Bei Frankfurter Kranz von alten Zeiten schwärmen

Die Kuchenteller waren klein, der Hunger damals groß: Beim Kaffetrinken vor 100 Jahren gab es, wie Anne Wildemann (l.) und Lena May in der Heimatstube erzählen, nur zu besonderen Anlässen die traditionsreiche Buttercremetorte „Frankfurter Kranz“. Foto: Bergner

Bad Homburg (a.ber). Als Anne Wildemann vom Verein Heimatstube in Ober-Erlenbach den Kaffee in die drei großen verzierten Porzellankannen gießt und die selbstgebackenen Kuchen aufschneidet, strömen immer mehr Besucher in das Ober-Erlenbacher Heimatmuseum. „Kaffeetrinken wie vor 100 Jahren“, das wollen sie sich nicht entgehen lassen. Und so sitzen schließlich fast 30 Kaffeedurstige mitten zwischen den Ausstellungsstücken, die Anne Wildemann und Lena May aus ihrem Ortsteil zusammengetragen haben. „Erinnerungsstücke“ heißt die sehenswerte Ausstellung, die der Heimatverein derzeit präsentiert.

„Unter den geliehenen Lieblingsstücken unserer Ober-Erlenbacher sind auch drei alte Service für die Kaffeetafel, die zum Teil noch von Urgroßeltern stammen“, sagt Anne Wildemann und schichtet vorsichtig Ribbelkuchen, Zuckerkuchen mit Mandeln, Schoko-Blechkuchen und einen Hefezopf nach altem Rezept – „mit vier Eigelb auf einem Pfund Mehl!“ – auf einen mehr als 100 Jahre alten ovalen Kuchenteller.

Die Gäste der kostenlosen Kaffeetafel sind begeistert: Mit bestickten alten Leinen-Tischdecken und ebenso bestickten Stoffservietten sind die Tische gedeckt. Eines der Service ist vom Ende des 19. Jahrhunderts und mit silbernen Ranken verziert, ein anderes ist einem Ober-Erlenbacher Paar 1911 zur Verlobung geschenkt worden. „Und das dritte Kaffeeservice habe ich von meiner alten Lehrerin vererbt bekommen, deren Mutter es 1885 zur Hochzeit bekam“, schwärmt die Initiatorin der Veranstaltung und der Ausstellung.

Und zum zweiten Mal in ihrem Leben hat sich Anne Wildemann daran gewagt, einen „Frankfurter Kranz“ selbst zu backen. Der traditionsreiche Kuchen, eine ringförmige Buttercremetorte, gilt als 1735 erstmals kreierte Reminiszenz Frankfurts als Krönungsstadt der deutschen Kaiser – „zur Kaiserkrönung kam in vielen Haushalten damals Frankfurter Kranz auf den Tisch, natürlich in der Hungerzeit um 1919 nicht mit reiner Buttercreme, sondern mit Butter und Vanillepudding“.

Die runde Form der Torte und die Hülle aus Krokant sollten eine goldene Krone darstellen, die kandierten Belegkirschen an Rubine erinnern. Wie dem auch sei, die Torte schmeckt an diesem Nachmittag in der Heimatstube herrlich buttrig. Nur die Kuchenteller der drei alten Kaffeeservice sind dafür etwas klein. Aber das, so überlegen die Gäste, könne auch daran liegen, dass man vor 100 Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg und davor, nicht solche riesigen Tortenstücke gegessen habe wie heute oft. Also schneiden Lena May und Anne Wildemann den Frankfurter Kranz etwas kleiner auf – macht auch nichts, denn laut Literatur stecken in einem Stück Buttercremetorte 1339 Kilojoule auf 100 Gramm.

Gespült wird mit der Hand

Doch jeder der Gäste möchte ein Stück probieren, und je länger der Kaffee-Nachmittag, desto leerer werden die wunderschönen Vorlegeteller. Man unterhält sich über eigene Erfahrungen mit dem Backen, über Stickereien und andere Handarbeiten von früher, und angesichts der ausgestellten Erinnerungsstücke kommt der eine oder andere ins Schwärmen über frühere Zeiten.

Doch auch die Mühsal der Hausarbeit um 1900 und während der Kriege kommt zur Sprache. „Ja“, sagt Anne Wildemann, „nachher spülen wir auch alle Teller und Tassen mit der Hand, damit die schönen Verzierungen nicht kaputt gehen“ – Spülmaschine gab es eben damals noch nicht.



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