Das traurige Schicksal der Elise Reis

Elise Reis als kleines Mädchen im Kreise der Familie.Fotos: Stadtarchiv Friedrichsdorf

Friedrichsdorf (fch). Für die Mehrheit der Frauen war der Weg zu Lebzeiten von Elise Susanne Reis (1861 – 1920) klar vorgezeichnet: Heiraten, Kinder, Haushalt. Wer aus welchen Gründen auch immer aus dem Raster fiel, hatte es schwer. Am 14. Februar 2021 jährte sich der Geburtstag der Tochter des Telefonerfinders zum 160. Mal.

Elise war das erste von zwei Kindern von Philipp Reis (1834-1874) und seiner Frau Margarethe (1836-1895). Sie teilte das Schicksal vieler unverheirateter Frauen ihrer Generation. Um die Jahrhundertwende war es für eine Frau aus bürgerlichen Kreisen schwer, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und eine Stelle in der Gesellschaft zu finden. Und dies, obwohl Elise eine gute Schulausbildung hatte. Durch den frühen Tod, des an Lungentuberkulose leidenden Vaters, wurden Elise mit 13 Jahren und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Carl Halbwaise. Da die Witwe keine Pension erhielt, vermietete sie die unteren Räume im kleinen Fachwerkhaus. Der Vater hatte in seinem Testament verfügt, dass seine Kinder eine gute Schulausbildung erhalten sollten. Vermutet wird, dass Elise das private Mädchenpensionat von Pfarrer Bagge besuchte, wo sie Klavierspielen lernte und Zeichenunterricht bekam. Von ihrem Talent legt ein 30 Seiten starkes Skizzenbuch mit Blumen- und Landschaftsmotiven Beleg ab, das dem städtischen Museum aus Privatbesitz übereignet wurde. Elise pflegte ihre Mutter bis zu deren Tod. Da war sie 34 Jahre alt und noch immer unverheiratet, weil sich ihr Verlobter anders entschieden hatte. Sie besaß keine Berufsausbildung, aber ein kleines Barvermögen in Höhe von rund 16 000 Mark.

Bürgermeister Garnier beantragte beim Reichspostamt in Frankfurt eine kleine Rente für die Tochter des Telefonerfinders. Gewährt wurden ihr schließlich 400 Mark jährlich. Nachdem ihr Bruder, der inzwischen Buchhalter bei der Zwiebackfabrik Stemler geworden war, geheiratet hatte, zog Elise aus ihrem Geburtshaus aus. Sie bezog eine Dachwohnung in der Hauptstraße 101, im Haus von Adolph Louis Achard. Ihre kleine Rente besserte sie mit Klavierstunden auf und engagierte sich in der französisch-reformierten Kirche in der Sonntagsschule und im französisch sprechenden Damenkränzchen. Später trat sie der Methodistischen Kirche bei, wo sie den Frauen-Missions-Verein leitete.

Während des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Elise dramatisch. Sie konnte ihren Haushalt nicht mehr allein führen und auch keinen Klavierunterricht mehr geben. Unterernährung war die Folge. Da half auch die einmalige Zahlung von 300 Mark der Post nicht weiter. Den Vorschlag, ihre Wertpapiere in eine Versicherungsgesellschaft zu zahlen, lehnte Elise ab. Das Geld sei für ihre Nichten bestimmt, da diese seit 1917 Halbwaisen waren.

Elise setzte ihrem traurigen Leben in bescheidenen Verhältnissen mit 59 Jahren durch Selbstmord ein Ende. Am 14. Mai 1920, fand man sie gegen 13 Uhr erhängt in ihrer Wohnung auf. Eine schwarze Marmortafel mit der Inschrift „Hier ruht Elise Reis 1861 – 1920“ erhielt sie erst 16 Jahre nach ihrer Beerdigung.

Ihre verwitwete Schwägerin Margarethe Reis hatte Elises Elternhaus verkauft und den gesamten Erlös während der Inflation verloren. Elises wenige Habseligkeiten wurden zusammen mit einigen Möbeln aus ihrem Elternhaus versteigert. Hierunter befanden sich auch Sofa und Stühle, die vor rund 15 Jahren wieder in das Philipp Reis-Haus kamen und dort ausgestellt sind.

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