Die Rettung großer Tiere will gelernt und geübt sein

Rettungsdummy „Sam“ wiegt 200 Kilogramm und verzeiht alle Fehler, die bei seiner Rettung vielleicht gemacht werden – er ist schließlich zum Lernen da. Foto: ©comcavalo

Kelkheim-Münster
(kez) – „Mein Pferd liegt im Graben und kommt nicht mehr raus.“ – „Auf dem Bauernhof ist ein Rind in die Güllegrube gefallen“: So oder ähnlich lauten Notrufe, die bei den Leitstellen der Feuerwehren in Deutschland eingehen. Rettungseinsätze für Pferde, Rinder und andere große Tiere, die in eine Notlage geraten sind, nehmen stark zu. Tierbesitzer vertrauen in solchen Situationen auf die Feuerwehr. Die große Mehrheit der Feuerwehren in Deutschland ist jedoch nicht auf die speziellen Anforderungen solcher Einsätze vorbereitet. Das ist im Main-Taunus-Kreis ganz anders und wurde am Samstag erneut praxisnah mit einem Experten trainiert.

Unwissenheit macht Großtierrettungseinsätze zur unkalkulierbaren Gefahr

Einsatzkräfte, die an eine Unfallstelle mit einem großen Tier gerufen werden, bringen sich oft unwissend in Gefahr – sogar in Lebensgefahr. „Tiere in Notsituationen zeigen andere Verhaltensweisen als unter normalen Umständen. In großer Gefahr sind bei derartigen Einsätzen vor allem die Rettungskräfte, denn sie sind den vom Tier ausgehenden Gefahren ganz unmittelbar ausgesetzt“, weiß Lutz Hauch, Deutschlands einziger zertifizierter Großtierrettungstrainer. Auch andere am Einsatzort anwesende Personen stellen oft ein zusätzliches Risiko dar. Eine Studie der American Hospital Association macht das Gefahrenpotenzial deutlich: Demnach würden 83 Prozent der Tierbesitzer ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren, um ihrem Tier zu helfen. Und neben den von dem verunfallten Tier und anwesenden Menschen ausgehenden Gefahren können auch im Umfeld Risiken liegen, die erst nach einer entsprechenden Sensibilisierung wahrgenommen und eingeordnet werden können. So finden Großtierrettungseinsätze meist in unwegsamem Gelände statt. Nicht selten herrscht große Enge und oft bieten sich nur geringe Rückzugsmöglichkeiten, wie beispielsweise bei der Rettung eines Pferdes aus einem Transportanhänger.

Tagestraining „Technische Großtierrettung“

Das ganztägige Training der technischen Großtierrettung begann mit einem zweistündigen Seminarteil, in dem Trainer Lutz Hauch Grundlagenwissen vermittelte, das unverzichtbar ist für eine ganzheitliche Wahrnehmung der Einsatzsituation und die Entwicklung passender Strategien und Vorgehensweisen. Mithilfe verschiedener Einsatzvideos wurde an positiven und negativen Einsatzbeispielen gelernt.

Einsatzübungen mit lebensgroßem Rettungsdummy „Sam“

Nach dem Seminarteil ging es für die Teilnehmer des Großtierrettungstrainings in Kelkheim-Münster in die Praxis: Sie legten ihre PSA, die persönliche Schutzausrüstung, an, die auch im Einsatzsatz unbedingte Pflicht ist. Dann wurde der eigens für solche Trainings angeschaffte lebensgroße Rettungsdummy entladen. Er ist ein professioneller Pferdedummy, wiegt circa 200 Kilogramm und hat bewegliche Gelenke. Sein großer Vorteil: Er lässt alle Übungen und auch Fehler, die beim Training gemacht werden dürfen, geduldig über sich ergehen. Die Teilnehmer lernen an und mit dem Dummy, wie eine Großtierrettung ablaufen sollte. Dabei kamen Spezialwerkzeuge zum Einsatz, über die die Tierrettungseinheit bereits verfügt. Die Werkzeuge wurden für die technische Großtierrettung entwickelt und sind geeignet, Tiere schonend und schmerzfrei zu befreien, ohne dass Rettungskräfte dem Tier zu nahe kommen müssen. Geübt wurden verschiedene praxisnahe Situationen wie die Rettung aus einem Graben, aus einem Bach oder See, die Rettung aus einem verunfallten Transporter und auch eine Rettung mittels Hebegeschirr unter Einsatz eines Krans. Der kann übrigens in den allermeisten Fällen in der Fahrzeughalle bleiben. „90 Prozent aller Rettungen lassen sich mit reiner Muskelkraft bewältigen“, bestätigt Trainer Lutz Hauch. Alle Einsatzszenarien wurden so realistisch wie möglich nachgestellt – das übrigens bereits zum dritten Mal nach 2018 und 2021.

Immer noch Pionierarbeit

Das Konzept der technischen Großtierrettung wurde in Großbritannien entwickelte und gehört dort und in vielen weiteren Ländern weltweit seit mehr als 20 Jahren zur Standardausbildung für Rettungskräfte. In Deutschland ist Lutz Hauch der einzige Ausbilder für die technische Großtierrettung mit Qualitätszertifizierung nach ISO 9001. Bis heute haben 264 Feuerwehren aus ganz Deutschland sein Training absolviert. Legt man die vom Deutschen Feuerwehrverband auf ihrer Internetseite genannte Zahl von insgesamt rund 22.300 Feuerwehren – freiwillige und Berufsfeuerwehren – zugrunde, sind das rund 1 Prozent mit Großtierrettungskompetenz.

Die Einsatzkräfte der Tierrettungseinheit des Kreisfeuerwehrverbandes Main-Taunus e.V, gehören zu den deutschlandweit am besten ausgebildeten. Stefan Kunisch, Stadtbrandinspektor der Feuerwehr Kelkheim, hat die Einheit gegründet und entwickelt sie mit großem Erfolg weiter. So wuchs eine leistungsstarke Tierrettungseinheit, deren Kompetenz über die Großtierrettung hinaus breit gefächert ist und die häufig alarmiert wird, wenn Pferd, Rind, Lama, Hund, Katze, Echse oder wie gerade kürzlich Schlange den sachverständigen Einsatz von Experten notwendig machen.



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