„Im historischen Bereich gibt es nie ein Ende“: Die unendliche Geschichte des Archivs

Glashütten (hhf) – Es war einmal eine Zeit, da schlummerten alte Akten in den Stadtteilen Glashüttens auf dem Dachboden der Rathäuser oder im Kohlenkeller, was um so praktischer war, da man sie durchaus auch zum Heizen oder zum Stopfen von Löchern im Dach verwendete.

Erst zur Zeit der Gemeindereform 1972 wurden sie aus dem Dornröschenschlaf geweckt und landeten früher oder später im Bürgerhaus – wieder im Keller.

Die Ladung aus Oberems war zuvor schon aus dem Rathaus-Fenster in einen Papiercontainer geworfen worden, bevor Herr Niegemann den Abtransport im letzten Moment verhindern konnte, in Schloßborn litten die Akten unter dem Umzug ins neue Gemeindezentrum am Caromber Platz, wo eine Theke im selben Raum und Ausrüstungsteile der Feuerwehr für reichlich Feuchtigkeit sorgten. In Glashütten war man sich dagegen sicher: „Es gibt überhaupt keine alten Akten“ – Jahre später wurden die verschollenen Archivalien auf dem hintersten Winkel des Dachbodens der alten Schule entdeckt, zugänglich nur über Leitern, und noch vor deren Abriss gerettet.

Rund 30 Jahre schlummerten die historischen Dokumente weiter im neuen Domizil, bis noch unter Bürgermeister Diehl eine Halbtagskraft begann, wenigstens einige davon zu ordnen.

Erst ab November 2011 begann eine Gruppe von Bürgern aus den verschiedenen Ortsteilen damit, das Archiv fachkundig auf Vordermann zu bringen, zunächst nur aus dem Antrieb heraus, Unterlagen für die Geschichte der Mühlen zu finden, die mittlerweile überörtlich durch den Hochtaunuskreis veröffentlicht worden sind.

Im Anschluss verabredeten sich die fünf Aktiven, das Archiv komplett aufzuarbeiten, eine Arbeit, für die sie zunächst zwei bis drei Jahre veranschlagten. „Inzwischen wissen wir: Das schaffen wir im ganzen Leben nicht“, bewies Ingrid Berg, wie schnell man aus der Geschichte lernen kann. Dazu kommen ständig neue alte Akten: „Im historischen Bereich gibt es nie ein Ende!“

„Sammeln, ordnen und zusammenfügen“ sind nach Erkenntnis der Archivare ihre Hauptaufgaben, davor liegt aber oft erst einmal sichten und säubern – und ab und zu die Entsorgung völlig unlesbarer Unterlagen, mitunter auch die Weiterleitung unpassender Funde an andere Archive, in denen sie eher gesucht (und gefunden) werden. Liegt also zunächst einmal „viel echte Arbeit“ an, so halten natürlich immer wieder interessante Entdeckungen die Heimatkundler von der Archivarbeit ab, denn „Auswertung“ ist schließlich ihr oberstes Ziel.

Etliche interessante Vorträge und Ausstellungen haben bereits gezeigt, wie gut es mit der Auswertung funktioniert, doch nun war es an der Zeit, dass die Mitbürger einmal die neue Ordnung im Archiv sichten konnten – selbstverständlich flankiert von einem Vortrag über Auswertung und einer Ausstellung im Bürgerhaus.

„Ich bin nicht offiziell, sondern nur ehrenamtlich“ erklärte Ingrid Berg dem Publikum, das am Sonntag schon zum zweiten Mal den Saal im Bürgerhaus gut füllte. Offiziell hatte Bürgermeister Thomas Fischer das Geschichtswochenende tags zuvor eröffnet, was als mit Fug und Recht als einmaliger Akt in die Heimatgeschichte eingehen kann – der Fachvortrag hingegen bedurfte dringend der Wiederholung, da manch Interessierter zum ersten Termin verhindert war.

Wenig verwunderlich: Das älteste erhaltene Dokument stammt aus Schloßborn, das ja auch den ältesten Ortsteil darstellt, es handelt sich um ein „Wiesenbuch“ aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg. Zahlreiche Skizzen und Pläne zeigen „Glass Hütten“ als ein typisches Straßendörfchen an der „Land Straß“ vom Amt Königstein nach Limburg oder auch die Linienführung der von Landrat Marx um 1908 geplanten Eisenbahnverbindung nebst Neubaugebieten (damals hatte Glashütten 218 Einwohner). Ein riesiges Dreieck vom Kastell Maisel bis zur ehemaligen Müllkippe reicht bis „Auf der Platt“ im heutigen Neubaugebiet von Glashütten, das Waldareal gaben einst die Schloßborner der armen Nachbargemeinde zur Rodung, um Felder anlegen zu können. Nicht ungern übrigens, denn es handelte sich um Staatsforst, der den Schloßbornern nichts einbrachte außer der Verpflichtung, die Wege instandzuhalten.

Nahe dem Forsthaus von Schloßborn konnte das Archiv erstmalig konkret Hilfe leisten: Hier hatte ein Waldfahrzeug die Öffnung zu einem tiefen Loch freigelegt, das sich später als „Spundkammer“ der Wasserleitung von 1829 erwies. Aus den Unterlagen ging auch hervor, dass deren Bau leider deutlich teurer geworden war als zunächst veranschlagt. Oberems dagegen büßte wohl einiges an Gewerbesteuer ein, als die Firma Winkel den Quarzitabbau zur Herstellung hochwertiger Mühlsteine am „Hohen Stein“ Ende der 1920er-Jahre einstellte. Kleine Steinbruch-Gruben sind heute noch zu finden, von der großen Fabrikationshalle aus Holz ist nur die (genehmigte) Bauzeichnung erhalten.

Erhalten ist auch ein „Strafbuch“ aus der Glashüttener Schule – notiert sind „Handstreiche“ für eine 13-Jährige, die „über alte Leute schimpft“ ebenso wie Geldbußen an die Eltern – und natürlich einige Klassenfotos, die man mit zwei Lehrern für Klasse eins bis vier (und gelegentlich mehr) besser als „Schulfotos“ bezeichnet.

Hier kam dann auch der Aufruf an die Einwohner zum Tragen: „Davon gibt es bestimmt noch mehr“, für eine Ergänzung ihrer Bestände wären die ehrenamtlichen Archivare sehr dankbar. Und noch etwas können sie gebrauchen: Spender, die Erhaltungsmaßnahmen an zerbröselnden Akten finanzieren und damit konkret Heimatgeschichte sichern. Das Geld bleibt, nebenbei bemerkt, in der Region, denn die restauratorischen Arbeiten führt überwiegend die Buchbinderei Halbach in Königstein durch.

Von links nach rechts: Die Ehren-Archivare Jürgen Geiß (Oberems), Gerhard Niksch (Schloßborn), Ingrid Berg (Glashütten), Alwin Klomann und Hermann Hofmann (beide Schloßborn) stehen nicht von Ungefähr unter dem Schild „öffentliche Bekanntmachung“, denn sie ordnen die alten Akten nicht nur in die Regale im Hintergrund ein, sondern veröffentlichen auch deren Inhalte.

Foto: Friedel



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