Das Ziel: Die Aufarbeitung von Missbrauch gesetzlich verankern

Kerstin Claus mit dem Direktor des Forschungskollegs Humanwissenschaften, Professor Dr. Dr. Matthias Lutz-Bachmann. Foto: nl

Bad Homburg (nl). Es war ein brenzliges und schwerwiegendes Thema, dem sich die „Bad Homburg Conference“ des Forschungskollegs Humanwissenschaften am Wochenende widmete: „Kindheit und Gewalt – Wie können wir eine Kultur des Wegsehens überwinden?“. Eine der engagierten Vortragenden der Konferenz war Kerstin Claus, ihres Zeichens die sogenannte Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin.

Ihr Gedanke und Ziel: die gesetzliche Verankerung der Aufarbeitung des Missbrauchs. Denn bislang, so Claus, sei der gesellschaftliche Diskurs dazu schmal. Dabei seien Fragen, wie eine solche Aufarbeitung geschehen könne und wie ein solcher Prozess, der ohnehin hochemotional beladen ist, möglichst klar und objektiv vor sich gehen kann, von großem Belang.

Sie erzählte sichtlich berührt von einer Begebenheit, die sie als Schülerin selbst erlebt hatte. Sie könne sich erinnern, wie hinter immer derselben Schülerin ihres Jahrgangs die Tür geschlossen wurde. Heute weiß sie, was hinter dieser verschlossenen Tür wohl passiert sein wird. Damals war es für Kerstin Claus wie für alle anderen Mitschüler eine Situation, die nicht zur kritischen Reflexion führte, sondern lediglich irritierte.

Sie sagte weiterhin im Laufe ihres Vortrags, dass in jeder deutschen Schule, jedem Verein und jeder kirchlichen Organisation Missbrauch in der Vergangenheit nicht die Ausnahme, sondern die Regel war. Es geschah. Deshalb setzt sie sich für einen Betroffenenrat in ihrem Amt ein. Damit die Geschädigten, vertreten durch eine Institution, gegenüber den sich schuldig gemachten Einrichtungen eine Stimme haben. Eine Stimme, die politisch sanktioniert und gestützt wird. Christine Freitag von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Frankfurt konstatierte im Anschluss an den Vortrag von Kerstin Claus: Gewalt geschehe auch unter Jugendlichen, nicht nur seitens Erwachsener, sondern auch untereinander und in gleichen Altersgruppen. Was werde dagegen unternommen?

Da entgegnete Kerstin Claus, dass Kinder und Jugendliche, die selbst Täter eines sexuellen Übergriffs sind, in den Strukturen der Jugendhilfe landen würden, was sie selbst aber nicht für richtig erachte. Vornehmliches Ziel sei es, darüber zu forschen, was es brauche, damit Kinder gar nicht erst zu sexuellen Straftätern werden. Eines ihrer vorrangigsten Ziele sei eine „kindgerechte Justiz“.

Im Plenum des Forschungskollegs kam ein Gedanke auf, wie es gelingen könnte, den Missstand ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Der Vorschlag: ein Mal im Jahr eine Schweigeminute der Stille in jedem Klassenraum zu ritualisieren. Denn rein statistisch gesehen befindet sich in jeder Klasse unter den Schülern mindestens ein Kind, das von sexuellem Missbrauch betroffen ist.



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