Talkin‘ without Barbara: Grippe mit Happy-End

Glashütten (kw) – Wer gelegentlich in die Oper geht, kennt das: Bei geschlossenem Vorhang tritt (meist) ein Herr im schwarzen Anzug mit Mikrophon auf die Bühne und erklärt, dass die Sängerin oder der Sänger soundso leider erkrankt sei und statt ihrer oder seiner jemand anderes dankenswerterweise die Partie übernimmt. Diese Situation des Einspringens wird dann nicht selten zu einem unerwarteten Glücksfall für Künstler und Publikum, wenn nicht gar für die Einspringer zum Sprungbrett hinein in sensationelle Karrieren.

Das unter dem Titel „Talkin’ about Barbara” für Anfang März im Bürgerhaus Glashütten angekündigte Konzert des dortigen Kulturkreises stand unter ähnlichen Vorzeichen: Das Ensemble „Il Giratempo“ hatte den Abend unter dem Untertitel „17th Century Jazz“ mit dem Countertenor Philipp Mathmann und dem Jazz-Saxophonisten Magnus Mehl geplant, musste aber wegen Erkrankung des Sängers dieses Programm absagen. Fieberhaft wurde nach einer Lösung gesucht, die dank guter Vernetzung innerhalb weniger Stunden (!) gefunden wurde: Max Volbers, Gründungsmitglied von „Il Giratempo“ und einer der profiliertesten Blockflötisten der jüngeren Generation, bildet nämlich mit Elisabeth Wirth (Blockflöten) und Andreas Gilger (Cembalo) zusammen ein weiteres Ensemble, das sich „Asterion“ nennt, und dieses lud er zum Einspringen ein. So kam es, dass die beiden Formationen in Glashütten zum ersten Mal gemeinsam auftraten und venezianische Musik des 17. Jahrhunderts um die Komponistin Barbara Strozzi präsentierten – zwar ohne die Musik der Namenspatrona des Konzertes selbst, die praktisch ausschließlich Opernarien komponierte und daher ohne Gesangssolisten kaum sinnvoll aufzuführen ist, und auch ohne Jazz, dafür aber mit phänomenaler Virtuosität und beispielhaftem Konzertieren der beiden Blockflöten-Solisten unter vollendeter Darbietung aller barocken Raffinesse und Verzierungskunst.

Max Volbers und Elisabeth Wirth sind beide Stipendiaten des Deutschen Musikwettbewerbs 2017 und wurden mit „Asterion“ in die Bundesauswahl Konzerte junger Künstler (BAKJK) aufgenommen – eine nach dem Höreindruck dieses Konzertes hochverdiente Auszeichnung.

Die fünf Musiker – zu den drei bereits genannten gesellten sich mit Vanessa Heinisch (Theorbe und Chitarrone) und Dávid Budai (Viola da Gamba) noch zwei „Giratemponisten“ – begannen mit einer fulminanten „Sonata“ von Giovanni Fontana (1571 bis 1630) und einer ebensolchen über das damals bekannte Volkslied „La Monica“ von Biagio Marini (1594 bis 1663). Man merkte rasch, die Musiker hatten „Spaß im Glashaus“, als das sich das Glashüttener Bürgerhaus mit seinem Blick über die Taunushügel im Hintergrund an diesem frühen Abend zeigte. Im Anschluss hatte Andreas Gilger Gelegenheit, die hohe Kunst der barocken Liedbearbeitung in der Canzona alla Francese „Suzanne un jour“ von Andrea Gabrieli (1533 bis 1588) auf seinem wunderschön anzusehenden und anzuhörenden Cembalo zu zelebrieren. Der Wohlklang einer Theorbe, also einer Barocklaute mit zweitem Wirbelkasten für die nicht zu greifenden, sondern tonweise gestimmten Basssaiten, kam in der „Sonata sopra ‚La Prosperina’“ von Giovanni Kapsberger (1580 bis 1651) zur Geltung. Vanessa Heinisch spielte diese sehr innige, feine Musik hoch konzentriert und gleichzeitig gelassen – das Publikum hielt den Atem an. Auch bei den folgenden, wieder etwas extrovertierteren Stücken über zwei Palestrina-Madrigale, „Pulchra es amica mea“ und „Io son ferita ahi lasso“ lauschte es gebannt und hielt fast ohne Huster bis zum Schluss des Konzertes durch, obwohl sicher auch in Glashütten die Grippewelle ihre Opfer gefunden haben dürfte.

Möglicherweise hätten zu anderen Zeiten auch mehr Zuhörerinnen und Zuhörer den Weg ins Bürgerhaus gefunden und wären so in den seltenen Genuss einer fast hautnahen Begegnung mit großartiger, kaum bekannter Musik, dargeboten auf höchstem Niveau, gekommen. Diejenigen, die dort waren, erlebten zum Schluss noch „die“ Ciacona des Venezianers Tarquinio Merula über ein kurzes ostinates Bassmotiv, das Andreas Gilger vorab vorstellte, worauf es dann von allen anderen Instrumenten virtuos umspielt und verziert wurde – ähnlich auch bei der Zugabe, der „Bergamasca“ von Marco Uccellini, die den beiden Blockföten nochmals Gelegenheit zu einem furiosen Schlussduett gaben. Schade, dass die Musiker gleich nach dem Konzert in alle Himmelsrichtungen (unter anderem nach Salzburg und nach Bremen) davoneilen mussten – hoffen wir, dass sie einmal wieder zusammenfinden und vielleicht sogar nach Glashütten zurückkehren.



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