Glashüttener „Männertour“: Auf Saale-Radweg unterwegs

Glashütten
– „Da fehlt doch noch einer“, geht es den sechs Glashüttener Radfahrern durch den Kopf, als sie sich im Morgengrauen um 6.15 Uhr in der Taunusgemeinde treffen. Wer ihnen noch fehlt, ist Jochen Fuchs. Jochen Fuchs, der vor 32 Jahren die Tradition der „Männertour“ ins Leben rief und sie als umsichtiger und kenntnisreicher, stressresistenter und allseits respektierter „Chef“ all die Jahre leitete und auf tausenden Kilometer Radwegen im In- und Ausland anführte. Doch dieses Mal hat es nun einmal nicht „gepasst“.

Und so mussten die Teilnehmer der Männertour erstmals selbst ein Programm planen und die notwendigen logistischen Vorbereitungen organisieren. Ihre Entscheidung: Der Saale-Radweg von Jena bis nach Magdeburg. So fuhren sie denn im kühlen Morgenwind nach Königstein, um mit der Bahn nach Jena, der nach Erfurt zweitgrößten Stadt Thüringens, zu fahren, die in lateinischen Texten „Athen an der Saale“ genannt wird.

Wenn auch das Wetter an diesem ersten Bahn-Reisetag die Radfreunde in Jena mit Regen empfing, eine engagierte Stadtführung ließ erst gar keine trübe Stimmung aufkommen. Die Besucher aus dem Taunus lernten, dass Jena mehr ist als die Erinnerung an die Schlachten bei Jena und Auerstedt, die 1806 mit der vernichtenden Niederlage des preußischen Heeres gegen die Truppen Napoleons endeten. Jena ist heute in der Selbstbeschreibung Lichtstadt, Stadt der Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft und Technologie. Sie besinnt sich ihrer baugeschichtlichen Tradition und erinnert mit Stolz daran, dass Jena um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert ein Zentrum der klassischen Literatur und Schauplatz der deutschen klassischen Philosophie und Goethe Oberaufseher der 1558 gegründeten Universität war.

Nicht ohne Grund gilt der Saale-Radweg als einer der reizvollsten im deutschen Radwegenetz. Saaleabwärts radeln die Glashüttener durch eine anmutige Landschaft mit gegen den Fluss vorspringenden Muschelkalkbergen mit dem Charakter von Gebirgslandschaften. Doch dann weitet sich das Tal und hoch oben über der Saale erreichen die Radler nach einer 15 Prozent steilen Auffahrt am Ortsrand von Dornburg drei Schlösser, die zugleich drei Epochen der Kunst, Gotik, Renaissance und Rokoko repräsentieren. Die Ottonischen Kaiser ließen auf diesem Hochflächensporn eine Pfalz anlegen und drei Reichstage bezeugen die militärische Bedeutung der Anlage aus dem 10. Jahrhundert.

Doch hier oben wurde nicht nur Reichspolitik gemacht und geschrieben. Im mittleren Rokoko-Schloss, Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut, lebte und wirkte Johann Wolfgang von Goethe mit Unterbrechungen 20 Jahre lang. Hier arbeitete er an Werken wie „Iphigenie“, „Egmont“ und „Wilhelm Meister“. Im südlichen Schloss, 1539 in Spätrenaissanceform erbaut, ist in drei Goethe-Gedenkzimmern die Arbeit an seiner „Metamorphose der Pflanzen“ und der Neufassung der „Wanderjahre“ nachvollziehbar. Zum Reiz der Baudenkmäler kommen noch die gepflegten Gartenanlagen und eine weit in die Landschaft reichende Fernsicht.

Wenn es an der Saale Richtung Mündung auch tendenziell abwärts geht – wo das Tal eng und der Radweg oder die kaum befahrenen Landstraßen oberhalb des Flusses geführt werden, gilt es auch, den einen oder anderen Anstieg durch dichte Laubwälder zu bewältigen. 68 von den Saliern erbaute Burgen reihen sich wie kulturhistorische Perlen entlang der Saale aneinander, so auf dem Weg nach Naumburg die eindrucksvolle Doppelanlage Burg Saaleck und Rudelsburg. Am Wahrzeichen des Soleheilbades Kösen, einem Gradierwerk, vorbei, ändert sich die Landschaft zum Weinbaugebiet Saale-Unstrut. Terrassenförmige Weingärten zieren die Hänge auf dem Weg nach Naumburg, dem Tagesziel.

Beeindruckend schon vom Radweg aus der Blick auf den mächtigen Naumburger Dom, Wahrzeichen der mittelalterlichen Altstadt, auf einer Anhöhe über den Flüssen Saale und Unstrut. Das von König Konrad II gewährte Handelsprivileg gilt als die älteste urkundliche Stadtgründung in Deutschland. Im Dom bewunderten die Glashüttener die weltberühmte Stifterfigur der Uta von Naumburg, eines der bedeutendsten plastischen Bildwerke der deutschen Gotik.

Nach Naumburg folgt die Wegstrecke gut ausgebauten Radwegen und verkehrsarmen Landstraßen. Beeinträchtigt wird das Fahrvergnügen jedoch durch gelegentliche Abschnitte mit den berüchtigten Plattenwegen und Ortsdurchfahrten auf Rad und Radler durchrüttelndem Kopfsteinpflaster.

Die Fahrt durch eine landschaftlich reizvolle Landschaft führte zunächst über die historische Innenstadt von Weißenfels, dann an Leuna und der Industrielandschaft vorbei nach Merseburg. Dort besichtigte die Gruppe nicht das Deutsche Chemiemuseum, sondern den Merseburger Dom, der aufgrund seiner Ausstattung zu den herausragenden Baudenkmälern an der „Straße der Romanik“ zählt. Hier wurden auch die so genannten „Merseburger Zaubersprüche“ entdeckt, ein einzig erhaltenes Zeugnis germanischen Heidentums in althochdeutscher Sprache.

An St. Petrus, der ersten Radfahrerkirche am Saale Radweg im schon zu Halle gehörenden Stadtteil Wörmlitz vorbei, auf durchgehendem Radweg neben zunehmendem Großstadtverkehr geradewegs ins Zentrum der 230.000-Einwohner-Stadt, deren historische Innenstadt in der DDR-Zeit mehr gelitten hat als im Zweiten Weltkrieg. Doch jetzt gewinnt Halle nach und nach den alten Glanz zurück. Symbol für ein die Jahrhunderte überdauerndes städtisch-bürgerliches Bewusstsein für Freiheit und Toleranz ist der Rote Turm am Markt. Es gibt nicht nur ein Beatles-Museum, sondern zur Erinnerung an einen berühmten Sohn der Stadt auch ein Händelhaus. An eine wirtschaftliche Boomzeit im 11.und 12. Jahrhundert erinnert das Salinen- und an die vorgeschichtliche Astronomie die Himmelsscheibe von Nebra im didaktisch hervorragend gestalteten Landesmuseum für Vorgeschichte.

Hinter Halle führt der zu gemütlicher Fahrt anregende Radweg durch den Naturpark „Unteres Saaletal“ mit den so genannten „Brachwitzer Alpen“, einem Refugium für seltene Tiere und Pflanzen. An einem Fahrradmuseum und einer in ihrer Bauart in Deutschland einzigartigen Kapelle des Templer-Ordens vorbei erinnert Wettin mit seiner Burg daran, dass hier der Ursprung des sächsischen Fürsten- und Königsgeschlechts der „Wettiner“ ist.

Mit einem idyllischen Ansichtskarten-Blick auf das Schloss grüßt schon von weitem Bernburg, eine der schönsten Städte an der Saale. Das ehemalige Residenzschloss der Fürsten und späteren Herzöge von Anhalt-Bernburg erhebt sich auf einem hohen Sandsteinfelsen und ist im 16. Jahrhundert eines der eindrucksvollsten Renaissanceschlösser Mitteldeutschlands gewesen. Fast die gesamte, beeindruckende mittelalterliche Mauer um Alt- und Neustadt ist erhalten geblieben. Am Stadtrand sind die Reste der Gletschervorstöße der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren in einem „Gletschergarten“ mit riesigen Gesteinsplatten mit eiszeitlichen Schrammen zu besichtigen.

Nun, auf der „Königsetappe“ von Bernburg nach Magdeburg, begleiten die Radler aus dem Taunus die Saale auf ihren letzten Kilometern, bevor sie bei Barby in die Elbe mündet. Der Ortsname ist nordisch-germanischen Ursprungs. Hier legte 1767 die „Herrnhuter Brüdergemeinde“ einen planmäßig gestalteten Ort an, der noch heute ein einzigartiges Flächendenkmal darstellt. Das Wirken der Brüdergemeinde machte mit einem theologischen Seminar und der „academia barbyensis“ aus Barby einen geistigen Mittelpunkt Europas, an dem sich 1776 auch J.W.Goethe aufhielt.

So frohgemut sich die Männertour-Radler auch auf die letzte Etappe nach Magdeburg, nun auf dem Elbe-Radweg, machten, je näher die Landeshauptstadt kam, desto schlechter erwies sich der Zustand des Radweges. Eigentlich eine Zumutung und keine Einladung für einen intensiv beworbenen „sanften Tourismus“.

Die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt zehrt noch heute von ihrer Bedeutung als Wiege der deutschen Nation und der europäischen Geschichte. Ein jährliches Kaiser-Otto-Fest im Domviertel bezieht sich nicht nur auf den ersten römisch-deutschen Kaiser, Otto den Großen, sondern auch auf den Erfinder und Diplomaten Otto von Guericke, dem Begründer der Vakuumtechnik (den mit den Halbkugeln).

Bildete Magdeburg im Mittelalter einst, einmalig in Europa, eine Silhouette mit sieben Doppelturmkirchen, ging dieses Bild durch die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg verloren. Von den sieben Kirchen sind nur noch vier erhalten. Wahrzeichen der Stadt ist heute der Magdeburger Dom, der erste gotische Bau einer Kathedrale auf deutschem Boden. Ihn, wie auch einige andere historische und zeitgenössische Sehenswürdigkeiten, darunter die „Grüne Zitadelle“, eines der letzten und größten Baukunstwerke von Friedensreich Hundertwasser, erkundeten die Glashüttener mit dem praktischsten Verkehrsmittel, ihren Tourenrädern. Auf der mehrstündigen Bahnfahrt zurück in den Taunus ließen die Radfahrer aus Glashütten noch einmal die 33. Männertour, die sie in vier Tagen im Fahrradsattel bei herrlichem Sommerwetter über 290 km durch einen bisher unbekannten Teil Deutschlands geführt hatte, Revue passieren. Jetzt war ihnen klar geworden, warum der Saale-Radweg als einer der interessantesten Flussradwege Deutschlands gilt. Übrigens – bis auf einen durch einen Unfall an der Bahnstrecke zwischen Friedberg und Frankfurt notwendigen Halt und eine in seiner Folge notwendigen Umleitung verliefen Radler- und Radtransport mit der Bahn reibungslos.

Die Glashüttener Radsport-Freunde waren mal wieder unterwegs.



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