Schnee, Eis und das nächtliche Sternenmeer

Bad Homburg (ks). Mit Harald Krassnitzers Lesung der Erzählung „Bergkristall“ von Adalbert Stifter (1805-1868) in der Erlöserkirche ist das Jubiläumsjahr zum zehnjährigen Bestehen des Poesie- und Literaturfestivals würdig zu Ende gegangen. Am Schluss gab es stehenden Applaus für den Schauspieler, den Kammerchor unter Leitung von Susanne Rohn und indirekt auch für Adalbert Stifter, dessen Erzählkunst Krassnitzer einfühlsam zur Geltung gebracht hatte.

Gerade an dieser hatten manche zeitgenössischen Kollegen Stifters etwas auszusetzen. Sie war ihnen zu „einfach“, „nicht groß genug“. Der Interpret hat bewiesen, dass das nicht stimmt. Diese Weihnachtsgeschichte aus den österreichischen Bergen, die ohne aufgeregte Dramatik erzählt wird, ist zusammen mit den detaillierten Beschreibungen der winterlichen Natur und des nächtlichen Sternenhimmels auf eine besondere Art voller Poesie und Liebe. Am Ende steht die Versöhnung innerhalb einer Familie und von Menschen aus benachbarten Dörfern, die sich fremd geworden waren und nun wieder zusammenfinden. Aus „Auswärtigen“ sind am Ende „Eingeborene“ geworden, die man von den Bergen zurückgeholt hat. Klingt irgendwie „modern“, und es gelingt nicht immer.

Konrad und Sanna, Kinder der Schustersfamilie aus Gschaid, machen sich am Abend vor Weihnachten auf den Weg in den größeren Nachbarort Millsdorf. Von dort hat sich der Vater seine schöne Frau Susanne geholt, und dort wohnen auch die Großeltern. Und sie wollen die Kinder in der Weihnachtsnacht besuchen. Dazu müssen sie über den Pass, Hals genannt, der beide Ort verbindet, und auf dem Hinweg geht auch alles gut. Aber auf dem Rückweg beginnt es zu schneien, Wind kommt auf, und die Kinder verpassen im Schnee den Weg ins Tal. Stattdessen geraten sie immer weiter bergauf und landen schließlich im Ewigen Eis. „Alles ist plötzlich weiß und still“ , und Konrad tut alles, seine kleine Schwester zu trösten und zu beschützen, als sie endlich einen steinernen Unterschlupf finden. Noch sind sie voller Zuversicht und beeindruckt von dem nächtlichen Sternenmeer und einem grünen Feuer am Himmel, das sie sich nicht erklären können. Die Großmutter hatte ihnen Essen und Süßigkeiten mitgegeben, mit denen sie ihren Hunger stillen, und auch der Kaffeesud für die Mutter tut in der Kälte gut und bewahrt vorm Einschlafen.

Am nächsten Tag hat sich nichts geändert. Die alten Spuren sind verweht, und die Kinder landen wieder im Eis. Sie bleiben in der weißen Stille gefangen, die nur vom knackenden Eis unterbrochen wird. Als sie endlich einen Weg entdecken, der bergab führt, sind auch die Retter unterwegs, und die aus Gschaid kommen ihnen entgegen. Sie schwenken eine rote Fahne, „die wie Feuer“ aussah, und damit informieren sie auch die Helfer aus Millsdorf und den anderen Dörfern von der Rettung der Kinder.

Große Freude

Alle Glocken läuten, und die Kinder werden aus der Almhütte abgeholt und mit dem Schlitten nach Hause gebracht. Die Freude der Eltern und aller Helfer ist groß. Auch der Großvater ist mitgekommen und besucht nun zum ersten Mal Tochter und Schwiegersohn in ihrem Haus. Die Kinder werden ins warme Bett gesteckt, und die Helfer feiern die glückliche Rettung gemeinsam im Wirtshaus. Als die Mutter ihre kleine Tochter noch einmal in die Arme schließt, flüstert diese ihr zu: „Mutter, ich habe heute nachts als wir auf dem Berg saßen den heiligen Christ gesehen.“ Und die Mutter versichert ihr, dass dieser Gaben mitgebracht habe, die später mit großer Freude ausgepackt werden. Für die Dörfler gehört die Schustersfamilie nicht mehr zu den „Auswärtigen“, sondern fortan endlich auch zu den „Eingeborenen“.

Susanne Rohn hatte mit überwiegend bekannten Weihnachtsliedern auch dieses Mal für eine stimmige musikalische Umrahmung gesorgt und den Kammerchor dabei ebenso behutsam wie eindringlich geleitet.



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