Händel trifft auf Heute – Premiere Integratives Theaterprojekt

Glashütten (kw) – Was wäre, wenn es einen Menschen aus unserer Zeit ins London des Jahres 1741 verschlagen würde? Zweifellos eine ziemlich spekulative Frage. Aber eben diese ist Ausgangspunkt der musikalischen Komödie „Händel um Händel“ von Christina Kupczak, die jüngst im Pfarrzentrum der evangelischen Lukasgemeinde ihre Premiere vor vollen Zuschauerreihen feierte. In dem knapp einstündigen Stück zündet das Integrative Theaterprojekt „AugenOhr“ ein buntes Feuerwerk, das nicht nur reich an Komik ist, sondern auch einige nachdenkliche Momente besitzt.

Zu Beginn hat jedoch nicht die Musik, sondern der Fußball das Sagen, zum Klang von Fangesängen betritt ein bauchrednerisch talentierter Eintracht-Fan mit seinem Adler Adalbert die Szene. Hier treffen sie auf den Afroamerikaner Martin Washington, der von dem „speaking eagle“ begeistert ist, repräsentiert er doch das Wappentier der USA. Als der vorwitzige Adalbert sich am Smartphone des Fremden zu schaffen macht, passiert es – ein technischer Zwischenfall lässt den Amerikaner von der Bildfläche verschwinden.

Beim Öffnen des Vorhangs findet Martin sich im Jahr 1741 im Hause Georg Friedrich Händels wieder, eine Situation, die nicht nur ihn überfordert. Auch Händels Köchin und Händels Adlatus wissen mit dem Dreadlocks und Trump-Mütze tragenden Fremdling nichts anzufangen, sie halten ihn wahlweise für den Teufel oder einen entflohenen Sklaven. Erst seine Darbietung des Gospels „Oh when the Saints“ überzeugt die beiden, es mit einem Zeitreisenden zu tun zu haben, der zunächst einmal vor Händel versteckt wird.

Händel selbst, vom Irrsinn des Opernbetriebs gebeutelt, befindet sich in einer tiefen Sinn- und Schaffenskrise, hinzu kommt sein nachlassendes Augenlicht. Die neuen Melodien des Zeitreisenden bleiben aber auch ihm nicht verborgen, werden sie doch von der musikbegeisterten Köchin bei der Arbeit gesungen. Allerdings bleibt ihm nicht Zeit, sich darüber zu wundern, denn schon platzt mit Francesca Cuzzoni eine Primadonna per excellence herein, die den Maestro zum Umschreiben einer Arie bewegen will, von ihm aber in einem Zornesausbruch aus dem Fenster gehalten wird – im Übrigen eine historisch verbürgte Anekdote.

In der zweiten großen Szene des Stückes kommt es dann zum Aufeinandertreffen zwischen Händel und dem Zeitreisenden. Hier liegt die Kernaussage des Theaterstückes; im Vordergrund steht nicht die Musik, sondern das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen und Gesellschaftsbilder. Anfangs noch völlig befremdet über Aussehen, Ausdrucksweise und Gesellschaftsbild des jeweils anderen, wird rasch deutlich, dass der in England lebende Deutsche, Händel, und der in Deutschland lebende Amerikaner, Martin Washington, erstaunlich viel gemeinsam haben. Das führt unter anderem zu der tiefgreifenden Erkenntnis, dass das sture Beharren auf dem Nationalgedanken letztlich doch zu Unheil führen muss („Die beste Nation ist die Resignation“, kommentiert Händel). Musikalisch bringt Händel diese Begegnung zumindest auf neue Gedanken. Mag letzter Gedanke auch spekulativ sein, den zahlreich versammelten Zuschauern bereitete er große Freude. Auch der Zeitreisende, der dank einer weiteren Bedienung des Smartphones durch den Fußball-Fan und seinen Vogel am Ende wieder zurückkehrt, bringt den musikalischen Schwung Händels in die Gegenwart hinüber. Das Stück mündet in ein musikalisches Finale, in dem nicht nur die beiden Zeitebenen zusammengeführt werden, auch die Frage nach dem Platz des Menschen in der Gesellschaft wird noch einmal in kompakter Form aufgegriffen.

Dieser bunte Bilderbogen wird von einer wunderbaren Darstellerriege umgesetzt, bei der niemand hinter der Leistung des anderen zurücksteht. Das liegt auch daran, dass Christina Kupczak, die gemeinsam mit Lutz Riehl auch Regie führte, den Mitspielern die Rolle auf den Leib geschrieben hat. Angefangen bei Gernot Gottwals als leidenschaftlicher Fußball-Fan, der seiner Bauchrednerpuppe Adler Adalbert unwahrscheinlich viel Leben einhaucht. Viel Freude bereiteten auch Milica Zovko als Köchin und Kevin Haubitz als Christoph Schmitt, Händels Diener, beide strahlten eine große Begeisterung in ihrer Rolle aus. Margarita Bajaras erwies sich als Idealbesetzung für die Operndiva Francesca Cuzzoni, zumal sie selbst ausgebildete Opernsängerin ist.

Abgerundet wurde die tolle Leistung durch die beiden Hauptrollen: Martin D. Washington (der Rollenname und der Darstellername sind identisch), legte ein leidenschaftliches Engagement an den Tag und wurde mit seinem wunderbaren Denglisch-Sprech zum schillernden Mittelpunkt der Inszenierung. Lutz Riehl bot als sächsisch sprechender Händel mit einer großen spielerischen Bandbreite das ideale Gegengewicht zu Martin Washington. Im Anschluss an die Aufführung bestand für das Publikum noch die Gelegenheit, mit den Mitwirkenden, unter denen sich sowohl Menschen mit Behinderung als auch mit Migrationshintergrund befanden, zu diskutieren, was gut angenommen wurde.

Interessenten haben die Möglichkeit, dieses Stück in einer weiteren Aufführung zu sehen. Sie findet am Sonntag, 27. Oktober um 15 Uhr, ebenfalls im Pfarrzentrum der evangelischen Lukasgemeinde, Schloßborner Weg 16. statt.



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