiner „Turmgedichte“, die der angeblich wahnsinnige Dichter ab den Jahren 1806/1807 nach Einzug in das Turmzimmer der Familie Zimmer am Neckarufer in Tübingen verfasste. Nach dem Abend in der Schlosskirche, den Boris Bergmann am Flügel und die Schauspielerin Silvina Buchbauer mit Musik und Rezitationen der „Turmgedichte“ gestaltet haben, möchte man ein Urteil eher wohlwollenden Hölderlin-Freunden überlassen als den kühl analysierenden „Experten“.

Seine Freunde fanden Trost in dem Gedanken, dass er bis zu seinem Lebensende das sein durfte, was sein Lebensziel war: ein Dichter. Nich mehr, aber auch nicht weniger: „Der Dichtung Funke hat in diesem ausgebrannten leeren Körper bis zum letzten Tag überlebt“, stellte sinngemäß auch Stefan Zweig fest, wie Silvina Buchbauer in den eingefügten Anmerkungen zu Hölderlins Leben aufzeigte. In dieser kleinen, aber feinen eher unspektakulären „Inszenierung“, bei der die Schlosskirche zum Turmzimmer wurde, war Friedrich Hölderlin sehr präsent.

Musik als Ablenkung

Mit seinen Reimen, niedergeschrieben, oft verworfen und schließlich doch in Form gebracht, wie die vielen Zettel auf dem Boden verrieten; mit seinem Klavierspiel, mit dem er viele Stunden des Tages verbracht haben soll. Er konnte auch Flöte spielen und soll die im Haus logierenden Studenten damit unterhalten haben, wenn diese ihn riefen. Musik als willkommene Ablenkung vom Dichten, wo er „ ungebunden“ und „slow“ – langsam, umherschweifen konnte, wie es Komponist Boris Buchbauer mit seinen wie hingetupften musikalischen Untermalungen zu den Gedichten nachenmpfunden hat.

Sie haben sich selten zu Melodien oder markanteren Elementen verdichtet und wurden damit dem zeitlos-schwebenden Zustand der Texte gerecht, die aus dem Turmzimmer „ins Offene“ gedrungen sind. Vielleicht hat Friedrich Hölderlin in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens die Ruhe und „Entschleunigung“ gefunden, die ihm nicht gegönnt war, als er sich mühte, die Liebe und Hingabe zur antiken Welt mit ihren Göttern und Helden mit den freiheitlich-revolutionären Gedanken in Einklang zu bringen, die aus Frankreich herübergeschwappt waren. Friedrich Hölderlin war im Wortsinn auf weiten Wegen durch das Leben gewandert, um dahin zu kommen, wo eine Hauslehrerstelle auf ihn gewartet hat, die ihm seinen Unterhalt sichern musste. Oft genug musste seine verständnisvolle Mutter unterstützend eingreifen.

Das alles war Vergangenheit, und auch den unglücklich liebenden Hölderlin gab es im Turmzimmer nicht mehr. Von ihm hatte sich der Dichter getrennt, als er neue Namen für sich erfand; als er zu Scardanelli wurde; als er seine Gedichte mit Daten verband, die vor und nach seiner eigenen Lebenszeit lagen. Auch der Faktor „Zeit“ spielte für einen Dichter nun keine Rolle mehr, der seine gereimten Verse so „zeitlosen“ Themen wie den Jahreszeiten oder Gedanken über das Leben im Allgemeinen widmete.

Das hat Silvina Buchbauer mit den 13 Gedichten bewiesen, die die Künstler für diesen Abend ausgesucht hatten. Er stand unter dem Leitgedanken „Slow – Scardanelli – Lieder ohne Worte von Boris Bergmann zu Friedrich Hölderlins Turmgedichten, rezitiert von Silvina Buchbauer“.

Er hatte so viel Aufmerksamkeit gefunden, dass coronabedingt zwei Aufführungen angeboten werden konnten, die mit viel Beifall aufgenommen wurden.



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