Hessischer Abend des MGV mit Schulgeschichten von Hermann Groß

In geselliger Runde freuten sich Mitglieder und Gäste des MGV über die von Hermann Groß präsentierten „Schulgeschichten“. Foto: Krüger

Falkenstein (sk) – Vergangenen Freitagabend veranstaltete der Männergesangsverein (MGV) 1875 Falkenstein bereits zum vierten Mal einen „hessischen Abend“. Vereinsvorsitzender Markus Schleicher betonte, diese Tradition auch in Zukunft fortsetzen zu wollen. Er freute sich ganz besonders, dass die Mitglieder und Gäste des MGV nicht nur typische, regionale Spezialitäten wie Handkäs‘, „Flaaschworscht“ und Äppelwein genießen konnten, sondern währenddessen auch interessante Einblicke in das Leben der Schüler und ihrer Lehrer in und um Falkenstein erhielten.

Im Volksmund heißt es: „Kopfrechnen schwach, Religion sehr gut“. Hermann Groß führte diese Redensart darauf zurück, dass der Schulbetrieb lange Zeit von Geistlichen geführt wurde, die die Schüler hauptsächlich auf die Religion einschworen, während sie Mathematik und Grammatik gerne vernachlässigten. Falkenstein hatte insgesamt drei Schulgebäude. Der Fürst von Nassau erwarb 1778 ein Haus Am Hainberg, das die evangelischen Kinder als Schule nutzen konnten. Die jüdische Gemeinde baute etwa zur gleichen Zeit eine Schule im unteren Bergweg, die bis zum Bau der Synagoge 1906 als Schule diente. 1889 wurde aufgrund der wachsenden Schülerzahlen ein neues Schulgebäude genehmigt. Die gegenüber dem heutigen Vereinshaus des MGV erbaute Schule war vielen Zuhörern noch bestens bekannt. Im Erdgeschoss befanden sich die Lehrerwohnung und ein großer Raum, der zum Turnen und Spielen benutzt wurde. „Dort prangte zu meiner Schulzeit ein Bild des Führers an der Wand“, erinnerte sich Hermann Groß und schilderte die beklemmende Angst der Schüler, als einmal ein Ball das Führerbild traf und zerschmetterte. Die Unterrichtsräume befanden sich im zweiten Geschoss. Das Dachgeschoss diente als Lager für die Schulspeisen. Es gab meist Eintopf, Reisbrei oder Nudelsuppe. Im Jahr 1892 besuchten etwa 155 Schüler die Falkensteiner Schule. In ihrem Hof waren nur ein Plumpsklo, ein Pissoir und ein einziges Waschbecken vorgesehen.

Eine spezielle, pädagogische Ausbildung für Lehrer gab es noch nicht. Voraussetzung für die Besetzung einer Lehrerstelle war ein guter Leumund. Bezahlt wurde der Lehrer von der Gemeinde mit Geld oder Naturalien. Die Besoldung war äußerst mager. Deshalb mussten sich die Lehrer zusätzliche Verdienstmöglichkeiten suchen. In Falkenstein übernahm der Lehrer beispielsweise das Amt des Glöckners. „Das Läuten der Glocken zum Gottesdienst, bei Unwetter oder Bränden und zur Stundenanzeige war zu einer Zeit, als die Menschen noch keine Uhren besaßen und hauptsächlich Feldarbeit verrichteten, eine unvorstellbar wichtige Aufgabe“, erklärte Hermann Groß. Andere Lehrer züchteten beispielsweise Seidenraupen oder betrieben einen Weinhandel, um ihren Verdienst aufzubessern. Auch das Halten von Hühnern und der Verkauf ihrer Eier war eine beliebte und lukrative Nebentätigkeit manch eines Lehrers, konnte er dieser Tätigkeit doch in Ausübung seiner Funktion als Lehrer nachgehen und die Schulkinder auf so genannten Wandertagen für den Eiervertrieb bestens einsetzen.

„Wenn alle übrigen Mittel sich erfolglos gezeigt haben, darf der Lehrer zu körperlicher Züchtigung greifen“, zitierte Hermann Groß aus einem Erlass aus dem Jahre 1881. Züchtigungen und die Prügelstrafe waren an der Tagesordnung, so Hermann Groß. Zur Erheiterung seiner Zuhörer rezitierte er das von Friedrich Stoltze in frankfurterischer Mundart verfasste Gedicht „Die Blutblas‘“, in dem Stoltze die Prügelstrafe aufs Korn nimmt. In Falkenstein gab es ein „Strafenbuch“, das den Nachweis führte über Grund und Anlass der Strafe sowie das Strafmaß. Bei fortgesetzter Trägheit eines Schülers waren zwei Handstreiche vorgesehen. Vier Handstreiche gab es bei Unfug auf der Straße oder Misshandlungen von anderen Schülern. „Gerne schmissen die Lehrer Schlüssel nach ihren Schülern oder klitschnasse Schwämme“, erinnerte sich Hermann Groß an seine eigene Schulzeit, was viele der Zuhörer bestätigten.

In den Kriegsjahren gab es keinen geregelten Schulbetrieb. Häufige Fliegerangriffe zwangen die Kinder, die wegen größerer Entfernung nicht nach Hause laufen konnten, in den Schulkeller, der einem Bombenangriff niemals standgehalten hätte, offenbarte Hermann Groß. Die anderen Falkensteiner Schüler liefen zum Bunker unterhalb des Dettweiler Tempels, um dort in der Obhut ihrer Familien Schutz zu finden. Denn kein Kind wollte bei einem Fliegeralarm ohne seine Familie sein. Als die Falkensteiner Schule im Februar 1945 von Bomben getroffen wurde, fiel der Unterricht bis zum Herbst aus. „Als Zwischenlösung“, schilderte Hermann Groß, „gab es die Küchenschule“. Etwa sieben Schulkinder wurden in der Küche seiner Mutter unterrichtet, bis der normale Schulbetrieb im September 1945 wieder aufgenommen werden konnte. „Schulbücher gab es kaum noch, da sie wegen politischer Hintergründe eingezogen wurden“, erinnerte sich Hermann Groß.

Das Schulhaus wurde kurz nach dem Krieg als Lager und Sammelstelle benutzt für alle Gegenstände, die an die Alliierten herauszugeben waren. Oft kam es zu so genannten „Hausdurchsuchungen“. Sogar seinen schwarzen Schulranzen, den seine Oma für fünf Pfund Kartoffeln erworben hatte und den Hermann Groß immer an einem Haken in der Küche aufhängte, durchsuchten die Amerikaner. Denn er war groß genug, um darin Waffen oder Ähnliches zu verstecken. Die Lehrer wechselten in den ersten Jahren nach dem Krieg häufig. Das war u.a. eine Folge der sogenannten Spruchkammerverfahren wegen Verstrickung in den Nationalsozialismus. Der „besonderen Nachkriegssituation“ geschuldet war auch der berüchtigte Lehrer Müller, der sich mit falschen Zeugnissen und betrügerischen Aussagen als Lehrer in Falkenstein ausgab, obgleich er vom Unterrichten überhaupt keine Ahnung hatte. „Aufgeflogen ist er wegen seiner schlechten Grammatikkenntnisse“, enthüllte Hermann Groß, dessen damaliges Zeugnis für ungültig erklärt wurde, weil Lehrer Müller in Wahrheit Maurer war. „Eine kaum vorstellbare Geschichte“, beendete Hermann Groß seinen interessanten Vortrag.



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