Sex and Crime und mittendrin Michael Quast

Er sinniert ... Fotos: Judith Ulbricht

Wer sich auf einen ruhigen Abend in der Stadthalle gefreut hatte, mit ein bisschen Lyrik und Klavierspiel, der hatte sich aber sowas von getäuscht. Blutig wurde es, rachsüchtig, gespenstisch, sündig, dramatisch, unheimlich und vor allem lustig. Michael Quast, der Mann, der in viele Rollen schlüpfen kann, nahm sein Publikum mit auf eine Reise durch deutsch/schweizerische Balladen und Melodramen und erlitt eben diese auch auf der Bühne. Sehr zum Vergnügen der aufmerksam lauschenden Zuhörerschaft.

Je blutrünstiger eine Ballade, umso erfolgreicher, so war im 18. Jahrhundert die Devise. Ludwig Heinrich Christoph Hölty und Gottfried August Bürger galten und gelten als die „Urväter“ der Ballade. Bürger (1747–1794) war ein bedeutender Dichter der Sturm-und-Drang-Epoche, der mit seiner kraftvollen, volkstümlichen, manchmal derben und unheimlichen Dichtung in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Von seinen schauerlichen Werken hat „Lenore“, die Ballade von der jungen Soldatenbraut, die ihrem im Krieg gefallenen Geliebten ins Grab folgt, bis heute nichts von ihrem makaberen Charme eingebüßt. Und so reitet ein Michael Quast, umgeben vom Wispern der Geisterstimmen (die er natürlich selbst imitiert), über die Lande und trägt die Braut zu Grabe, die bis zum bitteren Ende an ihren Verlobten glaubt.

Und hui! War’s unter ihr hinab

Verschwunden und versunken.

Geheul! Geheul aus hoher Luft,

Gewinsel kam aus tiefer Gruft.

Lenorens Herz, mit Beben,

Rang zwischen Tod und Leben.

Das war damals schon ein Knaller und lebt heute von der Darstellungskunst eines Michael Quast. Schiller allerdings konnte diesen effekthaschenden Balladen rein gar nichts abgewinnen. Er hielt Bürger für einen unreifen, unvollendeten Geist. Schließlich wäre die Idealisierung oberste Prämisse eines deutschen Dichters. Obwohl sich auch gerade Schiller nicht immer an seine hehren Vorstellungen hielt. Zwischen den beiden Ikonen der deutschen Dichterkunst, Goethe und Schiller, entbrannte 1797, im Balladenjahr, ein Wettstreit. Schiller siegte nach Punkten, der einfachen Tatsache geschuldet, dass er mehr geschrieben hatte. Goethe hatte das Nachsehen, hätte aber nach Überzeugung von Michael Quast mit seiner „rattenscharfen“ Ballade „Die Braut von Corinth“ durchaus Chancen gehabt.

Die Lachmuskeln wurden weiter strapaziert. So schlich Quast dem wilden Getier aus „Der Handschuh“ gleichend über die Bühne, fletschte die Zähne, schüttelte das schüttere Haar, Entschuldigung, die wallende Mähne und feuerte den Handschuh der nicht anwesenden hochnäsigen Dame ins Gesicht. Der Handschuh ist eine der bekanntesten Balladen Schillers aus dem Jahr des freundschaftlichen Wettstreits um die besseren Balladen mit Goethe. Weit vor dieser Zeit (1782) hatte Goethe seinen großen Wurf: „Der Erlkönig“. Allerdings hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass sich 239 Jahre später ein Michael Quast auf die Bühne und die schon tausendfachen Aufführungen dieses Werkes in den Schatten stellt – er reitet. Und zwar mit einer Urgewalt, das Schauern des Kindes im Nacken, die Unwirtlichkeit des Geländes vor sich und dann dieser nervende Erlkönig. Schweißgebadet erreicht Quast
„den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.“
Schon wieder!

Und dann sind da noch die Verlockungen der Großstadt, denen ein verheirateter Gymnasiallehrer zum Opfer fiel. So versackt er in den Spelunken dieser Stadt, aber nur
„Um dieses Treiben, das er haßte, Sich einmal gründlich anzusehn“.
Dort trifft er auf sein Domino, eine Dame aus der Wellness-Branche (O-Ton Quast), verliert all seine Sittlichkeit und Tugend und auch die hohe Moral geht über Bord. Das Ende der Ballade von Ludwig Thoma setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf, denn selbstverständlich bleibt der Fehltritt des so hochmoralischen Herrn Professors nicht ohne Folgen:

Daß Lügen kurze Beine tragen,

Das zeigte sich hier wunderbar

Denn Josef ward so ganz geschlagen,

Daß hier für ihn kein Ausweg war.

Er trug – da gibt es kein Entrinnen

Und kein Erklären so und so –

Er trug aus duftig weißem Linnen

Das Höschen seines Domino!

Wo ist hier jetzt eigentlich Crime, werden sich schon Einige gefragt haben? Das gab es in Form des „Haideknaben“ von Hebbel, der seinen eigenen Tod im Traum voraussah und seinem Henker durch absurde Zufälle direkt in die Arme läuft. Michael Quast lässt ihn Todesängste ausstehen, getreu dem Motto „Wie man es wendet und wie man es nimmt, alles geschieht, was das Schicksal bestimmt“.

Und so wollte es auch das Schicksal, dass ein hochamüsanter, lyrischer Abend leider irgendwann endet.

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