Selbstbestimmmt und in Frieden leben

Hangama Mangall geht jeden Tag mit einem guten Gefühl zur Arbeit: „Ich bin mit meinem Herzen dabei.“ Foto: fch

Friedrichsdorf (fch). Hangama Mangall hat Krieg und Terrorismus erlebt. Inzwischen hat sie sich mit ihrer Familie den Traum von einem Leben in Freiheit und Frieden erfüllen können. In Friedrichsdorf. Hier fühlt sie sich wohl, ist integriert, und umgekehrt ist die junge Frau auch eine Bereicherung für die Gesellschaft, in der sie jetzt lebt.

Anfeindungen und Vertrauensverluste, brutale Terroristen und selbsternannte Gotteskrieger, wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit, Angst und Schrecken, Korruption sowie Opiumanbau halten Afghanistan seit zwei Jahrzehnten in einem Bürgerkrieg gefangen. Stockende Friedensverhandlungen, wirtschaftliche Not und jetzt die Corona-Pandemie. Obwohl eine sichere, stabile und demokratische Zukunft Afghanistans nicht in Sicht war und ist, dachte Hangama Mangall nie daran, ihre Heimat zu verlassen.

Aufgewachsen ist sie mit zwei jüngeren Schwestern in Kabul. Nach einem Einser-Abitur heiratet sie einen Juristen. Ein Jahr später, 1995 wird Tochter Bareen geboren. Vor dem Krieg flüchtet das Paar nach Pakistan. In Peschawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber, findet sie bei der globalen Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) eine Stelle als Lehrerin in einer Flüchtlingsschule. Nach sechs Jahren kehrt das Ehepaar nach Kabul zurück. Im gleichen Jahr wird Sohn Hasib geboren, Tochter Wissa macht 2011 das Glück der Familie perfekt. „Die Taliban waren bei unserer Rückkehr weg. Wir hatten erst keine Arbeit. Ich fand schließlich eine Beschäftigung bei einem Kreditinstitut und mein Mann, der fließend Französisch spricht, eine Stelle als Dolmetscher bei der NATO.“ Trotz allen Einschränkungen und Schwierigkeiten im Alltag hoffte das Paar darauf, eine Zukunft zu haben. „Wir hatten beide eine gute Arbeit, haben uns ein Haus gebaut. Wir wollten in unserer Heimat bleiben.“

Doch die Ruhe war trügerisch. Der Ehemann und Vater, ist 2009 zur falschen Zeit, am falschen Ort. Er wird bei einem Selbstmordattentat schwer verletzt. Er überlebt, trägt aber Brandwunden im Gesicht, an Händen und Armen davon. Und plötzlich beginnt der Terror neu, von unerwarteter Seite. Wegen ihrer Arbeit „bei Feinden“ wird das Paar immer massiver von Verwandten bedroht. „Täglich wurde die Gefahr für unsere Familie größer.“

Ihr in Usingen lebender Schwager lädt Hangama Mangall mit ihrer jüngsten Tochter zu sich ein. Kaum in Deutschland angekommen, überschlagen sich zu Hause die Ereignisse. Ihr Stiefbruder und Verwandte ihres Mannes, die sich den Taliban angeschlossen haben, versuchen ihren Mann zu entführen. Auch wenn diese Entführung scheiterte, die akute Bedrohung für Leib und Leben blieb.

Einen Monat auf der Flucht

„Mein Mann rief uns an und sagte, dass wir nicht zurückkommen sollen“, erinnert sich die 44-Jährige. Der Jurist entschließt sich mit seinen beiden älteren Kindern zur Flucht. Der Vater ist mit seinen Kindern einen Monat unterwegs. Die Familie stellt in Gießen einen Asylantrag, bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate in Friedrichsdorf. Dort wohnen sie eineinhalb Jahre in der Sammelunterkunft in der Max-Planck-Straße. „Wir hatten keine Schwierigkeiten, Deutsch zu lernen, weil wir alle mehrere Sprachen sprechen. Deutsch gelernt haben wir auf eigene Kosten an der VHS. Wir durften keinen Integrations- und Sprachkurs besuchen, weil Afghanistan 2014 nicht zu den anerkannten Flüchtlingsländern gehörte.“

Die Familie kämpft. Sie wollen, dass sie und ihre Kinder in Frieden, Freiheit und selbst bestimmt leben können. Im August 2016 haben sie einen Termin bei der heutigen Einwanderungsbehörde. Ihr Erstantrag wird abgelehnt. Die Familie soll einen Monat später zurück nach Afghanistan. Das Paar reicht erfolgreich Klage gegen die Abschiebung ein.

Hangama Mangall macht die B1-Prüfung in Deutsch, ein Praktikum bei einer Firma. Beim Arbeitskreis Asyl Friedrichsdorf lernt sie Regine Trenkle-Freund kennen. Sie dolmetscht für sie, geht zu den monatlichen Treffen. Dort lernt die Muslima andere Frauen kennen, die Kontakt zum Alten- und Pflegeheim Kroh haben. „Am 10. September 2016 habe ich dort einen Schnuppertag gemacht. Ich hatte einen Schock, weil bei uns die Senioren in der Familie gepflegt werden. Ich habe 20 Jahre lang meine Schwiegereltern gepflegt.“

Im April 2017 bewirbt sie sich beim Main-Institut in Friedberg für eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Seit 2017 wird sie dort im Blockunterricht ausgebildet. „Ich habe bis zum Examen Anfang November 2020 zirka 2107 Theorie- und 2500 Praxisstunden absolviert.“ Nebenbei nimmt sie Fahrstunden. „Die Theorie habe ich bestanden, jetzt steht noch die praktische Prüfung an.

Hangama Mangall geht jeden Tag gern zu ihrer Arbeit. „Mein Beruf gefällt mir sehr gut, ich komme mit meiner Chefin, den Kolleginnen und vielen Pflegebedürftigen gut aus.“ Obwohl es schwer ist, in einem fremden Land mit fremder Sprache und Kultur zu leben, ist die Familie inzwischen in Deutschland angekommen. Die große Tochter macht eine Ausbildung im Informatikbereich, der Sohn in 2021 sein Abitur und die Jüngste besucht die Grundschule in Köppern. Ihr Mann ist auf Arbeitssuche. Hangama Mangall und ihre Familie wollen die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Sie will sich nach ihrem Examen weiterbilden. Sie vermisst ihre Mutter und eine Schwester, die in Afghanistan leben, sehr. Ein Besuch in der Heimat ist aber zu gefährlich.

!Dem seit fast zwei Jahrzehnten andauernden Krieg in Afghanistan fielen insgesamt 70.000 Menschen zum Opfer, über zwei Millionen Flüchtlinge sind vor den Gefahren geflohen, und noch immer verlassen viele Menschen das Land. Fast täglich kommt es zu neuen Anschlägen mit Toten und Verletzten, die bewaffneten Auseinandersetzungen halten an. Die Position der politischen Führung im Land hingegen ist schwach, die Regierung unter Präsident Aschraf Ghani zerstritten, wirtschaftliche und soziale Probleme machen dem sich jahrelang im Kriegszustand befindlichen Land zu schaffen.



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