Wieder am Leben teilnehmen

Das Krankenhaus Hofheim der Main-Taunus-Kliniken geht neue Wege bei schwerkranken beatmungsabhängigen Patienten: Im Rahmen eines neuen Versorgungsvertrages zwischen der Klinik und der AOK Hessen, dem ersten seiner Art in Deutschland, hat das „Therapiezentrum für außerklinische Beatmung“ (TAB) seinen Betrieb aufgenommen. Das TAB ist für Patientinnen und Patienten gedacht, die nach der Entlassung aus der akuten Krankenhausbehandlung – auch aus einem Weaningzentrum – noch invasive Beatmung benötigen oder mit einer Trachealkanüle versorgt sind. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es bei den meisten Patientinnen und Patienten gelingt, sie von der Beatmung zu entwöhnen und von der Kanüle zu befreien.

Schwere Erkrankungen ganz unterschiedlicher Art können dazu führen, dass ein Patient über längere Zeit invasiv beatmet werden muss. Dies geschieht meist über eine Trachealkanüle, die vom Hals direkt in die Luftröhre führt. Durch diese Langzeitbeatmung besteht bei einigen Fällen auch nach der Krankenhausbehandlung weiterhin eine Beatmungs- oder Absaugpflicht.

Wenige Monate mehr lohnen sich

In insgesamt fünf hessischen Kliniken mit erfahrenen Weaning-Stationen gibt es mittlerweile sogenannte Therapiezentren für außerklinische Beatmung (TAB). Das TAB-Konzept verfolgt eine langfristige Stabilisierung der Betroffenen mit dem Ziel, sie vor einer lebenslangen Beatmung zu bewahren. Zu diesem Zweck erfolgt im TAB eine permanente Betreuung durch erfahrenes Pflegepersonal, ebenso wie diverse tägliche Behandlungseinheiten an Physiotherapie, Atmungs-, Logo- und Ergotherapie von Montag bis Samstag. „Die Menschen, die zu uns kommen, haben oft schon mehrere Monate in einem Krankenhaus zugebracht“, sagte Stefan Schad, Geschäftsführer der Kliniken des Main-Taunus-Kreises. „Doch nach dem Aufenthalt im TAB stellen sich vielfach beachtliche Behandlungserfolge ein. Unser Ziel ist es, dem Patienten ein selbstbestimmtes, von Maschinen unabhängiges Leben zu ermöglichen. Insofern sind wir uns sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.“

Wohnliche Atmosphäre, individuell betreut

Finanziert wird die Therapie von der AOK Hessen, sie ist bislang auch nur für ihre Versicherten möglich. „Der enorme Anstieg beatmeter Patienten, die rund um die Uhr von Pflegefachkräften betreut werden müssen, ist das eine. Das andere: Uns haben Studien zur subjektiv empfundenen Lebensqualität beatmeter Menschen in ihrer Häuslichkeit nachdenklich gemacht“, so Robert Ringer, Pflege-Chef der Gesundheitskasse. Tatsächlich wird mehr Zeit benötigt, um in wohnlicher Atmosphäre, weg vom klinischen Alltag, sehr individuell betreut, mit Unterstützung eines hoch professionellen und erfahrenen Ärzte-, Pflege- und Therapeutenteams jegliches Potenzial heben zu können.

Neuland betreten

Allein, wenn es der betroffenen Person nach einer gewissen Zeit gelingt, wieder aufrecht stehen zu können, sei das laut Ringer ein großartiger Erfolg, um so mehr, wenn der Patient schließlich selbstständig gehend und atmend nach Hause zurückkehren kann. Ähnliche Kooperationen wie in Hessen gibt es derzeit nicht. „Das ist schon Neuland. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis andere nachziehen.“

Wieder selbst schlucken können

Mit fünf hessischen Zentren besteht derzeit eine solche Kooperation. Der einzige Partner der AOK Hessen im Rhein-Main-Gebiet ist das Krankenhaus Hofheim. Jörg Blau, verantwortlicher Arzt im TAB, berichtet, dass die Beatmungsmedizin in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht hat: „Wir können den meisten Patienten helfen, wieder selbst zu schlucken und die Trachealkanüle, über die Sekrete abgesaugt werden, damit diese nicht in die Lunge gelangen, hinter sich zu lassen.“

Augenblicklich werden in Hofheim drei Personen intensiv im TAB betreut. Darunter war auch Heinz Bertram aus Hofheim (im Bild mit Krankenschwester Hiltrud), der vor kurzem entlassen worden ist, „Nach drei Monaten geht es mir wieder erstaunlich gut, was ich noch im August nie für möglich gehalten hätte. Ich kann wieder frei atmen, sogar rausgehen, am Leben teilnehmen“, erzählt der Busfahrer, bei dem eine schwere Pneumonie (Lungenentzündung) im Juli 2019 der Auslöser seines Leidensweges war.

Doch auch wenn er jetzt wieder zu Hause ist, muss die Therapie nicht sofort enden: Bei medizinischer Notwendigkeit kann eine bis zu einjährige intensive Nachbetreuung inklusive Kooperation mit seinem Hausarzt sowie Hausbesuche durch das Weaning-Team erfolgen.



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