Auf der „Tour de Neustart“ den Amateurfußball im Blick

Nach zwölf Tagen und 900 Kilometern erreicht der Bad Homburger Sportjournalist Michael Heil Zingst und besucht die dortige TSG. Foto: privat

Bad Homburg (fch). Der gebürtige Büdinger Michael Heil ist mit einer Kurstädterin verheiratet und lebt seit zehn Jahren in Gonzenheim. Während der coronabedingten Kurzarbeit im Homeoffice ärgerte sich der 55-Jährige, der als Sportredakteur bei der Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ) arbeitet, zunehmend über das Gejammere der Profifußballer. „Ich konnte das Selbstmitleid und den Aberwitz der Fußballprofis in den Talkshows nicht mehr ertragen.“

Beim Joggen hatte er eine gute Idee. Er wollte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Fußball-Amateurvereine und ihre ehrenamtlichen Macher mit Herzblut lenken, vorstellen, wie die Vorstände die Krise zum Wohle ihrer Vereine meistern. „Ich bin innerhalb von zwölf Tagen auf meinem 30 Jahre alten Mountainbike durch fünf Bundesländer geradelt. Jeden Abend besuchte ich einen kleinen Sportverein.“ Seine Radtour nannte er optimistisch „Tour de Neustart“. Die Tour ermöglichte ihm zudem einen Blick über den Tellerrand des Lokalsport-Journalisten. Zu den Hürden gehörte, dass „keiner im Verlag sich richtig vorstellen konnte, was das werden sollte. Erst als ich mich bereit erklärte, die Kosten zu tragen und auf eigene Verantwortung loszufahren, wurde ich technisch unterstützt.“

Im Mai arbeitete er die Route aus. Sie verlief von der Barbarossastadt Gelnhausen im Main-Kinzig-Kreis über die Städte Fulda, Eisenach, Gotha, Erfurt, Weimar und Halle nach Magdeburg, Schwerin und Rostock bis nach Zingst in Mecklenburg-Vorpommern. Am 2. Juni stieg er im Stadion des FC 03 Gelnhausen auf sein Mountainbike und radelte los. Eingeplant hatte er zehn Stopps bei kleinen Sportvereinen. „Der am höchsten spielende Verein war der MSV Pampow (Oberliga Nordost), der kleinste die TSG Zingst (Freizeit-Liga).“ Heute sagt er: „Ich hatte das Unterfangen etwas unterschätzt. Anstelle von 800 Kilometern waren es am Ende mit allen Umwegen 900 Kilometer, die ich in zwölf Tagen, bei einem Tag Pause in Schwerin, vor allem auf Fahrradwegen an Flüssen entlang zurücklegte.“

Von den 900 Kilometern ist er 890 geradelt, hat zehn Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt und hat einmal per Fähre die Elbe überquert. „Bis zum Ziel in Zingst habe ich etwa 6700 Höhenmeter im Auf und Ab bei einer reinen Fahrtzeit von rund 57 Stunden zurückgelegt.“ Übernachtet hat er in Mannschaftskabinen, der Schiedsrichter-Umkleide, im VIP-Raum, in einer Jugend-Blockhütte, in einer Pension und einmal im Hotel eines Sponsors. Trotz nicht kalkulierbarer Schwierigkeiten wie aufgrund von Corona geschlossener Cafés und Hotels war die „Tour de Neustart“ reich an Eindrücken und Begegnungen mit „großartigen Menschen“. Meistern musste der radelnde Sportjournalist Naturgewalten wie Dauerregen und Gegenwind. Sprichwörtlich im Regen stand er am zweiten Reisetag, als er „trotz Absprache in Gerstungen vor verschlossenen Türen“ stand. Es war niemand erreichbar, kein Café und kein Hotel hatte geöffnet. Total am Ende kam er in Wittenberg an. „Nach dem Stopp in Gerstungen bin ich auf Wolke sieben gefahren. Ich habe mit Vereinsvorständen abends gegrillt, Kon-trollen der Gesundheitsämter live miterlebt und vor allem interessante Menschen kennengelernt. Macher mit Plänen und Konzepten, die ehrenamtlich dafür gesorgt haben, dass die Kinder zurück auf die Plätze kommen.“

Macher und Teamplayer

In Bad Sulza lernte er eine neue Sportart kennen: „In der Kur- und Weinstadt, die zugleich ein staatlich anerkanntes Heilbad ist, haben sie das Besenkegeln erfunden. Das ist der Renner bei Senioren, die kommen jetzt wieder scharenweise zurück in den Verein.“ Besonders beeindruckt haben ihn die vielen engagierten Vereinsmitglieder, die den Amateurfußball lebendig halten. „Die Mitglieder in allen zehn besuchten Vereinen leisten außer ihrer täglichen Arbeit Großartiges. Alles sind Macher und Teamplayer. Die Vorstände führten ihre kleinen Vereine mit viel Aufwand, unzähligen Sitzungen und Gesprächen durch die Corona-Krise. Ich habe abends beim Training durchweg dankbare Eltern und leuchtende Kinderaugen gesehen. Das kleine Atzendorf wäre ohne die aufopfernd kämpfende Jugendleiterin Doreen Schäfer und den Sportverein ZLG tot.“

Auch die Reaktionen auf seine Tour verliehen dem Reisenden Flügel. „Ich wurde von Spielern und Funktionären aus dem eigenen Fußballkreis in Gelnhausen mit Whats-App-Nachrichten bombardiert. Einer hat mir sogar eine Stadtführerin durch Magdeburg angeboten. Dafür hatte ich natürlich keine Zeit.“ Das Interesse der Medien an der Tour war groß. Zahlreiche Tageszeitungen berichteten über die Tour sowie das Sportportal sportbuzzer.de, das eine Serie über die eigene Homepage, Instagram und Facebook startete. Der sportliche Bad Homburger ist wieder wohlbehalten in die Heimat zurückgekehrt. Und plant bereits die nächste Tour. „Ich will mit dem Fahrrad von Bad Homburg aus ans Nordkap fahren. Das schenke ich mir zum 60. Geburtstag.“ Sein Tipp für unentschlossene Urlauber lautet: „Heiß empfehlen kann ich eine Tour auf die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst.“



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