Um Mitternacht bei Kaisers im Schlafzimmer

Von Jürgen Streicher

Bad Homburg. Nachts mal allein im Museum? Nicht bei der Kulturnacht in der Kurstadt. Das kulturaffine Volk ist auch oder gerade am späten Abend noch zu begeistern. Pilgert mit Regenschirm durch den Abend, trifft im Schloss auf den Kaiser, in den großen Kirchen an der „Kulturmeile“ auf wunderbare Musik, begegnet Dracula und an allen 16 Stationen des Kulturtrips durch die Nacht unglaublich vielen Gleichgesinnten. Die 15. Auflage des Events ein voller Erfolg.

Kommt der Ortsfremde auf die „Kulturmeile“ Dorotheenstraße, spürt er sofort, dass er auf dem richtigen Weg in die Nacht ist. Flackernde Kerzen weisen den Weg in die Marienkirche und die Erlöserkirche, machtvoll das Geläut von beiden Glockentürmen, das den Beginn der Kulturnacht geschmeidig annonciert. In der Mitte zwischen den beiden Gotteshäusern stehen ungefähr zwei Dutzend Menschen, ein wenig bibbernd und beträufelt im Regen, unter dem Dach von vielen bunten Schirmen. Sie lassen sich von Ruxandra-Maria Jotzu die Architektur der Kulturmeile erklären und erfahren Details über das Leben der Menschen, die dort einst wie Isaac von Sinclair, ein Freund Hölderlins, gelebt haben, lassen sich auch vom strömenden Regen nicht einschüchtern. Wie all die anderen, die hier als Schirmherr und Schirmdame leicht gebückt unterwegs sind.

Nicht mal Oliver Debus und seine Kollegen von der Volkssternwarte Hochtaunus lassen sich verdrießen von diesem Himmel, der so gar nicht zu ihrem Hobby passt. Im Hof des Museums Sinclair-Haus haben sie ihre Tele-skope aufgebaut, um passend zur Ausstellung „Nachtleben“ in den trockenen Räumen drinnen den Zauber der Dunkelheit draußen am von Sternen übersäten Nachthimmel sichtbar zu machen. „Das wird heute nichts“, trauert Debus schon ein bisschen, ist doch „gerade so ein schöner Komet zu sehen.“ Macht nichts, manch Kind und manch Erwachsener freut sich auch über den detaillierten Blick durchs Teleskop auf die Türme der Erlöserkirche und kann ja bei besserem Sternwetter mal bei der Volkssternwarte vorbeischauen.

„Ist es da drin ganz dunkel?“, fragt eine Frau vorsichtig im Eingangsbereich zur zum Sinclair-Haus. „Damit ich keine Panik kriege.“ Nein, alles gut, beruhigt Ulrike König, die versucht den Andrang der Menschen ein wenig zu kanalisieren. Hier ist man eingeladen, die Dunkelheit neu zu entdecken, ist aber nur mit viel Glück mal einen Augenblick allein in den dunklen Kammern der Nacht, in denen es so viel zu sehen gibt. Schon gar nicht im großen Raum mit den Fotografien aus dem „Nightlife“, wo Michaela Kurpenz als Führerin durch die Frankfurter Nacht so schöne Geschichten erzählen kann. „Ich sehe nur ganz viele Leute“, klagt eine Frau, eine Mitarbeiterin des Museums zuckt die Achseln. „An so Tagen kommen locker 500 Menschen“.

Die kann Simon Stiehl schon um 20.21 Uhr melden. Wo nach dem Aufgang über die Treppe mit rotem Teppich im ersten Stock des Schlosses der Rundgang durch die Kaiserlichen Appartements im Königsflügel beginnt, sitzt der junge Mann mit seinem dezenten Zählgerät und hat bis dahin schon 531 Mal die Taste gedrückt. Zum Glück hatte das letzte deutsche Kaiserpaar, Wilhelm II. und seine Gattin Auguste Viktoria, ja eine nette Wohnung mit viel Auslauf. Da verläuft sich die Menschenmenge zwar nicht, aber verteilt sich ganz angenehm auf dem Weg durch die Gemächer vom Bad bis zum Speisesaal mit der riesigen immer gedeckten Tafel im Mittelpunkt.

„Ich kann nur in Homburg schlafen“, soll der Wilhelm ja mal gesagt haben, der letzte Kaiser, der hier so gern hofierte. Heute drängen sie sich die Besucher im Schlafgemach und rätseln, ob die Kaiserin da auch dabei war im doch recht schmalen Himmelbett. Romantisches Kerzenlicht wie damals ist heute im Schloss nicht mehr erlaubt, aber die Besucher müssen keine Filzpantoffeln mehr tragen. Ob es am Ende sogar 1000 geworden sind? Zusammen mit dem Publikum in der Schlosskirche auf jeden Fall. Erst um Mitternacht kehrt langsam Ruhe ein bei Kaisers, in der Schlosskirche ist schon früher Schluss. Da boten die „HUSsiten, die Big Band der Humboldtschule, ein fulminantes Konzert in zwei Akten vor „ausverkauftem“ Haus bis hinauf auf die Empore.

Vom Schloss geht es ohne Licht durch den dunklen Schlosspark Richtung Kulturmeile. Wo einem im richtigen Moment der wunderbare Mezzosopran von Myriam Jabaly aus der Erlöserkirche entgegen schmeichelt, begleitet von feinsten Klavierklängen. Auch St. Marien hat die Kirchentore geöffnet, freier Blick durch den vergoldet wirkenden Kirchenraum bis zum Altar. Gewaltige Orgelklänge von der neuen Klais-Orgel erfüllen das mächtige Kirchenschiff, dringen bis hinaus in den Nachthimmel. Der Gang durch die Waisenhausstraße ist von Musik begleitet, erst das Gewusel auf der Louisenstraße lässt den Traum enden.

Wer das Kurhaus, etwa auf dem Weg zum „Flamenco Reborn“ in der Englischen Kirche, hat links liegen lassen, nun ja, der hat einen echten Grusel-Spaß versäumt beim komprimierten Hörspielkonzert mit dem Midnight Story Orchestra. Frei nach Bram Stokers „Dracula“, die Geschichte um den jungen Jonathan und seine Reise zum Grafen nach Transsylvanien, spannend gelesen, aufregend musikalisch inszeniert von einem halben Dutzend exzellenten Musikern. Ach ja, und wer den Flamenco verpasst hat, der sollte sich dringend „Flamenco Reborn, Energy Unleashed“ mit Charly Gitanos und seiner Crew aus Musikern und Tänzerinnen für eine andere Chance merken.

Es ist angerichtet! Im Schloss bestaunen die Gäste der Bad Homburger Kulturnacht die Räume des letzten deutschen Kaiserpaares Auguste Viktoria und Wilhelm II. Im Speisesaal fasziniert die prachtvolle Tafel.Foto: js

Privater geht es nicht. Im Schlafzimmer des Kaisers im Bad Homburger Schloss fragt man sich unwillkürlich, ob dieses Bett wohl für Zwei gedacht war.Foto: js

Bläsersolo: Die Big Band „HUSsiten“ der Humboldtschule war ein absolutes Highlight im Schloss. Mehr als 400 Menschen strömten zu dem Konzert in zwei Akten, am Ende war auch die Empore gefüllt, viele Besucher swingten im Stehen mit.Foto: js

Draußen weisen in Wind und Regen Kerzen den Weg in die Kirche St. Marien, drinnen leuchten die Kronleuchter und das Gold am Altar. Die Türen des Gotteshauses standen in der Kulturnacht stets offen, der wunderbare Klang der neuen Klais-Orgel war bis in die Waisenhausstraße hör- und spürbar.Foto: js

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