100 x drücken pro Minute rettet Leben

Jenna, Sophie und Emma haben die Berührungsängste überwunden und üben die Herzdruckmassage im Klassenzimmer an Dummies. Fotos: Judith Ulbricht

Kelkheim
(kez) – „Staying alive“ – das ist der Rhythmus, bei dem Jeder mit muss. Was sich anhört wie ein dummer, abgehalfterter Spruch, könnte unter Umständen Leben retten. Denn dieser Song imitiert den Rhythmus bei der Herzdruckmassage. Und diese kann bekanntlich Leben retten.

Workshop für Achtklässler

Doch wie stellt man es an? Wie agiere ich richtig? Kann ich etwas falsch machen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich vergangene Woche die Achtklässler der Eichendorffschule in einem Workshop. Unter dem Titel „Prüfen, Rufen, Drücken“ erklärte ihnen Dr. Alexander Schleppers, Mediziner und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, wie einfach es ist, jemanden per Herzdruckmassage wieder zurückzuholen. Im Rahmen der Woche der Wiederbelebung lernten die Schülerinnen und Schüler, Berührungsängste abzubauen, die richtige Vorgehensweise und eben auch den richtigen Rhythmus.

Unterstützung bekam Schleppers dabei von den Schulsanitätern Sophie, Eliana, Martin und Benedikt, die regelmäßig einmal im Jahr vier Tage lang weitergebildet werden, um im Notfall helfend eingreifen zu können. Benedikt war es auch, der die Kreisbeigeordneten Madlen Overdick und Axel Fink unter seine Fittiche nahm und mit ihnen die einzelnen Schritte durchging. „Der Erste-Hilfe-Kurs, den man für den Führerschein machen musste, ist schon lange her, ich weiß gar nicht, ob das alles noch so sitzt“, gab Fink zu. Doch die beiden waren in guten Händen.

Prüfen, Rufen, Drücken

„Das Schwierigste ist immer, sich zu überwinden, Hilfe zu leisten“, weiß Mediziner Schleppers. Aber genau darauf kommt es an, wenn jemand einen Herzstillstand erlitten hat, denn wird nicht innerhalb von fünf Minuten eine Herzdruckmassage durchgeführt, ist ein Überleben unwahrscheinlich. So erklärte Schleppers den Schülern, dass im ersten Schritt geprüft werden müsse, ob die Person ansprechbar und ob keine Atmung oder keine normale Atmung vorhanden ist. Sollte dies der Fall sein, heißt es Handeln – Notruf absetzen und mit der Herzdruckmassage beginnen. „Gerade bei dem Rufen ist es wichtig, Umstehende direkt anzusprechen, um sie mit einzubeziehen. Besser ist ‘Sie da im blauen Anzug‘ als ‘Kann jemand den Notarzt rufen‘, weiß der Intensivmediziner.

Jenna, Sophie und Emma beugen sich über ihre Dummies. Ihre Hände liegen ineinander verschränkt auf dem Brustkorb, die Arme sind durchgestreckt und die Mädchen verlagern ihr Gewicht auf die Arme und drücken den Brustkorb ihres Dummies ein. Ein klickendes Geräusch zeigt ihnen, dass sie es richtig machen. 100 bis 120 mal pro Minute sollte das passieren, mit einem Lied wie zum Beispiel „Staying alive“ im Kopf. Dass dabei etwas kaputtgehen kann, haben die Mädchen im Workshop gelernt. „Es ist ganz normal, dass bei der Herzdruckmassage Rippen brechen, dann macht man es richtig“, erklärt Schleppers. Doch darüber sollte man sich keine Gedanken machen. „Lieber ein Leben retten“, so denken auch die Schüler. „Wenn man nichts tut, ist das unterlassene Hilfeleistung. Jeder ist verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten“, haben die Jungs und Mädchen gelernt.

Laienreanimation rettet Leben

In Deutschland werden pro Jahr 75.000 Menschen reanimiert. Zwei Drittel all dieser Reanimationen finden im familiären Umfeld statt, weiß Intensivmediziner Schleppers. „Wir könnten zusätzlich 5.000 bis 10.000 Menschenleben retten, wenn die Laienreanimation weiter vorangetrieben wird“, wirbt Schleppers. Seine Initiative sei schon ans Kultusministerium herangetreten, um den Workshop in die Schulen zu bringen. Zwei Unterrichtsstunden pro Jahr schweben ihm vor. „Die Reanimation könnte in den Biologie- und Sportunterricht mit eingebunden werden“, so die Idee. Doch Hessen tut sich schwer. Schleppers, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Rotary Clubs Kelkheim ist, nimmt das nicht so hin. Sein Club hat die Dummies angeschafft, mit denen sie jetzt von Schule zu Schule unterwegs sind. Für ihn gibt es nur ein Ziel: So viele junge Menschen wie möglich darauf vorzubereiten, eingreifen zu können, wenn es darauf ankommt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder mindestens einmal in seinem Leben in die Situation kommt, die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Menschen durch diese einfachen Maßnahmen zu vervielfachen, ist sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dann diesen Menschen gut kennt, auch … es könnten Eltern, Großeltern, Kinder, ein Freund oder Verwandte sein. Die Laienreanimation wäre in diesen Fällen dann lebensrettend.“

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