Leserbrief

In der Ausgabe der Kelkheimer Zeitung vom 3. Juni 2022 steht ein langer Leserbrief, der sich mit der Machbarkeit der sogenannten Energiewende befasst. Da er Bezug nimmt zu meinem am 10. Mai in der EDS gehaltenen Vortrag über die Energiewende, möchte ich auf diesen Leserbrief antworten.

Nach meinem Wissen war der Leserbriefschreiber bei meinem Vortrag nicht anwesend. Nach meinem Verständnis dieses Leserbriefes hält der Autor die Realisierung der Energiewende wegen der immens großen technologischen und finanziellen Probleme für nicht möglich und prophezeit ihr ein Scheitern. In der Tat, die Energiewende ist in ihrer Aufgabe für unser Land oder für die ganze Menschheit eine Mammut-Aufgabe und fast vergleichbar mit der Errichtung des Eisenbahnnetzes im 19. Jahrhundert. Betrachten wir nur die Energiewende für den Teil des bisherigen Strombedarfs (nur auf Deutschland bezogen ca. 600 Milliarden kWh pro Jahr), dann liegen die Investitionen (bis zum Jahre 2050) bei über 1000 Milliarden Euro (Referenz: Was kostet die Energiewende? – Wege zur Transformation des deutschen Energiesystems bis 2050 (fraunhofer.de). Soll auch die insgesamt in Deutschland benötigte Wärmeenergie und Energie für Mobilität durch regenerativ erzeugte Energie ersetzt werden, dann muss dieser Betrag mit ca. Faktor 3-4 multipliziert werden. Der Hauptanteil dieser Ausgaben geht in die Errichtung von Windrädern und Photovoltaikanlagen PV (davon wird ein beträchtlicher Teil privat finanziert werden). Diese Investition sollte in Deutschland viele Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Diese riesige Summe ist aber eine fundamental notwendige Investition für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder usf.. Wenn wir diesen Betrag über 50 Jahre (wie beim Hausbau) abschreiben, ergibt sich ein Tilgungsbetrag von ca. 100 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Betrag ist niedriger als die jährlichen Ausgaben für Energie in Deutschland. Dadurch würden die Einkäufe von Erdöl, Erdgas, etc. weitgehend entfallen, weil Deutschland oder Europa seinen Energiebedarf aus eigenen regenerativen Quellen deckt. Diese Investition pro Jahr ist ein sehr kleiner Betrag im Vergleich zu unserem Bruttosozialprodukt.

Wie sieht es aus mit den technologischen Schwierigkeiten? Man kann feststellen, dass die einzelnen technologischen Bausteine der Energiewende (PV, Windräder, Transformatoren, Stromleitungen, Kurzeitspeicher (Li-Ionenbatterien, Wasserpumpspeicherwerke), Elektrolyseanlagen für die Umwandlung der elektrischen Energie in chemische Energie etc.) grundsätzlich vorhanden und voll funktionsfähig sind. Was jedoch zur Verwirklichung der Energiewende noch weitgehend fehlt, ist eine europäische Gesamtstrategie, die alle Bausteine zu einem Ganzen als eine dynamisch perfekt wirkende Einheit (Grüne Welle) verbindet. Hier bleibt noch viel zu tun, vor allem auf dem Gebiet der Speicherung. Strom kann an einer „Roten Ampel“ keine Millisekunde warten. Entweder man verbraucht ihn augenblicklich oder man muss ihn sofort in eine andere Energieform speichern oder er ist verloren.

Um das Vernichten von Strom zu verhindern, braucht man extrem große Kurzzeitspeicher (Stunden, Tage etc.). Dieses Speicherproblem ist bis heute weitgehend übersehen worden. Grundsätzlich gibt es nur drei Speicherkonzepte, die in Bruchteilen von Sekunden sehr große Mengen Strom (bis zu 200 GigaWatt Leistung) speichern können:

1. Elektrolyse von Wasser. Schlagwort „Power to Gas“. Bis heute sind in Deutschland aber Elektrolyseanlagen nur mit einer Gesamtleistung von weit weniger als 1 GigaWatt vorhanden, vielleicht verfügen wir in 30 Jahren über 40 GigaWatt Elektrolyse-Leistung. Wir brauchen aber für die 100 % -ige Energiewende über 100 GigaWatt Elektrolysekapazität. Außerdem sind Elektrolyseanlagen teuer und Elektrolyse ist nur mittels komplexer chemischer Anodentechnik durchführbar.

2. Li-Ionenbatterien oder ähnliche Batterien. Obwohl deren Herstellungspreis in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, ist die Speicherung in sehr großem Maßstab (1 bis 2 Milliarden kWh pro Speicherzyklus wären in Deutschland notwendig) teuer und muss in dieser Größe noch viele Jahrzehnte auf sich warten lassen, da man solche Batterien erstmals vor allem für die Mobilität braucht.

3. Speicherung durch Umwandlung der elektrischen Energie in potentielle Energie von sehr großen Massen im Gravitationsfeld der Erde. Dies ist der traditionelle Weg der Speicherung von elektrischer Energie in potentielle Energie von großen Wassermassen, wie es die bewährten Wasserpumpspeicherkraftwerke WPSKW leisten. Zu diesem Punkt zitiert der Leserbriefautor den Professor Sinn/München, der keine weitere Möglichkeit sieht, in deutschen Mittelgebirgen weitere WPSKW zu errichten. Dem widerspreche ich keineswegs. Herr Sinn übersieht aber, dass die Schwerkraft im Gravitationsfeld der Erde sowohl vom Tal auf den Berg, als auch in einem tiefen See oder in den Meeren von der Wasseroberfläche auf den Boden des Sees oder der Meere wirkt. Z.B. kann man in der Norwegischen Rinne (im Skagerrak (1000 m tief) d.h. 1000 m Wasserspeicherhöhe) oder in der gefluteten Hambacher Braunkohleabbaustätte (460 m tief) solche WPSKW errichten. Es wird dort der von der Natur geschenkte sehr hohe Wasserdruck ausgenutzt, um in künstlichen Hohlkörpern elektrische Energie zu speichern. Dieses Verfahren wurde von der Fraunhofergesellschaft (Google Stichwort: STENSEA) mit 100 % -igem Erfolg realisiert und könnte sofort umgesetzt werden. Im Hambacher Loch kann ein Speicher (für einen Füll-Zyklus) von 500 Millionen kWh errichtet werden. Nähme man die anderen vorhandenen Braunkohlabbaustätten (Garzweiler, Inden, Lausitz, etc.) hinzu, könnte man mehr als 1 Milliarde kWh Speicher errichten. Bei ca. 200 Zyklen pro Jahr könnte man so ca. 40% des in Deutschland verbrauchten Stromes kurzzeitspeichern und so z.B. dafür sorgen, dass nachts alle Elektrolyseanlagen (Power to Gas) weiter laufen könnten und eine Nachtflaute niemals auftreten würde. Nach unserer Abschätzung würde die so erfolgte Speicherung in WPSKW weniger als 1 Cent pro kWh kosten (an anteiligen Investitionskosten) und dabei perfekt umweltfreundlich erfolgen.

Unter dem Stichwort „Speicherstadt Kerpen“ (das Hambacher Loch liegt in Kerpen) wurde ein großes Projekt entworfen, das diese Speicheridee dort verwirklichen will. Dieses Projekt hat schon genügend öffentliche Gelder für eine Planung erhalten.

Abschließend: Die Energiewende ist unbedingt notwendig, sie ist machbar und im Vergleich zum Eisenbahnbau vor 150 Jahren kostet sie wenig „Manpower“. Um die Energiewende zu verwirklichen, braucht man jedoch Visionäre, die an diese Fortschritte glauben. Bedenkenträger haben bisher kaum zum technologischen Fortschritt der Menschheit beigetragen.

Horst Schmidt-Boecking



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